TV-Kolumne „Nie wieder ist jetzt!“ - ARD-Doku hält für AfD-Wähler eine bittere Wahrheit bereit
Nach Thüringen und Sachsen gehen demnächst die Brandenburger an die Urne. Quasi als Warnung hat der MDR am Beispiel Thüringen durchdekliniert, wie sich ein Rechtsruck auf das gesellschaftliche Zusammenleben und die Wirtschaft auswirken könnte. Von FOCUS-online-Autorin Beate Strobel
Der Landtagswahlen-Doppelwumms von Thüringen und Sachsen hat die Nation aufgeschreckt. Eine der vielen Erklär-Versionen für den Rechtsruck im Osten geht so: Um die Abwahl der aktuellen Regierungsparteien auf Landesebene ging es gar nicht.
Primär wollte der sächsische oder thüringische Protestwähler den Ampelparteien im fernen Berlin eine Lektion erteilen und lange vor der nächsten Bundestagswahl eine Botschaft schicken: Betrachtet euch schon jetzt als abgewählt! Ob die Nachricht in Berlin ankam, sei dahingestellt. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass sich die Trotzbürger aus Thüringen und Sachsen mit der Klatsche, die sie der Bundesampel verabreichen wollten, langfristig nur selbst abwatschen.
Denn nicht nur, dass die künftigen Regierungen in den beiden Ländern auf extrem fragilen Konstellationen beruhen werden: Der erwünschte Rechtsruck wird die Gesellschaft und die wirtschaftlichen Perspektiven langfristig verändern. Und das nicht zum Besseren hin.
ARD-Doku nach AfD-Wahlerfolgen
In der Doku-Reportage „Nie wieder ist jetzt!“ (abrufbar in der ARD-Mediathek) hat das Team des MDR-Formats „Exakt – Die Story“ versucht, eine auf rechts gekrempelte Zukunft Thüringens auszuloten: Wie verändern sich Zivilgesellschaft und Wirtschaft, wenn sich ein relevanter Teil der Bevölkerung sukzessive von Werten wie Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz verabschiedet?
Dass künftig womöglich jene Vereine, die sich für Geflüchtete, für Opfer rechter Gewalt oder auch nur für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen, infolge des Rechtsrucks nun um ihre finanzielle Unterstützung seitens des Landes bangen müssen, ist da wohl noch der Punkt, der den meisten Menschen nur ein herzliches Schulterzucken entlocken wird. Sollen die doch künftig mit den Einnahmen vom Kuchenbasar ihre regenbogenbunte Welt finanzieren.
Aus radikal wird normal
Doch tatsächlich haben solche Vereine und ähnliche Organisationen einen wichtigen stabilisierenden Einfluss auf eine demokratische Gesellschaft. Liberale Demokratie basiere auf dem Engagement Einzelner für das Gemeinwesen, sagt der Soziologe Matthias Quent. Rechtsextremismusforscher an der Hochschule Magdeburg-Stendal: Wenn diese Einzelnen nun aus Frust oder sogar Angst in Thüringen das Handtuch werfen, „dann sind das die Grundlagen für eine antidemokratische, vielleicht faschistische Machteroberung“. Das klingt nach Angstmache im Soziologenjargon.
Die Politologin Rafaela Dancygier, Professorin an der Princeton University, übersetzt das aber gerne: „Wenn extremistische Politiker gewählt werden, dann hat das oft eine enthemmende Wirkung. Was früher als radikal galt, scheint plötzlich normal.“ Im Landkreis Sonneberg steigt die Zahl der rechts motivierten Angriffe, seit die AfD dort den Landrat stellt. Thüringen ist nun das Bundesland mit der höchsten Zustimmungsrate gegenüber rassistischer Gewalt. Kann man auch das noch mit einem Schulterzucken hinnehmen?
Bittere Wahrheit: Offen gelebter Rassismus schwächt die Wirtschaftskraft
Ausländerfeindlichkeit mag in AfD-Kreisen als Standortvorteil gelten, doch auf viele andere Menschen wirken derlei Abschottungstendenz, eine unterschwellige Aggression in der Gesellschaft und die wachsende Macht der rechtsextremen Parteigänger abschreckend.
Die Thüringer Migrationsexpertin Medine Yilmaz warnt bereits vor einer neuen Art der Abwanderung: werden verstärkt in den Westen ziehen, wenn ihnen der Osten zu unsicher wird und sie sich dort nicht erwünscht fühlen: „Die werden sich woanders Perspektiven suchen.“ Zurück bleiben dann nur diejenigen, die keine Chancen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt haben. Ist es wirklich das, worauf der AfD-Wähler hofft?
Thüringer Unternehmen oder solche, die einen Umzug dorthin erwägen, wird diese innerdeutsche Fluchtbewegung vor neue Personalprobleme stellen. Dem Thüringer AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke ist jedoch egal, ob er mit seinen Remigrations-Ideen der Wirtschaft seiner Wahlheimat schadet. Jenen Betrieben, die sich der Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ angeschlossen haben, wünscht er im Gegenteil sogar, dass sie „in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen“.
Dass diese Turbulenzen eine wirtschaftliche Sogwirkung haben werden, tangiert ihn nicht. Für den Thüringer oder sächsischen Protestwähler wird es dann noch schwerer werden, auf dem Land etwa einen Haus- oder Kinderarzt mit freien Kapazitäten zu finden. Gut möglich, dass die Post dann seine Region nur noch wöchentlich beliefert, der Müll nur noch monatlich abgeholt wird und die letzte Pizzeria im Ort endgültig schließt, weil ausländische Arbeitskräfte fehlen. Vielleicht dämmert es ihm auch erst, wenn sein Arbeitgeber und damit auch sein Job in den Westen abwandern. Aber vermutlich wird er auch dafür einfach in Berlin die Schuldigen suchen.