Türkischer Überfall auf Nordsyrien: Mit Kriegsverbrechen gegen die Kurden

Die syrischen Hilfstruppen der Türkei verstoßen laufend gegen jegliches Kriegsrecht (Bild: Reuters/Khalil Ashawi)
Die syrischen Hilfstruppen der Türkei verstoßen laufend gegen jegliches Kriegsrecht (Bild: Reuters/Khalil Ashawi)

Vor sechs Tagen hat der türkische Diktator Erdogan, kaum dass US-Präsident Trump den Weg freigemacht hatte, den friedlichen Norden Syriens völkerrechtswidrig überfallen lassen. Völkerrechtswidrig ist sein Vorgehen deshalb, weil aus Syrien zuvor keine Angriffe auf die Türkei stattgefunden hatten; “überfallen lassen”, weil derzeit - sieht man von Luftangriffen ab - gar keine türkischen Soldaten auf syrischem Boden kämpfen, sondern ausschließlich dschihadistische Söldner im Auftrag der Türkei.

Es ist eine bunt zusammengewürfelte Auswahl salafistischer Terroristen, darunter auch Ex-IS- und Al-Qaida-Kämpfer, die nur auf die Gelegenheit gewartet hatten, Gräueltaten an Christen und “Ungläubigen” verüben zu können, die jetzt endlich zur blutigen Tat schreiten. Schon vor dem Überfall hatten Söldner lauthals verkündet, dass sie sich nicht an internationales Recht halten und jeden “Ungläubigen mit dem Schwert töten” werden – in bester “Tradition des Propheten Mohammed” (Zitat eines Anführers der Dschihadisten), und somit scheinbar legitim. Nicht von ungefähr war ihr Schlachtruf beim Vorrücken auf die türkisch-syrische Grenze daher auch das typische “Allahu Akbar!” (“Allah ist der Größte!”), untermalt von diversen Ausrufen, die man sonst nur von der Terrorgruppe “Islamischer Staat” (IS alias Dai‘sh) kennt.

Das also sind sie, die eigentlichen Verbündeten unseres “NATO-Partners” Türkei. Noch im Vorfeld des Einmarschs dieser dschihadistischen Erdogan-Söldnerarmee in Rojava, wie Nordsyrien auch genannt wird, bombardierte die Türkei diverse Ziele – etliche davon waren in keiner Weise militärische, sondern rein zivile. Schon diese Bombenangriffe stellten schwere Kriegsverbrechen da. Betroffen war unter anderem ein Wohnviertel der Christen in der Grenzstadt Qamishlo, wo diverse Zivilisten durch türkische Geschosse schon in der ersten Angriffsnacht den Tod fanden. Nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ISTGH), Artikel 8, Absatz 2b I, II & IV, handelte es sich dabei um einen klar verbotenen Angriff.

Auch flog die Türkei gezielte Attacken auf diverse medizinische Stationen und Krankenhäuser in Nordsyrien, welche nach Artikel 8, Absatz 2b, IX des Statuts ebenso streng verboten sind - ein weiteres schwerwiegendes Kriegsverbrechen, ebenso wie die am zweiten Tag der Operation erfolgte Bombardierung eines Staudamms, der für die Trinkwasserversorgung der Menschen in der Region Hasaka überlebensnotwendig ist (Absatz 2b XXV, “Aushungerung”). Ein gezielter Angriff auf die Großbäckerei von Qamishlo am selben Tag rundete dann die alleine in der zweitägigen Anfangsphase verübten initialen Kriegsverbrechen der Türken ab.

Damit nicht genug: Im türkischen Fernsehen erklärte Erdogan persönlich, dass er die Kämpferinnen und Kämpfer der SDF (Demokratische Kräfte Syriens) nicht als Menschen ansehe und sie zu töten seien. Auch diese Aussage stellt streng betrachtet ein Kriegsverbrechen dar, weil nach Absatz 2b, XII des erwähnten Statutartikels jede Erklärung, wonach “kein Pardon gegeben wird”, verboten ist. Es ein nicht zu überbietender Hohn: Der türkische Präsident rechtfertigt die militärische Intervention als “Krieg gegen Terror” - und schickt Terroristen Seite an Seite mit seiner Luftwaffe in den Kampf.

