Überzeugt uns! Der Politikercheck: Katzenvideos, Cannabis und viel Blabla

Die Moderatoren: Ronja von Rönne und Ingo Zamperoni (Foto: SWR)
Die Moderatoren: Ronja von Rönne und Ingo Zamperoni (Foto: SWR)

Sieben Politiker auf dem Prüfstand: Es geht um bezahlbaren Wohnraum, um Integration, die Legalisierung von Cannabis, die Generationengerechtigkeit, Chancengleichheit. Jungwähler sollten Antworten erhalten – und bekamen am Ende das gewohnte Blabla.

Drei Millionen potentielle Erstwähler wollen umgarnt werden. Ein Format gegen Politikverdrossenheit. Das sollte „Überzeugt uns! Der Politikercheck“ wohl sein. Was tut ihr eigentlich für uns?, das wollen die Jungen wissen. Der Check im Ersten sollte es verraten.

Jungen Wählern Politik nahebringen, die Entscheidung leichter machen, wo sie bei der Bundestagswahl ihr Kreuzchen machen: Das war das hehre Ziel der gestrigen Sendung. Die Moderatoren hangelten sich dabei an drei Leitfragen entlang:

Wie verändert sich Deutschland? Wie fair ist Deutschland? Welche Regeln braucht Deutschland?

Sie wollten überzeugen:

Jede Partei schickte für die Diskussion einen Vertreter ins Rennen. Offenbar die jugendnahsten, flippigsten, lässigsten Politiker aus ihrer Reihe. Äh, nicht… Jens Spahn (CDU), Ralf Stegner (SPD), Alexander Dobrindt (CSU), Katja Kipping (Die Linke), Cem Özdemir (Die Grünen), Katja Suding (FDP) und Alexander Gauland (AfD) redeten sich um Kopf und Kragen.

Überzeugt uns! Der Politikercheck
Diese sieben Kandidaten stellten sich den Fragen der jungen Wähler.

Wenn das junge Publikum nun aber erwartet hat, dass sich diese anders präsentieren als bei einer beliebigen Polit-Talkshow, dann blieben sie enttäuscht zurück. Wirklich auf die jungen Wähler einzugehen, das schaffte keiner der Anwesenden. Und sie wirkten nicht einmal bemüht – beziehungsweise blieb dafür fairerweise auch kaum Zeit. Denn es ging hektisch zu: 15 Sekunden blieben oft nur für Antworten auf die großen Fragen. Neunzig Minuten hechelten die Politiker durch die Show. „Ihr könnt nicht 1000 Themen in 90 Minuten pressen – ich weiß eh nicht, wer sich diese Sendezeit ausgedacht hat“, echauffierte sich Jens Spahn, der sich später eben so leidenschaftlich dafür einsetzte, dass seine Eltern in einem Berliner Café ihren Kaffee auf Deutsch bestellen können – nicht in Berlin-Mitte-Hipster-Denglisch.

Die Sendung bewegte sich auf zwei Ebenen. Das machte das Format abwechslungsreich. Ingo Zamperoni, Mister Tagesthemen und Schwiergermamis Liebling diskutierte mit den Gästen im Studio, an seiner Seite Ronja von Rönne als Co-Moderatorin. Im Nebenzimmerchen saß Journalist Richard Gutjahr auf der Couch und palaverte sich mit Satiriker „Schlecky Silberstein“ durch die Sendung. Und weil man sein Publikum ja „abholen“ will, wurde das Format nicht nur im Fernsehen ausgestrahlt, sondern auch live bei Facebook. „Interaktiv“ nannte Gutjahr das – und tatsächlich, es wurde fleißig kommentiert. Vor allem, während der satirischen Einspielfilmchen des YouTube-Comedy-Kollektivs Bohemian Browser Ballett. So wirklich gut schienen diese bei dem Publikum nicht anzukommen. Es blieb rätselhaft, warum die Sendung zwanghaft lustig werden sollte. Beispiel gefällig? In einem Video schläft Silberstein mit einer rüstigen Rentnerin, damit diese ihre Stimme bei der Bundestagswahl zugunsten von ihm, der Jugend abgibt. Peinliche Stille, erstarrte Gesichter, erzwungenes Lächeln.

