Flutopfer in Texas machen sich Sorgen um ihre Zukunft

Ein ausgebranntes Haus in Spring (USA), umgeben von Hochwasser. Foto: David J. Phillip
Ein ausgebranntes Haus in Spring (USA), umgeben von Hochwasser. Foto: David J. Phillip

Der Regen in Houston hat aufgehört, aber die Angst bleibt. Keiner weiß, wie viele Tote die zurückgehenden Fluten freigeben. Viele nicht ausreichend versicherte Bürger stehen vor dem Nichts.

Houston (dpa) - In den Überflutungsgebieten von Texas fürchten nach dem Tropensturm «Harvey» Hunderttausende Menschen um ihre Existenz. Mehr als 80 Prozent der Betroffenen sind nach einer Erhebung der «Washington Post» nicht gegen Flutschäden versichert.

Die marktüblichen Versicherungstarife deckten nur Schäden durch Wind wie abgedeckte Dächer ab, nicht aber Verwüstungen durch Hochwasser. Versicherungsexperten schätzen die entstandenen Sachschäden inzwischen auf einen zweistelligen Milliardenbetrag.

Während der Regen in Houston aufhörte, prallte Sturm «Harvey» am Mittwoch zum zweiten Mal auf Land - diesmal an der Grenze zwischen dem Osten von Texas und dem Westen des Bundesstaates Louisiana. Dort bereiteten sich Hunderttausende auf schwere Überflutungen vor. Der Bürgermeister der in der Zone gelegenen Stadt Port Arthur, Derrick Freeman, schrieb auf Facebook: «Die ganze Stadt ist unter Wasser.»

Neben vielen Verletzten wurden bis zum Mittwoch zehn Tote offiziell bestätigt, darunter ein ertrunkener Polizist. Der Sheriff des Harris County, Ed Gonzalez, bestätigte, dass sechs Mitglieder einer Familie in einem am vergangenen Sonntag von den Fluten mitgerissenen Kleinbus ums Leben gekommen sind. Es handelt sich bei den Toten um die Großeltern im Alter von 81 und 84 Jahren sowie um deren vier Enkelkinder im Alter zwischen sechs und 16 Jahren.

Inoffizielle Schätzungen kamen zu weit höheren Opferzahlen. Die «New York Times» schrieb am Mittwoch von 30 Toten, CNN von 24 Toten in Texas.

Der Nationale Wetterdienst der USA erwartet in Louisiana, wo bereits vor zwölf Jahren der Hurrikan «Katrina» die Gegend um New Orleans schwer getroffen hatte, örtliche Rekord-Regenmengen von mehr als 60 Zentimetern, jedoch nicht die extremen Regenmengen wie in Texas.

In Texas waren binnen weniger Tage bis zu 125 Zentimeter Regen gefallen. Dies bedeutet einen Rekord für das Festland der USA. Mehr Regen war zuvor nur einmal auf Hawaii gefallen. Zahlreiche Flüsse, darunter der Colorado, traten über die Ufer, Stauseen ergossen ihre Fluten über die Dämme. Einige Dämme wurden zur Entlastung bewusst geöffnet, was zu weiteren Überschwemmungen führte.

Der texanische Gouverneur Greg Abbott sagte, dass Katastrophengebiet sei viel größer, als es bei den Hurrikans «Katrina» und «Sandy» der Fall gewesen sei. Von den Folgen des Tropensturms seien auch viel mehr Menschen betroffen.

Am Mittwoch befanden sich nach Angaben des Gouverneurs 32.000 Menschen in Notunterkünften. 210.000 Menschen haben sich bereits für Nothilfe registriert. Die Katastrophenschutzbehörde FEMA legte Programme auf, die zumindest die nötigsten Reparaturen und Ersatz für verloren gegangenes Hab und Gut ersetzen sollen.

37 Millionen Dollar stünden bereits dafür zur Verfügung, sagte Abbott. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) errechnete mögliche Schäden von fast 58 Milliarden Dollar (48,7 Mrd Euro), Schäden etwa durch den Ausfall von Anlagen nicht mitgerechnet.

Der Hurrikan «Katrina» hatte Schäden in Höhe von mindestens 150 Milliarden verursacht. Abbott schätzte, dass diesmal mehr Staatshilfen notwendig sein werden.

