TV-Kolumne „hart aber fair“ - Ampel-Zweiklang vergrault den Wähler - und bei Kühnert kommt Fremdscham auf
Alles auf rechts gedreht: Der dreifache Landtags-GAU im Osten hat den Rest von Deutschland erschüttert. „Wie zerrissen ist die Republik?“ will Louis Klamroth von seiner Montagsrunde wissen. Dabei zeigt sich, dass sich die Menschen im ländlichen Osten schlicht vergessen fühlen.
Braun gilt als die Trendfarbe des Herbstes: Kastanien, herabfallende Blätter, die heiße Schokolade im Becher. Im Herbst 2024 allerdings ist Blau das neue Braun. Nach drei Landtagswahlen windet sich nun ein blaues Band um Berlin herum, hinab durch Sachsen und durch Thüringen hindurch. Oder wie es AfD-Co-Chefin Alice Weidel zufrieden bilanziert: „Der Osten ist blau.“
Dieser September mit seinen drei Landtagswahlen hat die politische Landschaft Deutschlands radikal verändert. Das blaue Band von Brandenburg bis an die bayerische Grenze symbolisiert den nächsten Trennungsfaktor zwischen Ost und West. Das Kopfschütteln übereinander hat sich derart verstärkt, dass mancher schon kurz vor einem Schleudertrauma steht.
Der Osten als Heimat rassistischer Narrative?
Doch es wäre zu einfach, die Republik nur entlang des blauen Bandes in zwei politische Hälften – im Osten die neuen Nazis, im Westen die Hüter der Demokratie – zu teilen. Die Risse, die durch Deutschland gehen und sich mancherorts bereits in Gräben ausweiten, spalten die Gesellschaft in sehr viel mehr Lager: Stadt gegen Land, Alt gegen Jung, Veganer gegen Fleischesser, Genderverfechter gegen Retter des generischen Maskulinums. Mehr Gegeneinander war nie.
In der Montagsrunde bei „hart aber fair“ versucht Soziologin Katharina Warda zunächst, die Symptome einer zerrissenen Republik mit dem Trendwort „Narrative“ zu erklären: Soziale Probleme würden im Osten traditionell über rassistische Narrative begründet werden: „Wir müssen die Ausländer loswerden, dann bekommt Oma mehr Rente.“ Das Bedienen solcher Narrative habe im Osten nun einmal Kontinuität, glaubt die in Sachsen-Anhalt geborene Warda.
Bei Kühnert kommt leichtes Fremdschämen auf - und ein Ampel-Zweiklang vergrault den Wähler
Dabei muss man gar keine großen Narrative bemühen, um dem Volk in die Seele zu gucken. Man kann auch einfach nachfragen. Etwa bei Doreen Lorsch, Fleischereifachverkäuferin aus Brandenburg. Die sagt, was Sache ist: Die Menschen im ländlichen Osten würden sich schlicht vergessen fühlen, „man hört ihnen einfach nicht zu“. Das führe zu Angst, Unzufriedenheit, Ärger und Wut. Leichtes Fremdschämen kommt auf, als SPD-General Kevin Kühnert wie ein Trittbrettfahrer auf diese Gefühlslage aufspringt: Dieses Überforderungsgefühl, „das geht mir auch an manchen Stellen so“.
Juli Zeh, Buchautorin und Wahl-Brandenburgerin, führt aus, was Doreen Lorsch in ihrer brandenburgischen Heimat wahrgenommen hat: Es gehe den Menschen nicht um das emotionale Vergessenwerden, sondern darum, dass auf bundespolitischer Ebene Entscheidungen getroffen werden, für die andere die Lasten tragen müssen. „Die Grünen stehen metaphorisch für einen übergriffigen Staat“, glaubt Zeh: Auf der einen Seite blickt die Ampelregierung über die Menschen hinweg, auf der anderen Seite sollen ebendiese Menschen ihr Leben, ihre Ernährungsweise und ihre Heizung über Bord werfen und die Verantwortung bis hin zur Weltenrettung tragen. „Dieser Zweiklang“, so Juli Zeh, „erzeugt einen kreischenden Störton im Ohr“.
Blau gilt nicht als klassische Warnfarbe, darf aber aktuell als eine solche gesehen werden: Wenn nicht ganz Deutschland langfristig den Blues bekommen soll, dann muss die Politik dringend weniger von oben herab reagieren – und sich stets fragen, wie es demjenigen geht, der ausbaden muss, was in Berlin entschieden wird.