TV-Kolumne „Machen wir unsere Demokratie kaputt?“ - ARD-Journalistin besucht den Osten - was sie dort findet, ist schockierend
Es dauerte nicht lang, da nutzte die AfD den Solinger Terroranschlag schamlos für ihren Wahlkampf in Ostdeutschland. ARD-Journalistin Jessy Wellmer zeigt in ihrer Reportage die erschreckende Realität einer Demokratie, die es wahrlich nicht leicht in Deutschland in diesen Zeiten.
Solingen ist allgegenwärtig. Und prompt, wen wundert es, will die AfD nach dem Terror-Anschlag daraus Kapital schlagen: „Höcke oder Solingen“. Die Absicht ist klar: Die AfD will damit punkten vor den Wahlen in Thüringen , Sachsen und Brandenburg . Dabei ist die Stimmung ohnehin schon aufgeheizt.
Jessy Wellmer, ARD-Journalistin, stammt aus der ehemaligen DDR. Bei der Wende war sie zehn Jahre alt. Jetzt reist sie durch den Osten, um die Lage zu recherchieren. „Machen wir unsere Demokratie kaputt?“ heißt der Film in der ARD , der thematisch dem Montags-Talk „Hart aber fair“ vorgelagert ist. „Ich habe als Kind die Demokratie kennen- und schätzen gelernt“, sagt Jessy Wellmer am Schluss ihrer Reportage. „Ich möchte sie nicht mehr hergeben.“
Bürgermeister in AfD-Hochburg: Partei ist eine normale „wie andere auch“
Anderen scheint es anders zu gehen. Es sind irritierende Zahlen, die man hört. Es sind verstörende Szenen, die man sieht. 21 Prozent der AfD-Anhänger halten nichts von der Demokratie als Staatsform. Bei Fans des Bündnis Sahra Wagenknecht sind es immerhin 17 Prozent.
Und mit der AfD haben viele kein Problem. Wie der parteilose Bürgermeister Thomas Schurig in Dorfchemnitz im Erzgebirge. Dort haben bei der letzten Bundestagswahl 48 Prozent die AfD gewählt. Schurig sagt: „Ich habe kein Problem damit, das ist eine normale Partei wie andere auch.“ Er sagt auch: „Ich kann mich nicht als Bürgermeister hinstellen und sagen: Passt mal auf, ihr seid von der AfD, mit euch rede ich nicht. Das wird es bei mir nicht geben.“
Kanzler Scholz wird als „Kriegstreiber“ beschimpft
Was es gibt: sehr viel verbalen Hass. Wir erleben einen Auftritt von Kanzler Scholz in Dresden, bei dem die Menschen skandieren: „Hau ab!“ und „Kriegstreiber!“ Die Befragten sind deutlich, die Szenen bizarr. „Wir haben keine Demokratie!“, sagt eine Frau. Und auch das: „Wer anderer Meinung ist als die Staatsmedien, ist gleich ein Nazi.“ Jessy Wellmer hakt ein paar Mal nach, was die Medien betrifft. Sie meint: „Als öffentlich-rechtliche Medien trifft uns die Kritik.“
Besonders verstörend ist, dass viele Menschen wirklich glauben, man könne seine Meinung nicht frei äußern. 79 Prozent der AfD-Anhänger behaupten das in einer Umfrage. Komisch, dass dann bei einer Montags-Demo einer schreit: „Die Grünen sind Rassisten, die gegen die weiße Rasse hetzen.“ Oder: „Das Woke, das Bunte – das wollen wir hier nicht!“ Ist der Mann dafür belangt worden? Eben nicht. Wie kommt er dann darauf, dass er seine Meinung nicht äußern darf?
Es ist zehn nach zwölf, sagt der Politiker, der aufgegeben hat
Dirk Neubauer war Landrat von Mittelsachsen und hat aufgegeben . Er ist umgezogen, die Adresse ist geheim. Er erzählt von einem „unfassbaren Hass, der da wächst“. Er hat sich eingeredet, dass er das dennoch schafft. Er hat es nicht geschafft. Vor der Kamera fließen Tränen. Wo steht die Demokratie für ihn? „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist zehn nach zwölf.“
Was ist mit dem Kabarettisten Dieter Nuhr, der manchen als zu deutlich in seiner Meinungsfreiheit ist? Der sagt: „Die Bereitschaft zu akzeptieren, dass jemand anders denkt, ist geschwunden.“ Menschen, die eine andere Meinung als die eigene vertreten, „werden gleich für eine Drecksau gehalten“. Die Demokratie hat es wahrlich nicht leicht in Deutschland in diesen Zeiten. Vor allem im Osten nicht.