TV-Kolumne zum „Sommerinterview“ - Saskia Esken legt im ZDF einen Traum-Auftritt hin - für ihre Gegner
Es war ein Traum-Auftritt der SPD-Parteivorsitzenden im ZDF-„Sommerinterview“ – also: für ihre Gegner. Zwei Wochen vor der ersten Landtagswahl im Osten feiert Saskia Esken unbeirrt „eine starke Regierung“. Da dürften bei manchem außerhalb ihrer Partei die Korken geflogen sein.
Wie wird Sahra Wagenknecht wohl dieses ZDF-„Sommerinterview“ gesehen haben? Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich die 55 Jahre alte Gründerin der jüngsten deutschen Partei eine Flasche Krimsekt geöffnet hat – naja, der kommt aus der Ukraine nach Europa, also vielleicht hat sie sich eher ein großes Glas Wodka eingegossen. Grund zum Feiern jedenfalls gab es reichlich. Die politischen Gegner der SPD hätten sich kaum eine perfektere Wunschgegnerin basteln können als – Saskia Esken. Die SPD-Bundesvorsitzende legt im ZDF einen Auftritt hin, dessen Dreistigkeit selbst den Interviewer Wulf Schmiese erkennbar immer wieder fassungslos gemacht hat.
Trudelt die SPD noch oder stürzt sie schon?
„Welche Zukunft hat die SPD?“ Es ist schon bezeichnend, dass diese Frage die allererste Frage ist, die das ZDF bei seinem Sommerinterview mit Saskia Esken aufwirft. In zwei Wochen sind Landtagswahlen in Thüringen. Der ältesten Volkspartei droht der Sturz unter die Fünf-Prozent-Hürde – und damit der Rauswurf aus dem Landtag. Die Wartburg bei Eisenach hat sich die Vorsitzende Saskia Esken als Ort der Begegnung ausgesucht.
Es ist ein Besuch im SPD-Notstandsgebiet. Die fast 1000 Jahre alte Festung liegt dabei mehr im Nebel als die Zukunft der Partei. „Warum haben die Leute keine Lust, SPD zu wählen?“, muss sich Esken vom ZDF fragen lassen. Die korrektere Frage wäre eher die gewesen, warum die Leute keinen Grund dazu finden. Aber die SPD-Vorsitzende hat sich ohnehin offensichtlich vorgenommen, solche Grundsatzfragen zu überhören. „Die Leute haben das Gefühl“, gibt Esken zur Antwort, „dass die Politik sie und ihre Lebensleistung nicht sieht und nicht anerkennt.“
Schuld? „Die Politik“ und „die schwierigen Zeiten“
Schuld ist also „die Politik“. So geht es weiter. SPD-Esken gibt die Teflon-Saskia, an der nichts hängen bleiben soll. Interviewer Schmiese startet den nächsten Versuch. Die älteste Partei trudelt oder ist schon im freien Fall. Die jüngste Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht, hat ihr bei der Europawahl mehr Stimmen abgenommen als jeder anderen. Was ihre Schuld daran sei, fragt er Saskia Esken sehr direkt. Ihre Antwort? „Es sind schwierige Zeiten.“
Und dann fügt Esken sogar noch hinzu: „fürs ganze Land“. Auf zur dritten Runde. Wie war das noch einmal mit der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf bundesdeutschem Boden? „Da sind im Verfahren sicher Fehler gemacht worden“, sagt die SPD-Vorsitzende – und sie klingt dabei so, als habe ein Büroassistent beim Abheften von Unterlagen in den Parteiordner bedauerlicherweise ein Eselsohr ins Papier gebracht.
„Wir haben sehr viel für die arbeitende Mitte getan!“
Diesem Stil bleibt Saskia Esken treu. Zum Thema Bürgergeld zitiert das ZDF den SPD-Bundestagsabgeordneten Joe Weingarten. Der hatte in einem offenen Brief geschrieben, das Bürgergeld habe sich völlig falsch entwickelt: „Fürs Nichtstun öffentliche Unterstützung zu bekommen, darf keine sozialdemokratische Zielsetzung sein.“ Ist die SPD also von der Arbeiterpartei zu einer Arbeitslosenpartei geworden, will Wulf Schmiese von der Vorsitzenden wissen. „Das sind wir nicht“, gibt Saskia Esken zur Antwort. Und sie fügt hinzu: „Wir haben sehr viel für die arbeitende Mitte getan – mit anderen Koalitionspartnern könnten wir noch mehr tun.“ Der Zuschauer lernt: Schuld ist nicht die SPD. Schuld ist schon gar nicht deren Vorsitzende. Schuld sind: die Partner.
„Ein starker Erfolg, der zu einer starken Regierung geführt hat“
Seit dem Jahr 2019 ist Saskia Esken eine der beiden Bundesvorsitzenden ihrer Partei. Ob die Kluft zwischen der „größten Volkspartei“ und „dem Wahlvolk“ inzwischen denn nicht so groß sei wie nie zuvor, will das ZDF wissen. Und erinnert an den Tiefpunkt Europawahl mit nur mehr 13,9 Prozent der Stimmen für die SPD.
Noch einmal versucht es Wulf Schmiese mit der Schuldfrage bei der 62-Jährigen, seit fünf Jahren im Parteivorsitz. Klar: Er bekommt auch diesmal keine Antwort. „Das ist zunächst nicht richtig“, bestreitet Esken, dass ihre Partei unter ihrem Vorsitz den Boden unter den Füßen verloren habe. „Auch in der Zeit, als ich mich beworben habe als Parteivorsitzende hatten wir sehr, sehr schlechte Zustimmungswerte noch unterhalb der 13,9 Prozent.“ Trotzdem habe man die Bundestagswahl gewonnen. „Das war ein starker Erfolg, der zu einer starken Regierung geführt hat.“ Da fragt der Interviewer doch lieber voller Verwunderung nach: „Eine starke Regierung?“ Und Saskia Esken antwortet: „Ja, absolut.“ Da zieht sie kurz die Mundwinkel hoch.
Nur in der Kandidatenfrage ist Esken verblüffend klar
Das ZDF hält Saskia Esken ein Zitat kurz nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden vor. 2019 war sie gefragt worden, ob Scholz ein aufrechter Sozialdemokrat sei. Und Esken gab die bitterböse Antwort: „Das kann ich im Lauf der sehr, sehr langen Jahre, die Olaf Scholz jetzt tätig ist, so nicht beurteilen, ehrlich gesagt.“ Fünf Jahre später gibt sich Teflon-Esken nur in einem Punkt wirklich eindeutig. Olaf Scholz, dem sie vor fünf Jahren noch die Identität als Genosse abgesprochen hatte, soll in jedem Fall Spitzenkandidat für die Bundestagswahl werden – nicht etwa der beliebteste SPD-Politiker Boris Pistorius. An dem Punkt hat sich dann vielleicht der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz eine Flasche Champagner entkorkt. Grund dazu hatte er. Auch ehrlich gesagt.