Auch vor der eigenen kurdischen und christlichen Bevölkerung im Süden der Türkei machte Erdogan nicht halt: Er ließ die Stadt Nusaybin - auf türkischem Staatsgebiet, direkt gegenüber Qamishlo gelegen - durch die eigene Armee unter Feuer nehmen; über ein Dutzend Einwohner kam dabei ums Leben. Die gleichgeschaltete türkische Presse musste daraufhin berichte, dass es kurdische SDF-Einheiten gewesen seien, die Nusaybin angegriffen hätten - obwohl die Geschosse aus türkischer Produktion stammten und sämtliche zugegenen Zeugen erklärten, es sei eindeutig die türkische Armee gewesen, die geschossen habe.

Auch die von der Bevölkerung direkt ins Internet hochgeladenen Fotos der Angriffe lassen keinen Zweifel daran übrig, dass es die eigene türkische Armee war, die hier auf ihre Landsleute feuerte. Besonders perfide ist in diesem Zusammenhang der Auftritt einer türkischen Staats-”Journalistin” zu nennen, die die kurdische Bevölkerung aufforderte, gegenüber ausländischen Beobachtern und Berichterstattern nur vorformulierte Texte zu äußern und kein Wort über die “False Flag”-Operation der türkischen Armee (TSK) zu erwähnen; andernfalls sei mit “polizeilicher” Verfolgung zu rechnen. Diese Warnung verfehlte ihre Wirkung nicht, bedeutet in der Türkei die Drohung mit der Polizei doch nichts anderes als drohende Verschleppung, Vergewaltigung und Ermordung durch die seit jeher kurdenfeindliche Staatsmacht.

Türkische Angriffe auf die Grenzstadt Nusaybin durch die eigene Regierung waren für die dortige Bevölkerung übrigens nichts Neues: Schon im April 2016 hatte Erdogan die Stadt, als Strafaktion für das dortige hohe Abschneiden der pro-kurdischen Partei HDP bei den Parlamentswahlen, von seiner Armee unter Feuer nehmen und einige ihrer Stadtviertel zerstören lassen. Der Autor dieses Artikels war damals Augenzeuge dieser Verbrechen an der eigenen Bevölkerung und dokumentierte die Angriffe der türkischen Armee mittels Facebook-Livestream, trotz türkischer Scharfschützen an der Grenze, die das verhindern wollten.

Kaum war am Wochenende diese erste Phase türkischer Luftangriffe auf Rojava und teilweise auch eigene Grenzstädte abgeschlossen, folgte mit dem Einmarsch der dschihadistischen Söldnerarmee unter türkischem Oberbefehl die nächste Stufe der Eskalation von Kriegsverbrechen; als Beispiel ist hier der gut dokumentierte Angriff - die Täter filmten stolz ihre Verbrechen! - auf der syrischen Autobahn A4 zu nennen: Das Auto der kurdischen Politikerin und Frauenrechtlerin Havrin Khalaf (obwohl klar als Zivilistenfahrzeug erkennbar) wurde von Erdogans Terrorverbündeten beschossen und gestoppt. Die Insassen – Khalaf selbst, ein Begleiter und ihr Fahrer – wurden gewaltsam aus dem Auto gezerrt, brutal zusammengeschlagen und gefesselt.

Spätestens in diesem hilflosen Zustand wäre von den Gefangenen keine Gefahr mehr ausgegangen; selbst wenn sie zuvor tatsächlich nicht als Zivilisten erkannt worden sein sollten, wären sie ab diesem Punkt zumindest als Kriegsgefangene zu behandeln gewesen, womit sie durch die Genfer Konvention ebenso wie durch das erwähnte IStGH-Statut Schutz genießen. Doch die Dschihadisten verhielten sich so, wie man dies aus der jüngsten Vergangenheit auch von der türkischen Armee kennt: Sie richtete die wehrlosen Gefangenen am Straßenrand hin, schändeten ihre Leichen und trennte ihnen unter anderem die Köpfe ab. All dies stellen lupenreine Kriegsverbrechen im Sinne des zitierten Statuts dar (Artikel 8, Absatz 2a I & II bzw. Absatz 2b VI).

Die perfide Vorgehensweise der islamistischen Erdogan-Waffenbrüder reicht jedoch noch weiter: Neuerdings tarnen sich die dschihadistischen Söldner der Türkei, laut wiederholten Meldungen der Verwaltung Nordsyriens, mit Uniformen der SDF, um so unerkannt weiter ins Landesinnere vorzudringen und dort weitere Gräueltaten an Zivilisten zu verüben. Derartige Uniformtäuschungen sind nach Absatz 2b, VII des Statuts ausdrücklich verboten und gelten ebenfalls als Kriegsverbrechen.

