TV-Kolumne zu „Amerika wählt“ - Die USA wählen - und Deutschland gönnt sich eine riesengroße Überheblichkeit

Im Endspurt der US-Wahl versucht Trump besonders, auch Frauen für sich zu gewinnen.<span class="copyright">Evan Vucci/AP/dpa</span>
Im Endspurt der US-Wahl versucht Trump besonders, auch Frauen für sich zu gewinnen.Evan Vucci/AP/dpa

Unser kleines Land gönnt sich eine riesengroße Überheblichkeit. Wir wissen nicht nur gut, wir wissen besser, dass die Amerikaner eigentlich nur eine Wahl haben dürfen. Sogar Nachrichten-Star Claus Kleber spricht im „ZDF-spezial“ noch einmal vom „gewaltbereiten Poltergreis“.

Wie arrogant sind wir eigentlich? Da versuchen wir Deutsche, den US-Amerikaner mit größtmöglicher Überheblichkeit zu erklären, warum sie wie wählen sollen.

Ganz so, als hätten wir Deutsche unsere Wahlentscheidungen immer so unglaublich klug, überlegt und vorausschauend getroffen. Dabei leisten wir uns in schwierigen Zeiten einen bemerkenswerten Luxus: drei Regierungsparteien, aber keine Regierung.

Übergewichtige Farbige haben Spaß

Und unser Blick auf die USA? Die Kamera zeigt eine Handvoll übergewichtiger Farbiger vor einem Wahllokal. Offensichtlich läuft Musik.

„Die Leute tanzen, sie haben Spaß, sie freuen sich, ihre Stimmen abzugeben“, erfährt der Zuschauer im ZDF, das acht Stunden nach Eröffnung der ersten Wahllokale und lange, bevor die Frage der Fragen beantwortet sein kann, ein „Spezial: Amerika wählt – Harris oder Trump“ ins Programm nimmt.

„Geht es euch heute besser als vor vier Jahren?“

Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass es in den USA in dieser Nacht 260 Millionen Dummköpfe sind, die eingeladen sind, in die Wahllokale zu gehen.

Deshalb lohnt es sich, noch einmal einen Blick auf die Kernargumente zu werfen. Donald Trump ist der große und großartige Vereinfacher. Sein vielleicht überzeugendstes Argument ist eine schlichte Frage an die Wähler: „Geht es euch heute besser als vor vier Jahren?“

Seine Rivalin und möglicherweise erste Präsidentin der USA versucht es umfassender, damit aber auch komplexer: Sozialstaat ist ihr Thema, das Recht der Frauen, auch bei der Abtreibungsfrage über ihren eigenen Körper zu bestimmen, Klimaschutz, Krankenversicherung und die Kosten für Medikamente.

Duell Ego gegen Gemeinschaft?

Da kommt es in dieser Nacht also zum Duell Ego gegen Gemeinschaft. Und in den kommenden vier Jahren möglicherweise zum Experiment, ob die Wahlentscheidungen von 260 Millionen Egos auch Gemeinwohl ergeben kann.

Dass es den US-Wähler möglicherweise mehr um ihr eigenes Wohl geht und nicht um unseres:  Das ist nicht schön für uns. Aber auch der deutsche Bundeskanzler leistet seinen Amtseid auf das Wohl des deutschen Volkes, nicht auf die Rettung der Welt.

Claus Kleber argumentiert wie Donald Trump

Das Urteil im ZDF aber bleibt eindeutig. Wie sagt der einstige ZDF-Redaktionsleiter Claus Kleber in diesem „ZDF-spezial“? Für den 69-Jährigen ist Donald Trump schlicht „ein gewaltbereiter Poltergreis mit einer Entourage aus Glücksrittern“.

Im Vereinfachen ist der frühere „heute-journal“-Moderator an diesem Abend verblüffend nah bei Donald Trump. Aber auch er will ja mit solchen Sätzen Werbung machen – in seinem Fall fürs ZDF-Programm in dieser langen Wahlnacht. „So heiß war es noch nie“, versichert Kleber. Da gebe es „keine Chance, an Schlaf zu denken“.

Der schmutzelt nicht, der steht für Schmutz

Tatsächlich wirkt Donald Trump wie die Verkörperung des alten weißen Mannes, bekannt für sexistische Übergriffe und verurteilt als Straftäter – der schmutzelt nicht, wie wir in Deutschland über manchen sagen, der steht für Schmutz.

Kamala Harris ist der Gegenentwurf: Staatsanwältin statt Straftäter. Aber sie hat einen schlimmen Nachteil. Die vergangenen Jahre hat sie als Vizepräsidentin mitregiert. Und so antwortet sie auf die Frage, was sie anders gemacht hätte, als ihr Präsident Joe Biden: „nichts“.

Wir lernen also in diesem „ZDF-spezial“ vor allem eines: Es ist windig in Washington, die Haare der Experten wehen dramatisch. Ob es ein kalter oder warmer Wind für uns Europäer wird? Das werden wir frühestens am Morgen danach erfahren.