TV-Doku deckt auf: Ist der Verfassungsschutz "auf dem rechten Auge blind"?

Rechtsextremismus, Islamismus, Cyberkriminalität: Der Verfassungsschutz kämpft gegen vielfältige Bedrohungen. Doch funktioniert sein "Frühwarnsystem" wirklich? Und ist er auf dem rechten Auge blind, wie mancher Kritiker meint? Eine Doku hakt nach.

Kann es sein, dass der deutsche Verfassungsschutz "auf dem rechten Auge blind" ist? Diesem Vorwurf sieht sich die Institution spätestens seit dem NSU-Terror ausgesetzt. Überhaupt schienen rechtsextreme Umtriebe in den letzten Jahren nicht im Fokus zu stehen, wie auch in der Dokumentation "Früh.Warn.System" beklagt wird, die ARTE am 13.10. als Erstausstrahlung gezeigt hatte und nun im Ersten wiederholt wird (Mittwoch, 21.10., 22.50 Uhr, sowie in den Mediatheken beider Sender). Der Titel des Films von Christian H. Schulz und Rainald Becker bezieht sich auf das Selbstbild des Verfassungsschutzes, die Gesellschaft vor den Gefahren für die Demokratie zu warnen, bevor es zu spät ist. Neben dem rechten Extremismus betrifft das auch den Islamismus und die in der Doku beleuchtete Cyberkriminalität. Allein: Schützt der Verfassungsschutz wirklich?

"Keine dieser Taten hat der Verfassungsschutz vorausgesehen", heißt es an einer Stelle des zwar ein wenig sensationslüstern inszenierten, doch zugleich hochinformativen Films. Die Aussage bezieht sich auf die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrundes", die von den Behörden erst Jahre später, mehr oder minder zufällig, aufgeklärt werden konnten. Die Schlussfolgerung: "Das Frühwarnsystem funktioniert nicht". "Mutwillig kleingeredet" habe der Verfassungsschutz die Entwicklung hin zu einem enormen Anstieg rechtsextremer Straftaten, sagt auch ein Insider, der als Journalist undercover arbeitet, im Film.

Der NSU, das Attentat auf Walter Lübcke, die mörderischen Angriffe in Halle und Hanau - jeweils blieben die Drahtzieher unter dem Radar des Verfassungsschutzes. Dass nicht nur islamistischer, sondern auch rechtsextremer Terror die Demokratie bedrohe, sieht auch der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, ein. Zunächst jedoch musste er den Kurs seiner Behörde dahingehend ändern. Immerhin: Mittlerweile hat diese auch die verfassungsfeindlichen Tendenzen in der AfD auf dem Schirm, wie der Film dokumentiert.

"Ich will den Verfassungsschutz abschaffen"

Dabei liefert die detailliert recherchierte Dokumentation tiefe Einblicke in Arbeits-, Organisations- und Funktionsweise eines Geheimdienstes, den es als solchen eigentlich "gar nicht gibt", wie es im Film mit Anspielung auf die förderale Struktur heißt. Begleitet wird unter anderem der thüringische Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer, der selbst schon antisemitisch beschimpft wurde, Morddrohungen erhalten hat und nun dabei ist, den rechten Strukturen des Bundeslandes auf den Grund zu gehen. Zu Wort kommt dabei auch besagter Investigativ-Journalist Thomas Kuban, der in der rechten Szene Thüringens jahrelang undercover recherchierte.

Genau dort, in Thüringen, agierte auch der NSU unentdeckt - laut Film der "katastrophale Vertrauensverlust", das "9/11 der deutschen Sicherheitsbehörden". Laut der Linken-Abgeordneten Katharina König-Preuss habe der Verfassungsschutz des Bundeslandes so gut wie alle nötigen Informationen besessen. Er sei "mit dafür verantwortlich, dass zehn Menschen umgebracht wurden". Auch andere glauben, dass der Verfassungsschutz eher Teil als Lösung des Problems ist. Preuss geht sogar so weit zu sagen: "Ich will den Verfassungsschutz abschaffen".

Gefahr in der virtuellen Welt

Ein wenig befremdet es zunächst, dass die Doku neben dem Neonazi-Terror und den islamistischen Gefährdern als drittes großes Thema auch die "Schnittstelle von Gaming und Terrorismus" in den Blick nimmt. Computerspieler also mal wieder als Sündenböcke, die man in eine Reihe mit rechtsextremen Mördern stellen kann? Nicht ganz: Beleuchtet wird insbesondere die Gefahr, die von der Vernetzung im Internet sowie von ausländischen Hackern ausgeht. Die Bedrohung der Demokratie - sie lauert laut Verfassungssschutz mittlerweile in großem Maße in der virtuellen Welt.

Zu Wort kommen neben zahlreichen Verfassungsschutz-Mitarbeitern auch Aussteiger sowie Experten wie der Politikwissenschaftler Thomas Grumke und der Journalist Heribert Prantl, demzufolge der Verfassungsschutz auch "selber Gefahren schafft". Thematisiert wird zudem die Verfassungstreue der Angestellten - brisant gerade aktuell angesichts rechter Netzwerke in staatlichen Institutionen. Das große Narrativ vom allwissenden Verfassungsschutz, der immer richtig liegt, scheint schon lange auserzählt. Dass der mutige Film die grundlegenden Prinzipien und Säulen des Inlandsgeheimdienstes hinterfragt, dass er zu Recht die Schwerpunkte und die Effektivität der Behörde anzweifelt, ist in jeder Hinsicht mehr der Demokratie verpflichtet als die kritiklose Hinnahme des Handelns einer so entscheidenden Staatsbehörde.

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