TV-Experiment lässt Religionen in "Glaubens-WG" aufeinandertreffen
Der Wunsch nach einem harmonischen Zusammenleben der Weltreligionen ist ein uralter Traum. Doch in der Realität ist dieses Ideal selten erreicht worden und meist nur von kurzer Dauer. Konflikte, Vorurteile und Hass prägen in vielen Regionen der Welt das Miteinander der Glaubensrichtungen, oft bis hin zu Vertreibung, Mord und Krieg. Auch in Deutschland kämpfen wir trotz intensiver Aufklärungsbemühungen gegen gegenseitige Vorurteile und Ablehnung.
Wie lässt sich diesem Misstrauen begegnen? Während gemeinschaftliche Feste und Kooperationen traditionelle Ansätze zur Annäherung bieten, wagt das ZDF mit dem neuen Format "Against All Gods" einen innovativen Schritt. Am Sonntag, den 15. September um 09:03 Uhr, werden Anhänger unterschiedlicher Weltreligionen und eine Nicht-Gläubige in einer Glaubens-WG aufeinandertreffen. Dieses einzigartige TV-Experiment verspricht, neue Perspektiven zu eröffnen und lehrreiche Einblicke in das Zusammenleben von Gläubigen und Nicht-Gläubigen zu bieten.
"Die Glaubens-WG ist kein Wettbewerb"
Treffen sich ein Jude, ein Muslim, eine Katholikin, eine Hinduistin, ein Buddhist und eine Nichtgläubige ..: Was klingt wie der Beginn eines klassischen Witzes, beschreibt das ZDF als "Sozialexperiment". Sechs junge Menschen, allesamt so strenggläubig wie aufgeschlossen, sollen sechs Tage und Nächte lang zusammenleben - um herauszubekommen, "was sie trennt und eint - und um gründlich aufzuräumen mit falschen Klischees und Vorurteilen". Können wir uns überhaupt eine Welt vorstellen, in der die Religionen friedlich mit- oder nebeneinander existieren? "Against All Gods" soll Antworten auf diese Frage ausloten. Ein hochgestecktes Ziel für ein Format, das zunächst an Reality-TV-Klassiker wie "Big Brother" erinnert: Diverse Charaktere mit überaus unterschiedlichen Ansichten leben auf engstem Raum zusammen, werden dabei von Kameras begleitet und müssen kleine Herausforderungen meistern.
Ein Religions-"Big Brother" also? Nein, klären die Macher auf. "Denn die Glaubens-WG ist kein Wettbewerb, und es wird nicht rund um die Uhr gefilmt." Es gibt nur bemannte Kameras, kein Voting und keine Wahl. "Es geht um Authentizität bei gleichzeitiger Rücksichtnahme." Ähnlich lesen es die Bewohnerinnen und Bewohner denn auch auf einem Zettel, der bei ihrem Einzug die Richtung vorgibt: "Menschen sollen mit- und nicht übereinander reden."
Und so sieht das Publikum zunächst vor allem sechs sehr offenherzige junge Leute, die sich im hippen Berliner Loft kennenlernen - und in den nächsten Tagen nicht nur miteinander auskommen, sondern in jeder Folge auch über ein anderes heikles Thema wie Sünde und Vergebung, Liebe und Sex, Leben und Tod sowie Krieg und Frieden diskutieren sollen. Nicht zu vergessen die etwas provokante Frage: "Wie viel Alman steckt in Dir?".
"Religionen sind für mich moderne Sekten"
Die kleinen und großen Herausforderungen, denen sich die sechs temporären WG-Mitglieder stellen müssen, werden gleich zu Beginn offenbar: Muslim Omar, der die WG als Erster betritt, muss sich bei jeder einziehenden Frau erklären, warum er ihr nicht die Hand nicht gibt. Dass es auch für Atheistin Josi schwierig werden könnte, zeigt sich beim Eröffnungsspiel: Jeder soll sich zu zentralen Fragen wie "Ich bedaure Menschen, die meinen Glauben nicht teilen" auf eine Couch mit der Aussage "Ja" oder "Nein" setzen, um sich zu positionieren. Meist steht die Kölnerin mit ihrer Ansicht allein da. "Ich glaube an gar nichts", sagt sie. "Na dann glaubst du ja auch an was", entgegnet man ihr - woraufhin sie erwidert: "Nur was belegbar ist."
Zwischen fünf Gläubigen hat man als Nichtgläubige einen schweren Stand. Mit so viel Widerspruch hätte sie jedenfalls nicht gerechnet, wie sie abends vor der "Confession Cam" offenbart. Was die anderen erst später erfahren: Josi ist zudem trans Frau - eine Tatsache, die auch manche zentrale Fragen der Weltreligionen tangiert.
