Tijen Onaran im FOCUS-online-Interview - TV-Löwin gibt der Ampel eine glatte 6, doch ihre Zehn-Jahres-Prognose macht Mut

TV-Löwin Tijen Onaran: "Wenn die drei Koalitionsparteien feststellen, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr zu bieten haben, kann ich nur sagen: Dann tretet zurück und macht Platz. Lasst es jemand Neues versuchen".<span class="copyright">Onaran/imago</span>
TV-Löwin Tijen Onaran: "Wenn die drei Koalitionsparteien feststellen, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr zu bieten haben, kann ich nur sagen: Dann tretet zurück und macht Platz. Lasst es jemand Neues versuchen".Onaran/imago

Eine starke AfD, eine taumelnde Wirtschaft und eine mutlose Bundesregierung, die die Note 6 verdient: Die Unternehmerin und TV-Löwin Tijen Onaran warnt vor einem „perfekten Sturm“, der sich gerade über Deutschland zusammenbraut. Onaran fordert nun einen „Mut-Ausbruch“ für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Frau Onaran, die AfD ist stark wie nie und zieht Wähler an, die sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen fühlen. Wie blicken Sie auf den Rechtsruck im Land - und trägt die Ampelregierung eine Mitschuld daran?

Tijen Onaran: Ich glaube, es ist eine Mischung oder ein perfekter Sturm, der sich hier zusammenbraut. Wir haben einen Kanzler, der überhaupt nicht kommunizieren kann und jeglichen Kontakt zur Bevölkerung verloren hat. Dazu kommt eine anhaltende Wirtschaftsschwäche mit mittlerweile größeren Arbeitsplatzverlusten sowie die ungelöste Frage der Migration.

Aber auch die CDU schafft es nicht mehr als 30 bis 33 Prozent der Bevölkerung hinter sich zu vereinen. Es fehlt an einem Plan, einer Zukunftsvision und einer gehörigen Portion Mut, endlich Veränderungen anzustoßen.

Als Unternehmerin mit Migrationshintergrund: Fühlen Sie sich durch das Erstarken der AfD persönlich bedroht?

Onaran: Gesellschaften können jederzeit kippen. Das hat uns die Geschichte gelehrt. Ich hatte im Rahmen unseres Video-Podcasts die Möglichkeit, mit der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer zu sprechen. Das hat mich sehr bewegt und mir gleichzeitig noch mal vor Augen geführt, dass nichts sicher ist. Auch nicht im Deutschland des Jahres 2024.

Für mich konkret bedeuten die Entwicklungen, dass ich mir inzwischen genau überlege, ob ich Anfragen aus Ostdeutschland annehme. Das können sicherlich viele Menschen überhaupt nicht nachvollziehen, weil sie eben keinen sichtbaren Migrationshintergrund haben. Aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Sicher fühle ich mich im Osten nicht mehr.

„Eine Zeitungsanzeige hat noch niemanden davon abgehalten, AfD zu wählen“

Was sollten Politik und Wirtschaft gegen den Rechtspopulismus unternehmen? Wie sieht ein kluger, effektiver „Kampf gegen rechts“ in Ihren Augen aus?

Onaran: Eine Zeitungsanzeige hat jedenfalls noch niemanden davon abgehalten, AfD zu wählen. Ich finde, es ist ein schmaler Grat zwischen Zeichen setzen und wirklich etwas zu bewegen. Unternehmen müssen ja in erster Linie ihr Geschäft betreiben. Dennoch können sie nicht schweigen.

Für mich ist aber eher die Frage, was die richtige Art von Engagement gegen rechts ist. Nehmen wir Edeka als Beispiel: eine gefeierte Kampagne unter denen, die sicherlich nicht AfD wählen. Jetzt können sich alle auf die Schulter klopfen. Aber ich bezweifle, dass die Kampagne bei denen, auf die sie abzielen sollte, überhaupt einen Effekt hatte.

Wir müssen uns also selbst fragen: Wie können wir aus unserer eigenen Bubble aussteigen und hier aktiv werden? Unternehmen sollten der Politik mit Rat und Tat zur Seite stehen und meines Erachtens auch massiv spenden, um den Parteien zu helfen, professioneller zu werden. Wir sollten Mitarbeiter von Unternehmen ermuntern, aktiv in Vereinen und in Parteien am sozialen Leben teilzunehmen. Dort findet nämlich der eigentliche Diskurs statt und die AfD nutzt geschickt die Räume, die wir ihnen überlassen haben.

„Wäre Deutschland ein Unternehmen, der gesamte Vorstand wäre längst gefeuert“

Wie bewerten Sie die Performance des Kanzlers in diesen bewegten Zeiten? Haben er und seine Regierung den Kontakt zu den Sorgen und Nöten der einfachen Menschen verloren?

Onaran: Mit solchen Aussagen wäre ich vorsichtig. Denn selbst in Thüringen haben ja 67 Prozent nicht AfD gewählt. Aber klar, der Kanzler macht es nicht besser. Er hört nicht genau hin, er vermittelt den Eindruck, es besser zu wissen und auch zu können. Mehr Empathie wäre hier durchaus angebracht. Die Menschen wollen ernst genommen und gehört werden. Ob sie mit ihrer Meinung recht haben, ist erst einmal egal.

Aufgabe der Politik ist es, sich zu kümmern, den Menschen das Gefühl zu geben: „Wir haben es im Griff“. Und hier würde ich der aktuellen Bundesregierung eine glatte 6 geben. Es ist höchste Eisenbahn. Wir können nicht noch 12 Monate so weitermachen.

Wenn die drei Koalitionsparteien feststellen, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr zu bieten haben, kann ich nur sagen: Dann tretet zurück und macht Platz. Lasst es jemand Neues versuchen. Seien wir ehrlich: Wäre Deutschland ein Unternehmen, der gesamte Vorstand wäre längst gefeuert.

