TV-Kolumne „Zukunft in Ostdeutschland?“ - ARD-Doku zum Osten macht genau den Fehler, den sie der AfD vorwirft

Eine neue ARD-Doku beschäftigt sich mit der Zukunftsfrage in Ostdeutschland.<span class="copyright">ARD</span>
Eine neue ARD-Doku beschäftigt sich mit der Zukunftsfrage in Ostdeutschland.ARD

Die Woche vor Brandenburg nutzt die ARD für den Versuch, Angst vor dem wilden Osten zu machen. Das mag ehrenwert sein. Mit dieser Machart überzeugt es nicht. Denn die Dokumentation macht einen entscheidenden Fehler.

Das Erste stellt schon einmal in Frage, ob Sachsen, Thüringen und Brandenburg zukünftig noch Chancen haben werden. „Die große Angst“, heißt die öffentlich-rechtliche Nachwahl-Bilanz, und dann kommt mit Fragezeichen: „Zukunft in Ostdeutschland?“

Die Antwort nach den 45 Minuten ARD-Programm scheint sonnenklar: Wenn die AfD bei den Wahlen weiter Erfolge einfährt, dann gibt es keine Zukunft – nicht in Sachsen, nicht in Thüringen, nicht in Brandenburg. Und in Deutschland eben auch nicht. Damit unterläuft dem Ersten ein entscheidender Fehler, den es so oft „den Populisten“ vorwirft: Es vereinfacht gnadenlos.

Angst im Osten: „Ich wurde angespuckt!“

Wir bekommen viele Menschen zu sehen, die sich um die Zukunft Sorgen machen. Wir sehen sie bei den jungen Basketball-Profis der „Löwen“ in Erfurt. „Ich wurde angespuckt, ich wurde angemacht und beleidigt – es ist schon ein komisches Gefühl“, sagt ein 17-Jähriger mit dunkler Hautfarbe. „Es sind viel mehr Ängste entstanden“, bestätigt sein Trainer.

Der Redakteur Fabian Klaus von der Tageszeitung „Thüringer Allgemeine“ berichtet, wie er persönlich angegriffen wurde. Er bestätigt auch, dass Journalistenkollegen manche Themen in seiner Heimat lieber nicht mehr bearbeiten wollen – wieder ist von der Angst die Rede. „Wir haben“, findet Fabian Klaus, „inzwischen eine parlamentarische Kraft, die Grenzen verschiebt.“

Echte Angriffe – und eine Verbal-Attacke von Ostdeutschen

Dazwischen geschnitten in der Dokumentation sind Demonstrationsszenen. Der Angriff auf den Journalisten. Menschen, die gegen den Christopher Street Day auf die Straße gehen und skandieren: „Ganz Deutschland hasst den CSD!“ Am Straßenrand wird immer mal ein AfD-Plakat eingeblendet.

Tatsächlich belegen Zahlen die Verrohung. Die Zahl der Angriffe auf Journalisten hat sich seit 2019 verfünffacht. Sachsen führt die Statistik an mit 117 gemeldeten und erfassten Attacken in den Jahren von 2015 bis 2023. Auch die Zahl der Angriffe auf Politiker hat zugenommen. Am meisten gefährdet sind inzwischen Politiker der Grünen - 1219 Attacken gegenüber 478 auf Politiker der AfD.

Irgendwann ist die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart zu sehen. Entweder, weil sie in Leipzig lebt. Oder einfach auch nur, weil sie den bösen Satz beisteuert: „Wenn Sie geführt werden wollen, dann nehmen Sie das Original aus Österreich!“ Damit bringt sie dann auch noch Hitler leibhaftig in die Story vom wilden Osten.

Und die anderen Ängste?

Mich persönlich überrascht diese ARD-Dokumentation „Die große Angst“ in ihrer Machart nicht. Mich überzeugt sie auch nicht mit neuen Argumenten oder einer neuen Sichtweise. Vor allem unterläuft ihr der Fehler, der so oft „den Populisten“ vorgeworfen wird. Sie vereinfacht eben. Es sind ja, und das ist spätestens seit den jüngsten Wahlen unübersehbar, nicht nur Nazis und Radikale, die AfD wählen.

Es sind Menschen, die eben auch „Die große Angst“ spüren – eine Angst um ihre eigene Zukunft, eine Angst um ihre Heimat, eben auch eine Angst um die Zukunft dieses Landes. Diese Ängste aber finden in der ARD-Doku nicht nur keinen Raum. Sie finden nicht einmal auch nur Erwähnung.

Und die anderen Patrioten?

Überzeugend ist „Die große Angst“ an dem Punkt, wo sie die Betroffenheit für einige Minuten überwindet und sich der Sachlichkeit öffnet. Da kommt der Dresdner Martin Wanitschke zu Wort. Er ist „Chief of Staff“ der Firma Wandelbots. Das Unternehmen ist im Jahr 2017 entstanden, um Roboter für viel mehr Menschen ins Leben zu bringen – kurz: Robotik für alle. Wie sagt es Wanitschke: „Wir wollten aus Dresden heraus etwas gründen, das die Welt verändern kann.“

Mitbegründer und CEO Christian Piechnick sieht das offensichtlich wirklich als seine Mission: „Wir gehen in Schulen und bringen Kindern die Robotik bei“, sagt er, „das macht uns zu weit größeren Patrioten als jeden, der hier auf Plakate schmiert, dass man Menschen abschieben muss.“ Zwei Patrioten also, die aus Überzeugung in Dresden und für Dresden arbeiten, die hier wirtschaftlichen Erfolg wollen, um die Welt zu verändern.

Da gibt ihrem Satz durchaus Nachhall: „Wenn die AfD hier eine Regierung stellen würde, dann wäre das für unser Land, für unsere Firma der Untergang. Dann wäre Dresden nicht der Ort, wo wir bleiben wollen.“ Die Angst gehört nicht nur den einen. Und der Patriotismus nicht nur den anderen.