TV-Kolumne - Nach 23 Minuten wird klar, dass zentrale Höcke-These in WDR-Doku nicht tragfähig ist
Auf der Zielgeraden zur Landtagswahl in Thüringen will der Westdeutsche Rundfunk in seiner WDR-„Story“, „die Hintermänner“ im System des AfD-Spitzenkandidaten offenlegen. Gelingt das mit neuen Erkenntnissen?
Zwölf Tage noch, dann ist Wahlsonntag in Thüringen – für manchen ein Qual-Sonntag, weil der AfD und ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke viel und von vielen das Schlimmste zugetraut wird.
Da ist es zumindest bemerkenswert, wenn sich die WDR-„Story“ so kurz vor der Wahl an Höcke abarbeitet. Und das mit dem durchaus reißerischen Titel „Höcke. Und seine Hintermänner“. Wie kann der Sender, der das „Westdeutsche“ im Titel trägt, die Erwartung auf neue Enthüllungen einlösen?
„Der Plan einer viel mächtigeren Bewegung?“
Die ersten Minuten gelten dem Feindbild Höcke. Da lässt der Westdeutsche Rundfunk Kritiker zu Wort kommen – und zitiert Höcke selbst, wie er sich bei einem öffentlichen Auftritt in seinem Sendungsbewusstsein offensichtlich ganz weit oben einordnet:
„Ich denke an Jesus Christus, ich denke an die Hexen-Prozesse – die Justizkeule wurde immer auf das Haupt des Dissidenten geschlagen, auf das Haupt des Oppositionellen geschlagen. Und jetzt wird’s gerade auf mein Haupt geschlagen.“
Das ist ein schräges, ein selbstverliebtes, ein selbstmitleidiges Zitat. Das Versprechen auf „Hintermänner“ löst es nicht ein. „Steckt Höcke hinter Höcke“, orakelt der ARD-Sender weiter, „oder folgt er dem Plan einer viel mächtigeren Bewegung?“
„Manna“ aus Schnellroda?
Es dauert bis Minute 10. Dann präsentiert der WDR einen Mann, der ins „Hintermann“-Bild zu passen scheint: Götz Kubitschek, Verleger und Gründer einer Art Denkfabrik der neuen Rechten mit dem „Institut für Staatspolitik“ – vom Landesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft und im Mai dieses Jahres formal aufgelöst. Einige Archivbilder zeigen den 54-Jährigen auf seinem Rittergut in Schnellroda, Sachsen-Anhalt.
„Ich will einen Rechtsruck“, sagt er da, „ich glaube nicht, dass das mit Gequatsche noch geregelt werden kann.“ Ebenfalls ein Archiv-Ausschnitt zeigt Björn Höcke zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort.
Höcke sagt: „Es ist ja bekannt, dass ich recht engen Kontakt zu Götz Kubitschek habe und ich immer mal wieder geistiges Manna aus der Lektüre von Werken ziehe, die hier in Schnellroda entstehen.“ Es bleibt eine Schwäche der WDR-„Story“, dass sie diese Filmschnipsel nicht einordnet – weder zeitlich, noch räumlich, noch im Kontext der Gesprächssituationen.
Eine anonyme Zeugin und das „enge Verhältnis“
Zwischen Höcke und Kubitschek scheint es also eine Beziehung zu geben. Das ist dem WDR aber nicht genug. In Minute 15 versucht das Team, seine Geschichte bedeutender zu machen. „Höcke, das populäre Gesicht“, sagt die Sprecherin, „und Kubitschek, der Stratege im Hintergrund.
Doch das Netzwerk ist größer.“ Der Beleg für das größere Netzwerk kommt tatsächlich dann eher kleiner daher. Es geht um den Einzug der Familie Höcke in das Dorf Bornhagen, Thüringen.
Der WDR stellt Thorsten Heise vor: Neonazi, „wegen schwerer Körperverletzung und Volksverhetzung mehrfach verurteilt, saß zweimal im Gefängnis, versuchte 1989, einen libanesischen Flüchtling mit dem Auto zu überfahren, hatte ein Ehrenmal der Waffen-SS in seinem Garten“. Und die Beziehung zwischen dem AfD-Landesvorsitzenden Höcke und Heise?
Eine anonyme Zeugin sagt in die Kamera, woran sie sich als ehemalige Einwohnerin „in der Nähe“ erinnert: „Ein sehr heißer Tag. Ein Lieferwagen fuhr vor und wurde ausgeladen. Die haben Möbel reingetragen. Thorsten Heise war ein Begriff. Wer solche Freundschaften pflegt, muss ja ähnlich denken. Ich würde schon sagen, dass das ein enges Verhältnis zwischen den Familien Höcke und Heise war.“
Höckes Hintermänner? Es bleibt eher bei einem Hintermann
Es wirkt so, als wäre den Machern von „Höcke. Und seine Hintermänner“ an dieser Stelle klargeworden, dass die These von der Mehrzahl nicht so richtig tragfähig ist. Von Minute 23 an konzentriert sich die WDR-„Story“ wieder auf den einen „Hintermann“: Kubitschek.
Da gab es eine AfD-Fraktionssitzung bei dem Verleger in Schnellroda. Der ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete Oskar Helmerich erinnert sich: „Und überwiegend hat der Kubitschek gesprochen.“ Da gibt es ein TV-Interview Kubitscheks, in dem der über Höcke sagt: „Wir haben, wenn man sich die Geschichte der AfD anschaut, von Anfang an auf das richtige Pferd gesetzt.“
Das Sagbare und das Machbare erweitern
Eine geistige Nähe zwischen dem AfD-Spitzenkandidaten in Thüringen und dem Verleger stellt der WDR über Zitate her. Da geht es dann um das Verschieben von Grenzen. Götz Kubitschek wird zitiert: „In Grenzbereiche des gerade noch Sagbaren und Machbaren provozierend vorzustoßen. Das ist nichts anderes als die Schaffung neuer Gewohnheiten.“
Und Björn Höcke klingt ganz ähnlich: „Wir müssen, natürlich mit der gebotenen Klugheit, immer wieder und immer weiter die Sprechräume erweitern. Wie schnell das gelingt und wie provokativ man dabei sein darf, das ist manchmal auch eine spontane Entscheidung, die ich als Politiker in konkreten Situationen zu treffen habe.“
Zwischen Größenwahn und Selbstmitleid
Das „Sagbare“ und die „Sprechräume“: Zuletzt hatte sich Kubitscheks „richtiges Pferd“ mit der öffentlich gesprochenen Nazi-Parole „Alles für Deutschland“ vergaloppiert.
Das Landgericht Halle verurteilte den AfD-Spitzenkandidaten für Thüringen zu 13.000 Euro Geldstrafe. Ein zweites Mal habe Höcke „Alles für…“ gerufen und das Publikum animiert, den Satz zum strafbaren „Alles für Deutschland“ zu vervollständigen. Urteil diesmal: 16.900 Euro. In beiden Fällen hat die Verteidigung Revision eingelegt.
Die WDR-Story endet, wo sie begonnen hat – bei einem Zitat von Björn Höcke, irgendwo angesiedelt zwischen Größenwahn und Selbstmitleid: „Ich denke an Jesus Christus. Er wurde ans Kreuz geschlagen, nachdem man ihm kurzen Prozess gemacht hatte.“ Von einem Kreuz ist in den Urteilen des Landgerichts Halle nichts zu lesen. Das machen die Wähler in Thüringen am 1. September.