Trotz Flaute 1,3 Millionen offene Stellen: So drückt der Mangel an Arbeitskräften Deutschland ab jetzt in die Dauerkrise
Schaut man in Deutschland aktuell auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt, ergibt sich ein zweigeteiltes Bild. Auf der einen Seite steht die miese Konjunktur. Das Land taumelt am Rande der Rezession. Zunehmend bauen Unternehmen Personal ab. Beispielhaft steht dafür der Fall Volkswagen. Deutschlands größter Autobauer schließt Entlassungen und sogar Werksschließungen nicht mehr aus.
Auf der anderen Seite suchen Firmen händeringend Personal. Im Sommerquartal fanden sie für 1,34 Millionen Stellen keine geeigneten Kandidaten. Das ergab eine Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Der Personalmangel bremst ihr Wachstum, verzögert das Abarbeiten von Aufträgen, verschlechtert die Versorgung der Menschen und den Ausbau der Infrastruktur.
Eigentlich müsste in der aktuellen Rezession die Arbeitslosigkeit steigen. In geringem Maße tut sie das auch. Im August waren in Deutschland 2,9 Millionen Menschen arbeitslos. Das waren rund 175.000 mehr als vor einem Jahr. Auch die Zahl der unbesetzten Stellen geht seit dem Rekord bei über zwei Millionen Anfang 2023 zurück. Anfang 2024 hatten Firmen dem IAB noch 1,5 Millionen offene Stellen gemeldet.
Es fehlt nicht an Arbeit, sondern an Arbeitskräften
Dennoch ist der Arbeitsmarkt viel stabiler als in früheren Krisen. Den grundlegenden Mangel an Arbeits- und Fachkräften wird der aktuelle Abschwung nicht beheben. Im Gegenteil: Es ist gerade dieser Mangel an Personal, der das Wachstum lähmt und Deutschland immer tiefer in eine Dauerkrise drückt. Unter der Oberfläche der flauen Konjunktur und wachsender Sorgen über Personalabbau wächst der Druck durch den demografischen Wandel. Deutschlands Bevölkerung altert, die Zahl der Menschen im Erwerbsalter schrumpft. Und beides geht nun sehr schnell.
Ein Indiz liefert die neue Konjunkturprognose des Ifo-Instituts. Die Ökonomen rechnen damit, das die deutsche Wirtschaft 2024 stagniert und auch 2025 nur minimal um 0,9 Prozent wächst. "Wir haben eine Krise", sagt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Eigentlich sollte dadurch die Arbeitslosigkeit deutlich steigen. Doch ifo rechnet damit, dass die Arbeitslosenquote in diesem Jahr zwar leicht von 5,7 auf 6,0 zunimmt - schon im nächsten Jahr aber wieder bis auf 5,3 Prozent fällt. Allen Meldungen über Personalabbau in einzelnen Unternehmen und Branchen zum Trotz.
Denn Deutschland geht nicht die Arbeit aus, sondern die Arbeitskräfte.
Die Babyboomer hinterlassen eine große Lücke
Jetzt wird es kritisch. In den nächsten Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in den Ruhestand. Jahr für Jahr scheiden dann hunderttausende Beschäftigte mehr aus dem Arbeitsleben aus als junge Menschen in den Beruf starten. Das Problem ist lange bekannt. Bevölkerungsprognosen lassen sich präzise erstellen. Doch die Gesellschaft stellt sich erst langsam darauf ein.
Das liegt auch daran, dass der Zustrom an Geflüchteten zuletzt aus der Ukraine die Bevölkerung in Deutschland noch einmal hat wachsen lassen. Das hat der Beschäftigung und damit der Wirtschaftskraft kurz geholfen. Doch es war nur eine Atempause im demografischen Abwärtstrend.
Immerhin versucht die Ampel-Regierung nun gegenzusteuern. Sie schafft Anreize für ältere Beschäftigte länger im Beruf zu bleiben. Sie bemüht sich um Bedingungen, die es Eltern erleichtern, häufiger Vollzeit und nicht Teilzeit arbeiten. Sie versucht, Geflüchtete früher in Arbeit zu bringen.
Das mag den demografischen Effekt mildern. Am Ende aber braucht Deutschland eine viel stärkere Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, um seine Wachstumskraft und damit seinen Wohlstand zu halten. Um die Arbeitskräftelücke zu füllen, müssten jährlich etwa 400.000 bis 500.000 Menschen aus den Ausland in Deutschland Job annehmen, sind Experten einig.
„Uns fehlen die Köpfe“: Besonders Ostdeutschland braucht mehr Zuwanderung
Besonders stark trifft diese Entwicklung Ostdeutschland. Die Bevölkerung ist dort älter als im Westen. Die Erwerbsquote bei Frauen ist bereits besonders hoch. Im nur wenigen Jahren sinkt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Ostdeutschland um 20 Prozent, sagt Ifo-Forscher Robert Lehmann. „Uns fehlen die Köpfe." Das ist die größte Gefahr für die wirtschaftliche Zukunft des Ostens".
Im gesamten Deutschland lähmt die Demografie die Wachstumskraft. Um mit weniger Menschen die gleiche Wirtschaftsleistung zu erzielen, müssten diese Menschen entweder mehr arbeiten oder ihre Produktivität müsste steigen. Doch die Produktivität geht im Gegenteil sogar zurück. In Deutschland wird zu wenig investiert. Auch dabei spielt laut Ifo-Ökonom Wollmershäuser die Alterung der Gesellschaft eine Rolle. Viele Unternehmen würden das Geschäft aufgeben, weil Nachfolger fehlen. Anderer fragten sich, wer denn künftig an den Maschinen stehen soll, in die sie jetzt investieren würden.
„Wir steuern auf eine Situation zu, dass die deutsche Wirtschaft überhaupt nur noch um 0,5 Prozent wachsen kann" - selbst bei Vollauslastung in konjunkturell starken Zeiten, warnt Wollmershäuser. Ein wichtiger Faktor für diese schwindende Wachstumskraft ist der zunehmende Mangel an Arbeitskräften.