TV-Kolumne - Bei „Markus Lanz“ klingt die Grünen-Wende plötzlich ganz anders
Nach dem Rücktritt der Grünen-Spitze wurde aus dem harten Gegenwind ein laues Lüftchen. Doch der Schritt sollte die maue Leistung von Lang und Nouripour nicht vergessen machen. Ändert die Partei ihren Kurs nicht, hätte das Wendemanöver keinen Respekt verdient.
Die zwei Jahre als Parteivorsitzende der Grünen waren für Ricarda Lang und Omid Nouripour sicher kein Wellness-Urlaub. Aus nahezu jeder Himmelsrichtung wehte ihnen quasi von Tag eins an ein scharfer Gegenwind entgegen. Gerade im Osten kann man hier auch ohne Übertreibung von einem veritablen Shitstorm sprechen: Hass und Häme trafen vor allem Lang so heftig, dass man zumindest ihre Nehmerqualitäten bewundern musste.
Mit dem plötzlichen Rücktritt von Lang und Nouripour ist der Wind schlagartig zu einer sanften Brise abgeflaut. Bei „Markus Lanz“ übt sich der aus Berlin zugeschaltete Michael Kellner, Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen, in der tiefen Verbalverbeugung: Er empfinde „tiefe Dankbarkeit“ gegenüber Lang und Nouripour für diese Entscheidung, betont er gleich mehrfach, „da es ein Zeichen von Verantwortung, von Stärke ist, Konsequenzen aus den Wahlergebnissen zu ziehen“. Beide hätten für diesen Schritt „Würde und Respekt“ verdient.
Merz äußert sich nicht – das ist schon auffallend nett
Ja, es ist inzwischen in Politik wie Wirtschaft aus der Mode gekommen, auch persönliche Konsequenzen zu ziehen, wenn man seinen Aufgaben nicht gewachsen ist oder sichtlich Mist gebaut hat. Nur wer geht, kann Platz machen für jene, die es vielleicht besser schaffen. Die Dankbarkeit, die Michael Kellner und viele andere Grünen-Politiker nun für Ricarda Lang und Nouripour empfinden, entspringt sicher auch der Hoffnung, dass die zuletzt brutal abgewatschte Partei nun wieder aus dem Tal der Tränen herausrobben kann.
Vielleicht glaubt man bei den Grünen auch, dass eine schwarz-grüne Koalition ohne Ricarda Lang an vorderster Verhandlungsfront deutlich realistischer ist. Merz würde bereits über die Grünen „auffallend nett nichts sagen“, diagnostiziert zumindest Markus Lanz.
Kellner betont, dass man seitens der Grünen aktuell keine Option ausschließe. Denn nach den Regierungserfahrungen der letzten Jahre würde sicher niemand bei den Grünen in den Wahlkampf ziehen mit dem Slogan „Ampel, hurra!“.
Ricarda Lang im Paralleluniversum
Aber verdient ein Mensch allein dafür Respekt, dass er sich nicht am Stuhl festkrallt, sondern Platz macht für Berufenere? Sollte Respekt nicht auch etwas mit dem zu tun haben, was vor dem Rücktritt geleistet wurde?
Bei ihrem Start im Februar 2022 hatten Lang und Nouripour Verantwortung für eine Partei übernommen, die gerade von einer Welle der Beliebtheit in die Regierung getragen worden war. Nun lassen sie eine Partei zurück, von der sie selbst sagen, dass sie in der „tiefsten Krise seit einer Dekade“ stecke. Die Herkulesaufgabe, diesen Trend wieder umzukehren, sollen allerdings andere übernehmen, denn: Lang und Nouripour haben fertig.
Dass sie sich diesen Kraftakt selbst nicht zutrauen, darf angezweifelt werden. „Ich – und wir – sind unfassbar stolz darauf, was wir in den letzten Jahren mit diesem Bundesvorstand erreicht haben“, bilanziert Ricarda Lang allen Ernstes in ihrer Rücktrittserklärung. „Wir haben in schwierigen Zeiten Kurs gehalten und die Partei immer wieder zusammengeführt.“ In welchem Paralleluniversum hat Lang eigentlich in den letzten zwei Jahren gelebt und gearbeitet?
Respekt hat so ein Wendemanöver nicht verdient
Auch bei Kellner klingt es so, als wäre der angekündigte Neustart der Grünen in Wahrheit ein „Weiter so“: Trotz hartnäckiger Nachfragen von Markus Lanz sieht der Grünen-Politiker keine Notwendigkeit für etwaige Kursänderungen. Die Parteioberen hoffen schlicht, dass sich das Blatt bereits zu ihren Gunsten wendet, wenn an vorderster Front neue Gesichter stehen und altbekannte Inhalte mit anderen Worten ans Volk verkaufen.
Respekt? Hat so ein Wendemanöver nicht zwingend verdient.