TV-Kolumne „Das Klima im Kohleland“ - Ex-Kohlekumpel hadern: „Und wir kleinen Deutschen wollen die Welt verändern?“
Den einen kann es nicht schnell genug gehen, die anderen drücken auf die Bremse: Der Klimaschutz spaltet die Gesellschaft wie nur wenig andere Themen. Das wird deutlich gerade in den Regionen, die vom Kohleabbau leben. Und weiterhin stolz darauf sein wollen.
Wenn Silke Butzlaff, Baggerfahrerin im Tagebau Welzow in Südbrandenburg, von ihrem Job spricht, dann wird sie fast poetisch: „Wenn das Licht angeht und in den kalten Monaten aus meiner Heizung Wärme kommt, dann weiß ich, dass ich dafür gearbeitet habe“, sagt die 57-Jährige. „Und das macht mich stolz.“
Das Lausitzer Braunkohlerevier ist nach dem Rheinischen Revier die zweitgrößte Braunkohlelagerstätte in Deutschland. Rund 8000 Menschen verdienen dort noch ihren Lebensunterhalt über oder unter Tage, die Kohlebranche ist einer der größten Arbeitgeber in der Region. Doch es wird von Jahr zu Jahr schwerer, darauf noch stolz sein zu dürfen.
Denn klar ist: Braunkohle ist der für das Klima schädlichste Energieträger – noch vor Öl und Gas. Vor vier Jahren beschloss man also in Berlin, den Kohleabbau zu beenden. Zunächst in großen Schritten, die Rede war von einem Kohle-Aus bis 2030. Das Tempo wurde allerdings bald reduziert. Spätestens bis 2038 soll nun Schluss sein mit der Kohle.
Silke Butzlaff wird dann bereits in Rente sein. Trotzdem macht sie das Ende der Braunkohle in der Lausitz traurig. Dass mit der Energiewende der Beruf des Bergmanns – oder der Bergfrau – ausstirbt: „Das tut weh.“
Einfach stoppen, wenden und neu durchstarten? Geht nicht
Dass die Energiewende unvermeidlich ist, darüber sind sich die meisten realistisch denkenden Menschen inzwischen einig. Über eine zweite Frage aber wird weiterhin heftig gestritten: Wie viel Tempo braucht die Energiewende? Spätestens die heiß geführte Debatte um die Wärmepumpe hat klar gemacht: Der Ausstieg aus der fossilen Energie und die Transformation in ein Zeitalter der erneuerbaren Energiequellen ist nicht so etwas wie eine 180-Grad-Wendung auf dem Absatz.
Deutschland ist kein Bobby-Car, das man einfach hochheben und auf eine andere Spur setzen kann. Die Energiefrage betrifft zu viele Menschen: jene, die von der Energieerzeugung leben. Und jene, die diese Energie nutzen.
Das Ende des Braunkohletagebaus bedeutet für die Menschen in der Lausitz und in anderen Kohlehochburgen nicht nur den Einstieg in wirtschaftlich unsichere Zeiten. Sie verlieren auch einen Großteil ihres Selbstverständnisses. Ihre Tradition. Eben das, worauf man bislang immer stolz war.
Wieso soll Deutschland die Welt retten?
Mit der Reportage „Das Klima im Kohleland“ lotet die „Panorama“-Redaktion die Seelenlage der Menschen im Lausitzer Braunkohlerevier aus. Beispielsweise in einem Lokal namens „Kumpelklause“, in dem zwei mittelalte Männer am Tresen bekennen, dass ihnen der Klimawandel sehr viel weniger Sorgen bereite als die Vorstellung einer Energiewende: Kommt der Strom weiterhin stetig aus der Steckdose, wenn ein ganzes Land inklusive Industrie von Sonnenlist, Wasser- und Windkraft abhängig ist?
Einer der beiden Rentner wird fast emotional, als er davon erzählt, dass er 40 Jahre lang im Tagebau gearbeitet hat. Nun im Ruhestand womöglich eines Tages keinen Strom mehr abzubekommen: „Das geht gar nicht. Ich habe meine Kraft dagelassen und will jetzt den Strom.“ Die beiden Herren weisen mit anklagendem Finger gen China, gen Indien, gen Südamerika, „da kümmert sich keiner um die Umwelt. Und wir kleinen Deutschen wollen die Welt verändern?“ Man fragt sich, was Robert Habeck ihnen antworten würde.
Klimaforscher Motif Latif ist „fassungslos“
Was kann die Lausitz jenseits von Kohle? Windkraft wäre eine Möglichkeit, aber jene, die Windräder aufstellen wollen, bekommen mächtig Gegenwind. Weil ein Windpark offenbar die Optik sehr viel mehr stört als riesige Kohlelöcher in der Landschaft.
Da hilft es auch nichts, wenn Lokalpolitiker ihnen vorrechnen, wie viel Gewerbesteuer etwa eine Windkraftanlage mit angeschlossenem Wasserstoffkraftwerk in die Gemeindekasse spülen könnte. Die Hoffnung auf den Wohlstand von übermorgen ist ein zu kleiner Motor für die Energiewende.
Zumal es da ja noch die AfD gibt, die in Teilen immer noch hartnäckig die Existenz des Klimawandels leugnet. Weil es so viel einfacher ist, etwas für unwahr zu erklären, als mit unbequemen Veränderungsmaßnahmen die Wähler zu verärgern.
Klimaforscher Motif Latif zeigt sich angesichts des Zuspruchs für die AfD zwar „fassungslos“ darüber, „dass Menschen, die sich Fakten widersetzen, so einen Zuspruch bekommen“. Doch der Lausitz – eine „krasse Gegend“ laut Eigen-PR – ist der Tagebau sehr viel näher als Berlin, Brüssel und der Klimawandel. Wie kann etwas schlecht sein, das seit Jahrhunderten die Menschen hier ernährt und mit Energie versorgt hat?
Was Oma Butzlaff schon wusste
Die Frage nach dem richtigen Tempo bleibt ungelöst, solange in Berlin Menschen regieren, denen die Transformation gar nicht schnell genug gehen kann, weil ihre eigene Amtszeit begrenzt ist.
Im Klimaschutz sei Deutschland „zu lange zu langsam gewesen“, erklärt etwa Klimaschutzminister Robert Habeck. Seine Taktik, den Wandel mit der Brechstange zum Durchbruch zu verhelfen, ist dennoch nicht aufgegangen. Vielleicht hätte er mal mit Silke Butzlaff über deren Oma sprechen sollen. Denn die wusste schon: „Das Alte muss das Neue begleiten, bis es auf eigenen Füßen stehen kann.“