TV-Kolumne - Wahrheit zu Ampel-Aus und Lehren von Trump: Bei Illner bekommen TV-Zuschauer Klartext
Sigmar Gabriel hat einen Vorteil: Der Ex-SPD-Chef muss den Wählern nicht mehr gefallen. Deshalb kann er das Ampel-Beben schonungslos analysieren. Er sieht die FDP aus einem bestimmten Grund in der Verantwortung.
Eigentlich sollte es bei „Maybrit Illner“ ja um „Trump Reloaded“ gehen und um die Folgen seines Comebacks für Deutschland. Doch nach dem großen Berliner Beben sowie diversen kleineren tektonischen Verschiebungen auf dem Politparkett ist eine neue Weltordnung weniger interessant als die Frage, wie es in Deutschland weitergehen soll – und wer dabei den Leithammel geben darf.
Vorteil für Illner: Friedrich Merz als ein potenzieller Gewinner der überraschenden Zeitenwende war von vorneherein als Gast an diesem Donnerstagabend eingeplant gewesen. Vorteil für Merz: Er muss kaum noch über Trump und viel über sich reden. Es spricht für seine Kontrolle über die Backenmuskulatur, dass er nicht von der ersten Sendeminute an mit backenbreitem Grinsen am Tisch sitzt. Sondern sich große Mühe gibt, die Ernsthaftigkeit der Lage bis in die Mundwinkel einsinken zu lassen.
Merz fürchtet gute Weihnachtsgaben von SPD und Grünen
Verbal allerdings tritt Merz maximal breitbeinig auf, um nur ja nicht den Eindruck zu vermitteln, die Union würde nun bis Jahresende widerstandslos alle Vorhaben der Restampel abnicken: Man wolle wie bislang „dem zustimmen, was unserer Meinung nach richtig ist, und das ablehnen, was unserer Meinung nach falsch ist“, fasst der CDU-Chef die Unionspläne für die kommenden Wochen und Monaten zusammen.
Natürlich wäre es Merz und seiner Partei noch lieber, würde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage in den nächsten Tagen und nicht erst Anfang 2025 stellen. Zum Wohle des Landes und der Menschen, versteht sich – auch wenn diesen Menschen klar ist, dass die Forderungen nach schnellen Neuwahlen vor allem wahlstrategische Gründe haben: Sollte die rot-grüne Restregierung mit Unterstützung der Union bis Weihnachten jede Menge gute Gaben unters Volk bringen, würde dies lediglich dem Ansehen der SPD und der Grünen helfen – und das Momentum der Christdemokraten zunichtemachen.
Schmalhans als Krisenmeister: „Es geht nicht mehr alles“
Mit guten Gaben muss sowieso Schluss sein, wenn es nach Merz geht: In einer unionsgeführten Regierung wäre wohl Schmalhans der neue Finanzminister, lässt der CDU-Chef durchblicken. Anstatt die Schuldenbremse einzukassieren, müsse dringend priorisiert werden, was mit dem vorhandenen Geld gemacht wird: „Es geht eben nicht mehr alles!“
Mehr Leidens- und Leistungsbereitschaft wünscht sich Merz vom deutschen Volk: „Fordern und Fördern“ sei die richtige Antwort auf die Krise. Für den ebenfalls in der Runde sitzenden Sigmar Gabriel, einst SPD-Chef und kurzzeitig Außenminister unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ist das eine Steilvorlage: „Das ist die Agenda 2010 von Gerd Schröder“, feixt er. Schröder habe nur den Fehler gemacht, die Agenda als „Gürtel enger schnallen“ verkaufen zu wollen.
Kalkulierter Koalitionsbruch: So sieht Gabriel das
An Sigmar Gabriel sieht man, wie gut die Stimmen von manchen ehemaligen Politiker sind. Denn die können – befreit von jeglichem Taktieren und der Sorge, Wählerstimmen zu verlieren – Klartext reden, anstatt sich auf dünnem Eis so vorsichtig zu bewegen, dass es auch als Stillstand durchgehen könnte.
Ganz pragmatisch nennt Gabriel bei „Maybrit Illner“ die wahren Beweggründe für das Aus der Ampelregierung: „Zwei Parteien wollten in der Regierung bleiben, weil sie gehofft haben, dass das Verbleiben mit Blick auf die Bundestagswahl sie in eine bessere Lage bringt. Und eine dritte Partei hat den Eindruck gehabt: Wenn wir hier noch länger bleiben, kommen wir nicht mehr in den nächsten Bundestag.“ Und dann habe Lindner eben durch eine unverzeihliche Provokation dafür gesorgt, dass alles implodiert.
Weniger Politdrama, mehr Authentizität
All die Statements an diesem merkwürdigen Mittwoch, all die gegenseitigen Schuldzuschreibungen und zur Schau gestellten Betroffenheiten: nichts als Polittheater. Manchmal braucht es jemanden wie Sigmar Gabriel, der in der Politik nichts mehr zu verlieren hat und deshalb laut sagen kann, was ist.
Ein Verhalten, das CNN-Auslandskorrespondent Fred Pleitgen übrigens auch als das wahre Erfolgsgeheimnis von Donald Trump beschreibt: weniger „message control“ durch Parteistrategen und PR-Berater, dafür mehr Authentizität. Für den längst begonnenen Kampf um die Mehrheit im Bundestag könnte das ein Versuch wert sein. Oder eben das, was Gabriel empfiehlt: „Wenig versprechen – und das, was man verspricht, halten.“