Viele Experten warnen vor einer schleichenden Deindustrialisierung in Deutschland. Glauben Sie, dass die Ampel-Koalition die deutsche Industrie bewusst aufs Spiel setzt, indem sie eine Politik der grünen Transformation verfolgt, die zu teuer und ineffizient ist?

Onaran: Transformationen sind immer teuer und schwierig. Und sie stoßen immer auf Widerstand, da der Erfolg nicht sofort sichtbar wird. Ich glaube, wir erwarten zu oft Wunder. Heute entschieden, morgen umgesetzt und übermorgen geht es mir spürbar besser. So ist es aber nicht.

Dennoch haben wir hier ein Problem: eine Politik, die keine mutigen Entscheidungen mehr trifft, sondern versucht, es jedem recht zu machen und dadurch notwendige Reformen verschiebt. Hinzukommt eine komplett dysfunktionale Verwaltung.

„Wir sind ein bequemes Land geworden“

Die Ampel wollte den Bürokratieabbau eigentlich beschleunigen. Sie führen vier Unternehmen: Hat sich hier etwas getan?

Onaran: Wir haben in Deutschland an diesem Punkt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Unsere Verwaltungen sind höflich gesagt nicht technikaffin, irgendjemandem fällt schon ein Grund ein, warum wir dies und das nicht digitalisieren können. Wir wollen alles immer zu 100 Prozent perfekt machen, es soll kein Risiko dabei sein, keine Lücke. Das hält uns von Innovationen ab.

Wie kann es sein, dass Estland fast komplett digitalisiert ist und bei uns alles so umständlich abläuft? Ich muss einen Brief oder ein Fax an Behörden schicken. Das kostet Zeit, Nerven und am Ende Geld. Mich ärgert letztendlich die Einstellung dahinter. Die Verwaltung ist doch für uns Bürger da – eigentlich.

Wie blicken Sie als Unternehmerin auf die Leistungs-Debatte in Deutschland?

Onaran: Wir sind ein bequemes Land geworden. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass es für uns geregelt wird. Und das wird deutlich in dem überbordenden Sozialstaat. Wir müssen dort unterstützen, wo es notwendig ist. Ich bin ein großer Fan der sozialen Marktwirtschaft. Ein Ausgleich muss sein. Ob wir aber auch hier wieder so viele Regelungen, Programme und Verwaltung brauchen, ist eher fraglich.

Ist Deutschland faul geworden?

Onaran: Nicht faul, aber wie gesagt: bequem. Uns ging es lange sehr, sehr gut und ganz ehrlich, ich kann die Menschen verstehen: Warum mehr arbeiten, wenn es sich nicht lohnt? Wir brauchen sie aber, die Leistungsträger, die Menschen, die die Extrameile gehen. Denn so sind wir als Nation groß geworden.

Viele Unternehmen klagen, dass die Sozialpolitik der Ampel zu einem Anstieg der Lohnnebenkosten führt und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdet. Sind diese Sorgen berechtigt?

Onaran: Mangelnde Reformen und Bürokratie sind definitiv die größten Gefahren für die Wirtschaft. Aber natürlich sind Lohnnebenkosten im internationalen Wettbewerb ein größeres Problem. Der Preis ist entscheidend, um sich auf dem Weltmarkt durchzusetzen. Aber das gehört für mich in ein großes Reformpaket: Infrastruktur, Steuern, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Verwaltung, Innovation, Umwelt. Hier müssen wir ran und uns trauen, richtige Reformen anzugehen. Das wird schmerzhaft, es wird in den ersten Jahren nicht einfach. Aber bei der Agenda 2010 hat es sich letztendlich auch ausgezahlt.

„Ich frage mich manchmal: Bin ich noch nur enttäuscht oder schon wütend?“

Mit Blick auf die derzeitige politische und wirtschaftliche Situation: Hat die deutsche Politik Sie als Unternehmerin enttäuscht?

Onaran: Ich frage mich manchmal: Bin ich noch nur enttäuscht oder schon wütend? Im Ernst: Ich bin Unternehmerin und Meckern bringt nichts, sondern wir müssen es anpacken. Und wenn wir alle unzufrieden sind, dann müssen wir uns engagieren. Genau das ist einer der Gründe, warum ich wieder politischer geworden bin.

BASF, Miele, Volkswagen ZF: Die Abwanderung von Schlüsselindustrien und die Schließung von Produktionsstandorten sind in Deutschland keine Seltenheit mehr. Unter welchen Umständen würden auch Sie sagen: Sorry, Deutschland, aber ich gehe jetzt …

Onaran: Ich habe mein ganzes Leben hier in Deutschland verbracht, bin in Karlsruhe zur Welt gekommen, habe mich politisch engagiert. Ich werde das Land doch nicht den destruktiven Kräften überlassen.

„Ich denke, in zehn Jahren haben wir die Kurve bekommen“

Wie geht es den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland in zehn Jahren? Schlechter oder besser als heute?

Onaran: Warum muss es denn überhaupt schlechter werden? Ich denke, in zehn Jahren haben wir die Kurve bekommen, denn ich glaube an dieses Land und die Menschen. Wir werden das schaffen, aber nur gemeinsam und mit einer großen Portion Anstrengung.

Aber ich will auch ganz klar sagen: Die Unternehmen selbst müssen auch investieren und dürfen sich nicht auf den Geschäftsmodellen der Vergangenheit ausruhen. Nur weil etwas 70 Jahre lang funktioniert hat, muss es das in Zukunft nicht auch. Wir brauchen nicht nur in der Politik, sondern auch an den Spitzen der Unternehmen in diesem Land mehr MUT.