Schiefer Deutschland-Vergleich: Trump drängt auf Schul-Öffnungen
US-Präsident Donald Trump gerät politisch immer mehr unter Druck. Nun drängt er auf eine Öffnung der Schulen und nimmt dabei ausgerechnet Deutschland als Vorbild.
Die Wiedereröffnung der Schulen ist ein emotionales Thema, auch in den USA. Jetzt will Donald Trump die öffentlichen Schulen zu einer Wiederaufnahme des Schulbetriebs drängen. Dabei bedient er sich als Druckmittel allerdings eines denkbar schiefen Vergleiches mit europäischen Ländern, darunter auch Deutschland.
Pandemie wütet weiter: Keine Entspannung der Corona-Zahlen in den USA in Sicht
Insgesamt wird sein politischer Ton martialischer, die ohnehin tiefen Gräben in den USA vertiefen sich. Denn die Wahlen rücken näher und in fast allen Umfragen liegt er deutlich hinter seinem demokratischen Kontrahenten Joe Biden. Gleichzeitig erschüttert die offen ausgetragene Rassismusdebatte die USA. Und dann wäre da auch noch die Corona-Pandemie, in der sich die Trump-Regierung nicht gerade durch ihr Krisenmanagement hervor getan hat. Nach wie vor wird das Virus klein geredet, Wissenschaftler nicht ernst genommen und die Maskenpflicht hauptsächlich als harscher Einschnitt in die persönliche Freiheit wahrgenommen. Mit Fakten geht Trump in seinen Briefings und Tweets eher großzügig um. So behauptete er entgegen jeder wissenschaftlichen Aussage, dass “99 Prozent” aller Corona-Erkrankungen völlig harmlos verliefen und brachte damit seine eigenen Berater in die Bredouille.
Haben wir da was verpasst?
Nun drängt er auf eine weitere Öffnung des Landes. Im Auge hat er dabei offenbar die Schulen und macht mit einem erstaunlichen Vergleich Druck. In einem Tweet behauptet Trump, dass die Schulen in “Deutschland, Dänemark, Norwegen und Schweden” geöffnet seien und das “ohne Probleme”. Dann versucht er, den Demokraten eine hinterlistige Taktik in die Schuhe zu schieben. Diese würden die Schulen absichtlich geschlossen halten wollen, um die Stimmung gegen ihn bis zu den Wahlen im November anzuheizen. Er hingegen habe nur das Beste im Sinne für Kinder und Familien. Gleichzeitig aber droht er in dem Tweet, den ohnehin chronisch unterfinanzierten Schulen die finanziellen Mittel zu streichen, wenn sie seiner Anweisung zur Öffnung nicht folgen sollten.
In Germany, Denmark, Norway, Sweden and many other countries, SCHOOLS ARE OPEN WITH NO PROBLEMS. The Dems think it would be bad for them politically if U.S. schools open before the November Election, but is important for the children & families. May cut off funding if not open!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) July 8, 2020
Außer Acht hat Trump in seinem Vergleich mit den europäischen Vorbildern allerdings gelassen, dass die Vorraussetzungen völlig unterschiedlich sind. Schweden - das als einziges der genannten Länder Schulen bis zur achten Klasse durchgehend geöffnet ließ - fällt ohnehin durch seine eigenwillige Corona-Politik heraus, die dem Land vergleichsweise sehr hohe Infektionszahlen beschert hat.
Aber auch in Norwegen, Dänemark und Deutschland lief und läuft die Wiederaufnahme des Schulbetriebs keineswegs “ohne Probleme” ab, wie Trump behauptet. Obwohl alle drei Länder in den vergangenen Wochen durch Social Distancing und andere Maßnahmen relativ niedrige Ansteckungszahlen aufweisen können, ist der Schulbetrieb längst nicht zum normalen Standard zurück gekehrt.
Merkel mahnt Richtung Trump: “Eine Pandemie lässt sich nicht mit Lügen bekämpfen”
Die meisten Schulkinder gehen nur einige Tage in der Woche in die Schule, dort findet der Unterricht in Kleingruppen oder zumindest streng nach Klassen getrennt statt. Pädagogen fürchten schon jetzt um die Langzeitfolgen für viele Schüler durch den verpassten Unterricht. Dass sein Vergleich hinkt, ließen den US-Präsidenten die User auf Twitter direkt wissen. Vor allem die extrem viel höheren Ansteckungszahlen in den USA, die seinen Vergleich ad absurdum führen, waren Thema in den Antworten auf Trumps Tweet.
