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Ukraine-Konflikt: Wie Baerbock und Biden mit der Betriebserlaubnis für Nord Stream 2 pokern

Verbraucher und Verbraucherinnen in ganz Europa ächzen jeden Monat unter gestiegenen Kosten für Gas. Abhilfe schaffen soll die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2. Die Leitung soll künftig Gas von Russland nach Deutschland, und von dort nach ganz Europa, pumpen. Russland betont, dass Gaslieferungen so sicherer, kürzer und billiger werden. Auch ist die Pipeline bereits seit Wochen fertiggestellt – es fehlt jedoch noch eine Betriebserlaubnis der deutschen Behörden.

Seit dem Amtsantritt der Ampel-Regierung ist die Inbetriebnahme unwahrscheinlicher geworden. Die Große Koalition hat das Projekt dagegen immer verteidigt. Der ehemalige Finanzminister und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt, dass das Erdgas-Projekt rein privatwirtschaftlich sei und der Genehmigungsprozess unpolitisch. Doch dem widersprach der Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Natürlich gibt es eine politische Dimension.“

Auch die Grünen, insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock, sind schon seit langem skeptisch. Einerseits aus energiepolitischen Gründen, andererseits aus geostrategischen. Seitdem Russland Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht und manche Beobachter eine Invasion fürchten, haben die Bedenken massiv zugenommen.

So sieht etwa der Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, Juri Vitrenko, die Ostsee-Pipeline als direkte Vorbereitung für eine russische Invasion seines Landes. "Wir sind zu 100 Prozent sicher, dass Nord Stream 2 den alleinigen Zweck hat, die Ukraine beim Gastransit auszuschalten", sagte Vitrenko der "Süddeutschen Zeitung" vom Montag. Der russische Präsident Wladimir Putin bereite eine militärische Invasion vor, "und er will sicherstellen, dass dadurch keine negativen Folgen für den Handel mit Europa entstehen."

"Nord Stream 2 muss gestoppt werden, sollte die Ukraine angegriffen werden"

Die Ukraine ist nämlich aktuell noch ein wichtiges Transitland für russisches Erdgas nach Europa. Das Land ist von diesen Einnahmen abhängig. Der mögliche Einnahmeverlust der Ukraine wird unterschiedlich beziffert. Die Schätzungen schwanken zwischen einer bis drei Milliarden Dollar pro Jahr. Das entspräche drei bis neun Prozent des Staatshaushalts. Durch Nord Stream 2 könnte Russland einerseits die Ukraine schwächen und andererseits die eigene Position stärken. Denn noch ist Moskau auch von ukrainischen Pipelines abhängig, um sein Gas nach Europa exportieren zu können.

Regierungs- wie Oppositionspolitiker wollen dieses Druckmittel nutzen. Der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour sagte im ARD dazu: "In dem Augenblick, in dem es eine weitere Aggressionsstufe gibt durch Russland, ist eine sehr große Deutlichkeit da, dass diese Pipeline nicht kommen wird." Auch Politiker der Union sind in der Opposition skeptischer gegenüber dem Projekt. So kommentierte etwa der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter am Montag im Deutschlandfunk: "Ich glaube, Nord Stream 2 muss gestoppt werden, sollte die Ukraine angegriffen werden. Dann ist das zwar eine Fehlinvestition, aber eine Investition in die Sicherheit Europas".

Außenministerin Annalena Baerbock dagegen schlägt vor ihrer Reise nach Kiew und Moskau versöhnliche Töne an: "Wir sind bereit zu einem ernsthaften Dialog über gegenseitige Vereinbarungen und Schritte, die allen in Europa mehr Sicherheit bringen, auch Russland", erklärte sie am Montag in Berlin. Deutschland sei aber bereit "entschlossen zu reagieren, wenn Russland stattdessen den Weg der Eskalation geht". Baerbocks Kalkül dabei könnte lauten: Die Inbetriebnahme der Pipeline zurückhalten, aber ihr keine definitive Absage erteilen, um Russland vor einer Invasion abzuschrecken.

Auch die USA sieht in Nord Stream 2 ein Druckmittel gegenüber Russland

Dafür bekommt sie Unterstützung durch die US-Regierung. Diese vertritt eine ähnliche Position. Zwar sieht sie das Erdgasprojekt auch eher skeptisch, dennoch hatte Joe Biden per präsidentieller Ausnahmegenehmigungen verfügt, dass die Nord Stream 2 AG mit Sitz in der Schweiz und ihr deutscher Geschäftsführer von US-Sanktionen verschont blieben. Einen Gesetzentwurf der Republikaner, der zu härtere Sanktionen auch gegen Deutsche geführt hätte, fand keine Mehrheit.

Die Biden-Regierung erklärte vor der Abstimmung über den Gesetzentwurf, dass Nord Stream 2 zwar "ein schädliches geopolitisches Projekt Russlands" sei, doch der republikanischen Gesetzesentwurf nicht geeignet sei, "der russischen Aggression entgegenzuwirken oder die Ukraine zu schützen". Vielmehr würde die Verabschiedung des Gesetzes nur dazu dienen, "die Einheit unter unseren europäischen Verbündeten in einem entscheidenden Moment zu untergraben". Die Biden-Regierung setzt dagegen auf einen demonstrativen Schulterschluss mit der grünen Außenministerin.

Aus Sicht Washingtons könnte die Aussicht auf eine Betriebserlaubnis ein Hebel sein, um Moskau zum Einlenken im Ukraine-Konflikt zu bewegen. Wenn die Pipeline im Falle eines russischen Angriffs nicht in Betrieb genommen wird, dann würde das den politischen und wirtschaftlichen Preis für einen solchen erhöhen. Wenn das Projekt allerdings – wie die Republikaner hoffen – schon jetzt definitiv gestoppt würde, dann wäre dies kein Hinderungsgrund mehr für Russland in der Ukraine einzumarschieren.

Mit dpa