Die – angeblich “versehentliche” – Bombardierung von Gefängnissen, in denen die YPG-Einheiten der nordsyrischen Kurden die während des Anti-IS-Feldzugs gefangengenommenen Dschihadisten verwahrt hatten, diente planmäßig dem Zweck, diese Terrorkrieger freizusetzen, damit sie Erdogans Soldateska tatkräftig verstärken. Für die kurdischen Einheiten ist dies eine doppelte Katastrophe: Erneut müssen sie sich gegen die Mörder verteidigen, die sie schon einmal fast im Alleingang, auch zum Segen des freien Westens, bezwungen hatten. Erneut blicken sie in die von Erdogan entfesselte Fratze des dschihadistischen Terrors; Milizen wie die Ahrar al Scharqija verüben auf ihrem Feldzug unfassbare Horrortaten an Zivilisten, wie aktuell sogar die FAZ berichtet; es ist ein Rückfall in die dunkelsten Tage des “Kalifats”.

Der “Friedenskorridor”, den Erdogan ausrufen will, um ihn später angeblich mit Teilen der 3 Millionen aktuell in der Türkei ausharrenden syrisch-arabischen Flüchtlinge neu zu besiedeln, wird zunehmend zur Todeszone. Man sollte angesichts all dieser Fakten annehmen, dass die internationale Staatengemeinschaft endlich hart interveniert; doch weit gefehlt. Vor allem die deutsche Außenpolitik schert sich wieder einmal einen feuchten Kehricht um Menschenrechte und Kriegsverbrechen. Dieselbe zynische Haltung wurde schon in der Iran-Politik Berlins deutlich: Für die Bundesregierung geht es wie immer nur um Wirtschaftspolitik.

Viele der türkischen Hilfstruppen sind dschihadistisch geprägt (Bild: Reuters/Khalil Ashawi)
Viele der türkischen Hilfstruppen sind dschihadistisch geprägt (Bild: Reuters/Khalil Ashawi)

Wer mit ansah, wie sich Außenminister Heiko Maas vor den Kameras herauswand mit faden Erklärungsversuchen, warum zwar einzelne Waffenlieferungen auf den Prüfstand gehörten, wieso jedoch kein allgemeines Waffenembargo geplant sei, der ahnt: Die deutsche Politik kann gar nicht mehr frei entscheiden. Längst ist sie durch den EU-Flüchtlingsdeal, durch wirtschaftliche Abhängigkeiten und nicht zuletzt durch den erheblichen Einfluss des Erdogan-Regimes auf die hier lebenden Türken - und damit auf die deutsche Innenpolitik - erpressbar geworden bzw. glaubt, erpressbar zu sein. Man darf gespannt sein, wie sich Berlin aus der Affäre ziehen will, sollte Erdogan – wie angekündigt – im Falle von tatsächlichen oder nur behaupteten Gegenangriffen der syrischen Assad-Zentralregierung auf sein Territorium den NATO-Bündnisfall ausrufen.

Wenn schon die deutsche Regierung nicht handelt, so demonstrieren immerhin andere Institutionen klare Kante und zeigen, dass die schrecklichen Bilder aus Rojava sie nicht unberührt lassen: Nach seinen schamlosen Solidaritätsbekundungen mit dem Blut-und-Boden-Nationalismus und den Kriegsverbrechen Erdogans stellte gestern der FC St. Pauli seinen Profi Cenk Sahin frei, der für den Vernichtungskrieg geworben hatte – eine richtige und wichtige Geste, der hoffentlich andere Vereine und der DFB in jedem einzelnen Fall folgen werden.

Und auch die Volkswagen AG beweist Haltung: Der Konzern prüft, den geplanten Bau eines Werks im westtürkischen Izmir mit Milliardeninvestitionen abzusagen; käme es tatsächlich zum Platzen des Kontrakts, so wäre dies eine verantwortungsbewusste Handlung – und eine deutliche Botschaft an die Adresse Ankaras.

Kaum verwunderlich ist hingegen, dass von der Siemens AG, die ebenso Milliarden in den Terrorstaat Türkei investieren will, in dieser Richtung natürlich nichts zu vernehmen ist: Ihr Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser ist bekannt für sein “pragmatisches”, enges Verhältnis zu Diktaturen und Regimes, wie erst wieder sein kürzlicher “Rat” an den Westen zeigte, sich angesichts der Hongkong-Proteste mit Kritik an Chinas Führung “zurückzuhalten”.