Zahlreiche Prominente in den USA zeigten sich solidarisch mit den Flutopfern - auch finanziell. Schauspielerin Sandra Bullock stellte dem Roten Kreuz eine Million Dollar in Aussicht. Reality-Star Kim Kardashian will eine halbe Million zur Verfügung stellen. «Houston, wir beten für dich», schrieb sie auf Twitter. Auch viele Firmen wie Facebook, Amazon oder Walmart kündigten Millionenbeträge an.

Außerhalb von Houston stehen ganze Städte komplett unter Wasser. «Wir erwarten, dass der Wiederaufbau Jahre dauern wird», sagte die amtierende Heimatschutzministerin, Elaine Duke. Der Leiter der Katastrophenschutzbehörde FEMA, Brock Long, betonte: «Wir sind noch immer dabei, Leben zu retten.»

Die Rettungsmannschaften bargen in Texas in den vergangenen Tagen rund 8500 Menschen aus ihren überfluteten Häusern, die oft nur noch mit Booten oder Hubschraubern zugänglich waren. Nach Angaben des Gouverneurs waren 14.000 Mitglieder der texanischen Nationalgarde im Einsatz, sie hatten Zugriff auf 100 Helikopter und 500 Boote.

Zusätzliche 10.000 Mitglieder der Nationalgarde aus anderen Bundesstaaten waren unterwegs. Das Pentagon in Washington stellte zudem 30.000 Soldaten für die Aufräumarbeiten bereit. Es war aber unklar, ob Texas von dem Angebot Gebrauch machen wird.

Die schweren Verwüstungen waren nach Angaben von Kritikern auch durch eine verfehlte Baupolitik in der Gegend um Houston möglich geworden. Einst als Überlaufgebiete für Hochwasser vorgesehen, wurden große Bereiche in den vergangenen Jahrzehnten zugebaut, um dem großen Bevölkerungswachstum Rechnung zu tragen. Texas ist für seine extrem niedrigschwellige Regulierungspolitik bekannt.

Erst im Mai hatte Gouverneur Abbott ein Gesetz unterzeichnet, das es Versicherungen erleichtert, Forderungen von Kunden etwa bei Hagelschäden abzuweisen. Abbott verteidigte diese Entscheidung. Den Versicherungsnehmern entstünden keine Nachteile, sagte er.

Als Ausgleich für fehlende Versicherungsangebote hatte die US-Bundesregierung 1968 ein National-Flood-Insurance-Programm aufgelegt. So können Menschen in potenziellen Überflutungsgebieten eine vom Staat garantierte Versicherung abschließen. Das Programm war ursprünglich so angelegt, dass es sich selbst finanzieren sollte. Bis 2004 erwirtschaftete es sogar Überschüsse. In der Zwischenzeit gibt es jedoch so viele Flutereignisse in den USA, dass der Steuerzahler zuschießen muss. Das Programm ist deshalb in der Diskussion.

Neben den sichtbaren Schäden an Häusern, Fahrzeugen und Straßen dürfte «Harvey» auch «unsichtbare» Schäden in Milliardenhöhe verursacht haben. So ging etwa der Benzinpreis in den USA deutlich nach oben, weil wichtige Raffinerien in Texas stillstanden. Dies wiederum verursachte auch einen Einbruch der ohnehin unter Druck geratenen Rohölpreise, weil Raffinerien und andere Ölverarbeiter seit Tagen als Abnehmer ausfallen. Die Folgen sind noch nicht absehbar.

US-Präsident Donald Trump, der am Dienstag einen umstrittenen Besuch in den Flutgebieten um Corpus Christi absolviert hatte, will weitere Regulierungen auf Bundesebene eindampfen. In seinem Haushaltsvorschlag im Frühjahr hatte er unter anderem Kürzungen beim Wohnungsbauministerium und bei der Katastrophenschutzbehörde FEMA angekündigt. Das Ministerium ist für den Wiederaufbau zuständig. Auch die Klimaforschung soll zurückgefahren werden.

Trump hatte ferner erst am 15. August eine Direktive unterzeichnet, in der er die unter seinem Vorgänger Barack Obama verfügte Verpflichtung, beim Bau von Infrastruktur-Projekten auch Flutvorkehrungen mit zu bedenken, zurückfuhr.