Liebe ARD, ja, laut Moderatorin Ronja von Rönne reicht die Aufmerksamkeitsspanne der jungen Zielgruppe gerade mal für ein Katzen-Video. Doch in einer solchen Sendung hätte es nicht geschadet, mehr auf Inhalte zu setzen, auf die Fragen der Erstwähler. Was in deren Köpfen vorgeht, das sollte anhand einiger „Prototypen“ durchgespielt werden. Wie sich die ARD ihr Publikum eben so vorstellt.

Da ist Paul, ein aufgepumpter Kölner „mit russischen Wurzel“, der sagt: Deutschland war nicht bereit für die Flüchtlinge, Chaos ist entstanden. Und wie geht’s jetzt weiter? Oder da ist Tolga, der sagt: „Multikulti ist cool. Es gibt Deutsche, die schlecht sind, Türken, Italiener – also, von jeder Sorte, sag ich mal.“ Und da ist Sabrina, die sich durch den Stuttgarter Wohnungsmarkt quält – und als schlecht bezahlte Krankenschwester an den nahezu dreisten Mietpreisen verzweifelt. Oder Julia, die fordert: „Alkohol soll teurer werden.“ Sie ist seit vier Jahren trocken, und fordert: Macht es jungen Leuten schwerer, sich abzuschießen.

Was junge Leute zu interessieren hat. Und ja, es hätte interessant werden können. Doch so sauste die Sendung durch den Themendschungel, streifte bezahlbaren Wohnraum, Integration, die Legalisierung von Cannabis, die Generationengerechtigkeit, Chancengleichheit. Doch wirklich schlauer ging am Ende vermutlich kein verwirrter Erstwähler ins Bett. Sofern die Zuschauer dem Geschwafel der Politiker überhaupt noch folgen konnten. Immerhin hatte das Erste den groß beworbenen Politikercheck auf 23 Uhr geschoben. Offenbar richtete sich die ARD damit an Schüler mit Sommerferien und Studierende mit Semesterpause. Schon bei der letzten Auflage zur Bundestagswahl 2013 kritisierten Zuschauer die späte Sendezeit. Geändert hat die ARD daran nichts. Schade. Wie wäre es nächstes Mal mit einem Sendeplatz zur Prime-Time, um zumindest zu zeigen, wie ernst man das Thema nimmt?

Ausgerechnet Ronja von Rönne, jene Frau, die die Schnittstelle zur Zielgruppe sein sollte, der Klebstoff zwischen abgehobenem Politiker-Gerede und den Zuschauern, machte gestern eine unglückliche Figur. Rona von Rönne ist Bloggerin, Hipster-Girl und Journalistin. Doch an der Aufgabe als neutrale Vermittlerin scheiterte sie. Zu Cem Özdemir säuselte sie etwa: „Sie sind der Gute“. Gauland hingegen war der böse „Rechtsaußen“. Als sie den AfD-Politiker nach dem Einspieler einer Multikulti-Fußballmannschaft danach fragte, ob er Teil des Teams werden würde – vielleicht rechts außen. Oder ob er für ein „Reinheitsgebot“ bei Cannabis kämpfe, weil die Droge nicht deutsch genug sei. Der kam flach, liebe Frau von Rönne. Weiter geht es auf dem Niveau bei Richard Gutjahr: Gauland wollte keinen Boateng als Nachbar, jetzt hat er Cem Özdemir neben sich stehen. Diffamierende Floskeln statt echter Fragen: Chance verpasst.

Bezeichnend für die Show: Jene junge Schwäbin, die am Wohnungsmarkt schier verzweifelt, wurde nach der Antwortenrunde gefragt, ob sie denn jetzt wisse, wem sie ihre Stimme gibt: So wirklich überzeugt und erleuchtet wirkte sie nicht. Sie verneinte, lachte verlegen. Orientierung? Fehlanzeige.

ARD, leider nicht überzeugt.

Video: Diese Wahlkampf-Themen sind für Wähler in Deutschland am wichtigsten