"Religionen sind für mich moderne Sekten", sagt Josi - doch Selbstkritik an überkommenen Regeln und Praktiken ist auch von den Gläubigen zu hören, insbesondere wenn es um die Rechte queerer Personen und Fundamentalismus geht. "Ich glaube, dass die Religionen bestimmte Strukturen vorgeben, die missbraucht werden können", sagt etwa der Buddhist Dharmasara. Wie viel Wut wiederum den Religionen entgegenschlägt, zeigt eine "böse Box" mit Hassnachrichten aus dem Internet, mit denen die Betroffenen zum "Abendmahl" konfrontiert werden. Insbesondere die monotheistischen Religionen, neben Omar vertreten von der Dresdner Katholikin Gloria sowie dem Juden Lars, müssen sich in den sozialen Medien viel Kritik anhören - nicht nur unberechtigte, wie die nachfolgende Diskussion mit der Gruppe zeigt. Homophobie, Frauenhass, religiöser Extremismus: Welche Vorwürfe treffen zu, welche nicht - und wie begegnet man dem?
Vom Antisemitismus bis zur Feindlichkeit gegenüber Muslimen sind die Ressentiments, die es aufzuarbeiten gilt, auch hochaktuell: "Wir sind mehr als nur Shoa und Nahostkonflikt", klärt etwa Lars auf, der am 7. Oktober 2023 in Tel Aviv war und sich seither in der Öffentlichkeit öfter fragt, wie sichtbar seine Davidstern-Kette gerade ist. Der Nahostkonflikt, so wird in mehreren Episoden deutlich, ist "der Elefant im Raum", wie Lars es ausdrückt. Derweil mag es Omar nicht, wenn von der "muslimischen Community" gesprochen wird. Denn die gibt es seiner Ansicht nach nicht. Später besuchen Omar und Lars - es gibt durchaus auch Ausflüge ins "Draußen" - gemeinsam einen türkischen und einen jüdischen Supermarkt, um für ein Abendessen einzukaufen. Weil das vor allem aus Kartoffeln besteht, haben sie die Lacher auf ihrer Seite.
Sabine Rückert spricht über Fall, an dessen Beispiel patriarchale Strukturen in Religionen und deren Folgen diskutiert werden
Wie es sich für eine echte WG gehört, empfangen die sechs Mitbewohner in ihrem - regelmäßig so bezeichneten - "Safe Space" auch Gäste: So spricht etwa Sabine Rückert, Journalistin und True-Crime-Podcasterin, über einen Fall, an dessen Beispiel patriarchale Strukturen in Religionen und deren Folgen diskutiert werden. Unter dem Motto "Let's talk about Sex, Baby!" werden die Bewohner in einer Folge von Moderatorin Maria Popov überrascht, die über schwierige Themen wie Partnerschaft, Zwang, Keuschheit und die Rollenerwartungen an Männer und Frauen diskutiert. Nicht zuletzt findet sich auch politische Prominenz ein: Grünen-Politiker Jürgen Trittin besucht die WG, um über das gigantische Thema "Religion zwischen Krieg und Frieden" zu debattieren. Nicht ohne Reibungsflächen: Als es abermals um den Nahen Osten geht, verlässt Muslim Omar sogar den Raum.
Nicht alles ist eben Friede, Freude, Eierkuchen, selbst wenn junge Menschen mit gutem Willen, offenem Herzen und viel Humor aufeinandertreffen, um über ihren Glauben zu sprechen. Allein die Tatsache jedoch, dass tatsächlich mit- statt übereinander geredet und dabei - trotz allen Respekts - kaum ein heikles Thema ausgelassen wird, lässt hoffen. Vielleicht nicht für den Weltfrieden, aber immerhin für die hiesige Diskussionskultur. So gesehen kann das TV- und Sozialexperiment als gelungen bezeichnet werden.
Was haben nun die Mitbewohner voneinander gelernt? Eine Menge, wenn man den erstaunten, freudigen und bisweilen tränenreichen Statements lauscht. Und was können die Zuschauer mitnehmen? Zumindest jede Menge Wissen sowie Ansichten, denen man sonst selten so ausführlich im TV begegnet. "Es liegt in unser aller Verantwortung, die Botschaft dieses Formats weiterzutragen", lässt sich die verantwortliche Autorin und Regisseurin Aurelia Kanetzky zitierten: "Egal, an welche Religion oder Überzeugung wir uns klammern, Hass, Krieg und Ablehnung sind kein Teil davon. Die Liebe aber, die ist immer erlaubt".
Insgesamt sechs Episoden zeigt das ZDF im Rahmen seines "37°"-Labels, jeweils sonntags, um 9.03 Uhr. Die Episoden 2 und 3 laufen an den beiden Sonntagen nach der Premiere, die Teile 4 bis 6 ab 17. November. Ab Freitag, 13. September, sind alle Episoden bereits in der ZDFmediathek abrufbar.