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Trittin: „Trump als US-Präsident? Wie die Geissens im Kanzleramt“

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Jürgen Trittin (62) zog als Grünen-Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf 2013 und ist jetzt Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Im Interview mit Yahoo Deutschland analysiert er den US-Wahlkampf, wagt einen Ausblick auf ein Amerika unter einem möglichen Präsidenten Trump und erklärt, was Trump mit den Geissens gemeinsam hat.

Interview von Jan Rübel

Herr Trittin, haben Sie sich das dritte TV-Duell Clinton versus Trump live angeschaut?

Jürgen Trittin: Ich habe mir eine spätere Aufzeichnung angeschaut, so gegen fünf Uhr morgens.

Also auf diesen Auftritt der beiden haben Sie nicht hingefiebert?

Trittin: Nun, die beiden vergangenen Aufeinandertreffen waren schwer erträglich. Es geht um die wichtigste Demokratie der Welt und die stärkste Militärmacht – und die beiden Kandidaten redeten über Emailserver, Donald Trumps Charakter und Bill Clintons Affären, nicht aber über die drängenden Probleme unserer Welt. Diese Trumpisierung des Wahlkampfes lässt mich nur den Kopf schütteln.

Diesmal ging es zuweilen sogar sachlich zu.

Trittin: Im Vergleich mit den ersten beiden Debatten. Diesmal wurden die inhaltlichen Unterschiede besonders deutlich: Clinton versucht die Mitte der amerikanischen Gesellschaft anzusprechen – würde man Trump montags auf den Dresdner Marktplatz stellen, gäbe er einen prima Pegida-Redner ab.

Und wie schlugen sich die beiden?

Trittin: Clinton hat die Agenda bestimmt, dagegen sah Trump echt alt aus. Da forderte er zum Beispiel wieder eine Mauer zu Mexiko. Er selber hat die Notlage illegaler Migranten ausgenutzt, damit sie als Bauarbeiter seinen Trump-Tower in New York errichten – in diesem Duell ist Clinton als klare Punktsiegerin hervorgegangen.

Welche Auswirkungen wird dieses TV-Duell für die letzten Tage des Wahlkampfs haben?

Trittin: Selten hat ein Kandidat alle drei Duelle im Fernsehen für sich entschieden. Da verstetigt sich ein Trend für Clinton. Trump kann seine eigenen Anhänger begeistern, gewinnt aber keine aus der Mitte hinzu.

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Trumps Stammklientel sind die so genannten Angry White Men. Warum wählen die Trump?

Trittin: Sie verteidigen ihren herkömmlichen Status zum Beispiel gegen Frauen, die in der Regel die besseren Bildungsabschlüsse machen und beruflich erfolgreich sind. Da macht sich unter den Angry White Men eine Loser-Mentalität breit. Deshalb bewundern sie den vermeintlichen Gewinnertyp Trump.

Und warum geht es dann gegen Migranten?

Trittin: Die Populisten machen sie zum Symbol für das Andere und Fremde, für alle gesellschaftlichen Veränderungen. Diesen Angry White Men geht es ja objektiv nicht unbedingt schlechter. Sie sind nostalgisch. Sie klagen einen Status ein, den der weiße Mann bis in die Sechziger des vorigen Jahrhunderts hatte.

“Der amerikanische Traum funktioniert nicht mehr”

Warum tun die das?

Trittin: Dahinter steht eine traumatische Erfahrung, die Amerika in der Finanzkrise 2008/2009 gemacht hat. Offensichtlich funktioniert der amerikanische Traum nicht mehr, wonach jeder Tellerwäscher mit Glück und Können Millionär werden kann. Da wünschen sich einige halt die vermeintlich goldigen Zeiten zurück, in denen die Frau am Herd stand und der Mann Alleinverdiener war.

Das ist und bleibt ein Traum.

Trittin: Die Wahrnehmung der Chancen und Herausforderungen gehen in den unterschiedlichen Wählergruppen weit auseinander. Der neue US-Präsident müsste diese Spaltungen in der amerikanischen Gesellschaft überwinden. Leider sehe ich das nicht: Die Republikaner setzen seit Jahren auf eine Blockadepolitik, die auch einer Präsidentin Clinton das Regieren enorm erschweren würde. Dagegen sind die Spannungen in Deutschland zwischen Bundestag und Bundesrat reine Sandkastenspiele.

Trump hat angedeutet, er werde das Ergebnis der Wahl am 8. November nicht anerkennen. Können Sie sich vorstellen, dass dann Unruhen ausbrechen?

Trittin: Die Grundinstitutionen in Amerika sind stabiler als all diese putschistischen Ankündigungen Trumps. Der sagt: Ich gehe aufs Feld, respektiere aber den Schiedsrichter nicht. Doch der Schiedsrichter ist das Volk.

Passiert gerade etwas mit dem Volk? Wie wirkt sich dieser brutale Wahlkampf auf die Gesellschaft aus?

Trittin: Trump ist eher Ausdruck als Initiator einer tiefgehenden Spaltung. Diese Spaltung trennt den mittleren Westen von den Küstenteilen. Sie trennt ein immer diverser werdendes Amerika von den Angry White Men.

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Was ist typisch amerikanisch an Trump?