— Mia Farrow (@MiaFarrow) July 8, 2020
Gee how are we different from those counties? pic.twitter.com/atmEMnaJ4C
— Amy Siskind 🏳️🌈 (@Amy_Siskind) July 8, 2020
Auch aus den erwähnten Ländern meldeten sich User zu Wort, um die Fakten zu korrigieren.
Hi from Norway.
When we opened our schools (slowly and gradually) in April, we had an average of 50 new cases a day, in the entire country. Getting kids back to school was the number one priority, before churches, bars and restaurants. You had 60,000 new cases yesterday.— Ida Skibenes ❄️ (@ida_skibenes) July 8, 2020
Hallo aus Norwegen. Als wir unsere Schulen (langsam und Schritt für Schritt) im April geöffnet haben, hatten wir im ganzen Land im Schnitt 50 neue Fälle am Tag. Die Kinder wieder in die Schule zu bringen hatte dabei höchste Priorität, vor Kirchen, Bars und Restaurants. Sie hatten gestern 60.000 neue Fälle.
In Germany not all our schools are open. Only Parts of it, only some of the older kids. They wear masks, they have to sit far away or classes were split up. And if there's any case, school is closed again at least 14 days... Don't use us for your lies!
— Nimsaj (@Nimsaj7) July 8, 2020
In Deutschland sind nicht alle Schulen geöffnet, nur teilweise und nur für ältere Kinder. Sie tragen Masken und müssen weit auseinander sitzen oder die Klassen wurden aufgeteilt. Und wenn es nur einen neuen Fall gibt, wird die Schule wieder mindestens 14 Tage lang geschlossen... missbrauche Sie nicht uns für Ihre Lügen!
Schauspielerin Maura West schrieb, sie schicke ihr Kind erst dann wieder zur Schule, wenn auch Trumps jüngster Sohn Barron ebenfalls eine öffentliche Schule besuche:
When Barron is enrolled at a public school and attends a brick and mortar school...lemme know... ONLY then can you even suggest that my children attend. You are careless and reckless...but you will NOT get your tiny hands on my kids!
— Maura West (@MauraWest) July 9, 2020
Lass mich wissen wenn Barron an einer öffentlichen Schule eingeschrieben ist und diese auch vor Ort besucht... nur dann kannst du auch nur vorschlagen, dass meine Kinder hingehen. Du bist sorglos und rücksichtslos... aber du wirst meine Kinder nicht in die winzigen Finger kriegen!
Patriotische Gesten und neue Feindbilder
Um seine Anhänger zu mobilisieren und den Trend in den Umfragen doch noch in den nächsten Monaten umzukehren, ist Trump anscheinend jedes populistische Mittel recht. In seiner Rede zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli warf Trump noch einmal alles in den Ring. Er hatte zum symbolträchtigen Mount Rushmore in South Dakota geladen, jenem Monument legendärer Präsidenten, zu denen er sich offensichtlich auch zählt. Dort versprach er seinen Anhängern, die Geschichte der USA zu beschützen, die Werte zu bewahren und sich gegen den angeblichen neuen Totalitarismus von Links mit allen Mitteln zu wehren. Der Feind wohnt im Inneren ist seine Botschaft. Außerdem will er einen Statuenpark mit den größten Persönlichkeiten der US-amerikanischen Geschichte errichten lassen.
Tulsa: Corona-Infektionszahlen seit Trump-Auftritt deutlich gestiegen
Mit großen patriotischen Gesten will er seinem ursprünglichen Wahlkampf-Motto “Make America Great Again” gerecht werden. Doch die Realität sieht im Juli 2020 anders aus. Mehrere führende Republikaner verkündeten mittlerweile, nicht für ihn stimmen zu wollen. Die Arbeitslosenzahlen sind durch die Corona-Krise auf Rekordniveau gestiegen. Auch bei den nachgewiesenen Infektionen und Todesopfern sind die USA einsame Weltspitze. Zuletzt stiegen die Zahlen vor allem im Süden und Mittleren Westen an, auch in Tulsa im US-Bundesstaat Oklahoma gab es einen rapiden Zuwachs an Infektionen. Dort hatte Trump seine erste große Wahlkampfveranstaltung abgehalten. Natürlich ohne Maskenpflicht.
Video: Trump geht auf Kuschelkurs mit mexikanischem Präsidenten