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Perfekt inszeniert: Die große Erdogan-Show der ARD

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Soll mal einer sagen, die große Samstagabend-Show im deutschen Fernsehen ist tot. Sicher: Es war am späten Montagabend, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sein buntes Potpourri der Unterhaltung präsentieren durfte.

Aber abgesehen von Wochentag und Uhrzeit hatte Erdogans Gala alles, was man als Zuschauer von einem solchen TV-Event erwartet: Glanz (Als Bühne diente der prächtig dekorierte Präsidentenpalast), Spannung („Unser Volk will die Todesstrafe“) und eine Prise Humor („Bei uns ist alles rechtsstaatlich“). Mit anderen Worten: Eine Mischung aus „Einer wird gewinnen“, „Wetten das?“ und „Verstehen Sie Spaß?“. Auch die Rolle des Sidekicks hatte die ARD prominent besetzt. Statt Manuel Andrack, Michelle Hunziker oder Elton lieferte Showpraktikant Sigmund Gottlieb die passenden Stichworte.

„ARD-Exklusiv-Interview“ hatte der Sender seine Sause bescheiden betitelt. Doch für ein solches Format hätte Gottlieb ernsthafte Fragen stellen müssen. Beispielsweise was Erdogan zu den aktuellen Foltervorwürfen von Amnesty International sagt. Ob er türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten tatsächlich Blutproben abnehmen lassen möchte. Wie er sich zu den Mordaufrufen gegen deutsche Parlamentarier positioniert. Warum er glaubt, der Konflikt mit den Kurden sei militärisch zu lösen. Weshalb er Journalisten verhaften, Schüler verklagen und ein Spottgedicht in eine Staatsaffäre verwandeln lässt. Gesprächsstoff gäbe es genug.

Sigmund Gottlieb hatte sich für eine andere Variante entschieden. Der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks verstand sich eher als Beiwerk von Erdogans One-Man-Show. Kostprobe gefällig? Dann schalten wir mal hinein:

Erdogan: „Herzliche Grüße an alle, die sich das Interview anschauen.“

Gottlieb: „War der Militärputsch die kritischste Situation in ihrem Leben?“

Erdogan: „Ja, das war der kritischste Punkt meines politischen Lebens.“

Gottlieb: „Man hat den Eindruck gewonnen, dass Sie gut auf den Putsch vorbereitet waren, so als hätten Sie davon gewusst. Hatten Sie einen Plan?“

Erdogan: „Wir hatten Informationen vom Geheimdienst. (…) Es war alles rechtsstaatlich.“

Gottlieb: „Sie haben eine wunderbar junge Bevölkerung in Ihrem Land. Sie haben aber nicht nur im Militär durchgegriffen, sondern auch Lehrer und Professoren entlassen. Wie wollen Sie die Lücke in der Bildungselite schließen?“

Erdogan: „Es wird keine Lücke geben. Wir werden 20.000 neue Lehrer einstellen.“

Diesen Ton hielten beide eine halbe Stunde lang durch. Gottlieb interessierte sich weniger dafür, wovon die gefeuerten Lehrer, Staatsanwälte und Richter künftig leben sollen oder ob sie ein faires Verfahren zu erwarten haben. Stattdessen liebedienert er: „Herr Präsident, Sie waren der Mann, der die Türkei in eine große wirtschaftliche Blüte geführt hat, jetzt überlegen viele europäische Unternehmer, ob sie weiter investieren“, um dann knallhart zu fordern: „Sie müssen sich, Herr Präsident, etwas einfallen lassen.“

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Vorläufiger Höhepunkt: Sigmund Gottlieb nennt einen Despoten, der sein Land rigoros zur Diktatur umbaut, ernsthaft „entscheidungsstark“. Diese Formulierung dürfte unter dem Buchstaben E wie Euphemismus Eingang in künftige Lehrbücher des Journalismus finden.

Erdogan sagt, was er seit Tagen sagt. Schuld an allem Übel habe die Bewegung seines früheren Freundes Fethullah Gülen. Am Ende gab Medienethiker Erdogan der öffentlich-rechtlichen Investigativ-Ikone Gottlieb noch einen Wunsch mit auf den Weg: „Ich hoffe, es wird nichts gestrichen aus diesem Interview.” Wenigstens hier hätte Gottlieb antworten können, dass es in Deutschland Sache von Journalisten sei, Beiträge zu kürzen – so lange dadurch Sinn und Zusammenhang nicht verfälscht werden. Stattdessen sagte Gottlieb: „Bei der ARD wird nichts gestrichen.“ Schön. Leider wird bei der ARD auch nicht zwischen Interview und Inszenierung unterschieden.

(Autor: Frank Brunner)

Foto: Screenshot ARD

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