Trittin: Die Haltung, bloß kein Loser sein zu wollen, die Losung „Geld ist geil, Erfolg ist geil“. Sowas ist in Deutschland schwer vorstellbar. Das wäre so, als würden die Geissens fürs Kanzleramt kandidieren.

Trump als Präsident? Politik der Extreme würde noch verstärkt

Würde Trump vielleicht als Präsident anders reden und handeln als jetzt im Wahlkampfmodus?

Trittin: Nein. Hier gilt der Grundsatz: Erstens kommt es schlimmer und zweitens, als man denkt. Um seine Herrschaft zu legitimieren, müsste Trump sich immer weiter radikalisieren. Den Mechanismus dahinter kann man in Russland beobachten. Putins Herrschaft gründet auf seinem Sicherheitsversprechen. Deshalb hat er zuerst den Ausnahmezustand in Tschetschenien auf die Spitze getrieben. Um sich jetzt weiter zu legitimieren, muss er nachlegen. Trump wird all seine Versprechen wie stetes Wirtschaftswachstum von vier Prozent nicht halten können – daher würde er als Präsident versuchen, seine Politik der Extreme immer noch zu überbieten. So würden sich Konflikte verschärfen.

Es ist ja viel die Rede über Trump und weniger von Clinton – auch hier in unserem Gespräch. Wird das ihm nutzen und ihr schaden?

Trittin: Von Beginn ihres politischen Engagements an war Clinton hasserfüllten, antifeministischen Kampagnen ausgesetzt. Es heißt immer, sie erwärme nicht die Herzen. Das nervt mich. Sie kommt aus kleinen Verhältnissen, hat ein großartiges Examen gemacht, war eine erfolgreiche Anwältin – und man versucht permanent ihr irgendwelche Geschichten anzuhängen, die sich als unwahr herausstellen. Sie wird in eine lose-lose Situation gedrängt. Wenn sie sich verteidigt, heißt es, sie sei nicht ‚herzenswarm‘. Wenn nicht, heißt es, sie sei ‚schwach‘. Eine weitere Herausforderung für Clinton ist: Viele junge Leute, die Millenials, haben auf Bernie Sanders als demokratischen Kandidaten gehofft, weil sie sich eine deutlich linkere Politik wünschen.

Clinton wurde durch Sanders nach links gerückt.

Trittin: Ja, sie hat sich in vielen Punkten bewegt, zum Beispiel in der Frage Studiengebühren. Aber ob die Millenials dann tatsächlich zur Wahlurne gehen, ist unsicher. Das gilt für viele Wählergruppen: Noch ist unklar, wie stark die, von Trump eingeschüchtert, sich mobilisieren lassen.

Michelle Obama hat gesagt, ein Land sei danach zu beurteilen, wie es Kinder und Frauen behandelt. Hat sie Recht?

Trittin: Zweifellos ja.

Und wie ist die Situation in Deutschland?

Trittin: Chauvinismus und Frauenverachtung beobachten wir in allen entwickelten Gesellschaften leider immer noch. Genauso wie es dort überall rechtspopulistische Bewegungen gibt. Trump ist deshalb kein amerikanisches Spezifikum.

Letzten Endes hat Trump unglaublichen Erfolg damit, wo er jetzt steht. Erlebt Amerika gerade einen Trend, der auch in Europa sich breit machen könnte?

Trittin: Der Rechtspopulismus hat sich längst in Europa breit gemacht. Schon 2002 schaffte es der Kandidat des Front National in Frankreich in die Stichwahl um die Präsidentschaft. Seit Jahren beteiligen sich Rechtspopulisten in Dänemark an der Regierung, es gibt mit Orban in Ungarn einen autokratischen Herrscher mitten in Europa. Und wir haben eine kleine Insel wie Usedom, der geht es wirtschaftlich gut, die Einwohner haben kaum Kontakt mit Geflüchteten und wählen trotzdem zu 35 Prozent AfD.

Was hat die AfD, was Trump nicht hat? Und was hat Trump, was die AfD nicht hat?

Trittin: Die beiden operieren in unterschiedlichen politischen Systemen. Die deutsche Politik ist nicht derart personalisiert, sie folgt auch nicht dem Prinzip „The winner takes it all“. Die Ideologien hinter den beiden Phänomenen sind aber kompatibel.

Trittin: Populisten haben es in Deutschland schwerer

Und wenn für die AfD in Deutschland ein so genannter Gewinnertyp wie Trump anträte?

Trittin: Gott sei Dank basiert das politische System in Deutschland, aus unserer historischen Erfahrung heraus, auf checks und balances. Das erschwert es den Populisten durchzukommen. In der Vergangenheit ist es einem gelungen, und deshalb haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes viele Gedanken darauf verwendet, dass sich solche Durchmärsche nicht wiederholen.

Das sagten sich die Österreicher auch – und sie bekamen Jörg Haider.

Trittin: Haider kam in die Regierungsbeteiligung – danach rauschte seine FPÖ in den Keller. Dann haben es die österreichischen Demokraten versäumt, zu ihm eine überzeugende Alternative aufzubauen und sind den Rechtspopulisten hinterher gerannt. Das hat die FPÖ wieder stark gemacht. Man muss eben klare Kante zeigen.

Bilder: dpa