Ukraine-Krieg: Die Entwicklungen am Dienstag

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine herrscht in dem Land Krieg. Hier gibt's die aktuellen Entwicklungen.

Ukraine-Krieg: Die aktuellen Entwicklungen. (Symbolbild: Getty)
Ukraine-Krieg: Die aktuellen Entwicklungen. (Symbolbild: Getty)

Unser Ticker ist für heute beendet. Hier können Sie die wichtigsten Ereignisse des Tages nachlesen.

  • Scheinreferenden beendet - erste Ergebnisse

  • Medwedew: Russland hat Recht auf Einsatz von Atomwaffen

  • FDP-Fraktionschef: Merz' Aussage über Ukrainer «absolut deplatziert»

  • Selenskyj: Moskau zögert Niederlage heraus

  • Ukrainische Truppen rücken in Ostukraine weiter vor

  • Atomdrohungen: USA warnen Moskau vor außerordentlichen Konsequenzen

  • Merz sieht «Sozialtourismus» von Ukrainern nach Deutschland

Die aktuelle Newslage im Livestream:

+++ Scheinreferenden beendet - erste Ergebnisse +++

Die russischen Besatzer haben die Scheinreferenden in mehreren ukrainischen Gebieten für beendet erklärt und erste Ergebnisse der völkerrechtswidrigen Abstimmungen präsentiert. Nach Auszählung erster Stimmzettel in Wahllokalen in Russland hätten jeweils mehr als 97 Prozent der aus den Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja stammenden Wähler für einen Beitritt ihrer Heimatregionen zu Russland gestimmt, meldeten russische Agenturen am Dienstag.

Aus Wahllokalen in den besetzten Gebieten selbst gab es zunächst keine Angaben. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren seit vergangenem Freitag auch ukrainische Flüchtlinge in Russland. Damit dürfte noch in dieser Woche eine beispiellose Annexionswelle beginnen.

Die Scheinreferenden werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten werden. Beobachter hatten in den vergangenen Tagen auf zahlreiche Fälle hingewiesen, in denen die ukrainischen Bewohner der besetzten Gebiete zum Urnengang gezwungen wurden.

In einem nächsten Schritt wird erwartet, dass die von Moskau eingesetzten Besatzungsverwaltungen offiziell bei Kremlchef Wladimir Putin die Aufnahme in russisches Staatsgebiet beantragen. Der Kreml hatte mitgeteilt, dass dies schnell geschehen könnte. Putin hatte vor Beginn der Scheinreferenden betont, dass die Gebiete danach komplett unter dem Schutz der Atommacht Russland stünden.

+++ Diplomatenkreise: Selenskyj-Rede vor UN-Sicherheitsrat erwartet +++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj soll an diesem Dienstag bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zu den russischen Scheinreferenden in seinem Land sprechen. Diplomatenkreise bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass Selenskyjs Ansprache von der ukrainischen UN-Vertretung beantragt wurde. Es werde erwartet, dass Russland die Videobotschaft mit einer Abstimmung verhindern wolle. In ähnlichen Situationen war Moskau damit zuletzt vor dem mächtigsten UN-Gremium gescheitert. Bei solchen sogenannten prozeduralen Abstimmungen haben ständige Mitglieder kein Vetorecht, sondern brauchen eine Mehrheit von 9 der 15 Stimmen der Ratsmitglieder.

Die Sitzung ist für 21 Uhr deutscher Zeit geplant. In der Ukraine wird seit Freitag in den vier russisch besetzten Gebieten Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja in Scheinreferenden über einen Beitritt zu Russland abgestimmt. UN-Generalsekretär António Guterres hatte eine mögliche Annexion der Gebiete zuletzt als Verletzung des Völkerrechts bezeichnet.

+++ Facebook-Konzern stoppt russische Falschinformations-Kampagne +++

Der Facebook-Konzern Meta hat die bisher größte russische Kampagne mit Falschinformationen im Angriffskrieg gegen die Ukraine gestoppt. Über ein Netzwerk aus hunderten Accounts wurden gefälschte Artikel verbreitet, die vorgaben, unter anderem vom «Spiegel», der «Bild-Zeitung» und der britischen Zeitung «The Guardian» zu stammen. Darin wurde auch vor ukrainischen Flüchtlingen gewarnt, wie Meta in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht schrieb. Auch wurde darin behauptet, die Sanktionen gegen Russland würden nur dem Westen selbst schaden.

Zu dem Netzwerk gehörten über 1600 Accounts sowie gut 700 Seiten auf Facebook und rund 30 Profile auf der zum Konzern gehörenden Foto- und Video-Plattform Instagram. Neben Deutschland nahm es auch Nutzer in Frankreich, Italien, Großbritannien und der Ukraine ins Visier. Nur etwa 4000 Accounts seien einer der Facebook-Seiten des Netzwerks gefolgt, während die Betreiber rund 105 000 Dollar (110 000 Euro) für Werbung ausgaben. Zudem seien die Inhalte zum Teil auch von Facebook-Profilen russischer Botschaften verbreitet worden.

Während Meta es anhand ausgewerteter Informationen für erwiesen hält, dass die Kampagne von Russland aus betrieben wurde, machte der Konzern keine näheren Angaben dazu, wer genau dort dahinterstecken könnte.

Zugleich blockierte Meta auch ein chinesisches Account-Netzwerk, das die öffentliche Meinung in den USA mit Blick auf die Parlamentswahlen Anfang November zu beeinflussen versuchte.

Beide Kampagnen seien zwar frühzeitig gestoppt worden, bevor sie viele Nutzer erreicht hätten, betonte Meta. Doch vor allem die chinesischen Aktivitäten seien anders als bisherige Kampagnen aus dem Land gewesen, da diesmal vorgegeben worden sei, dass die Accounts bei Facebook, Instagram und Twitter von US-Amerikanern stammten. Dabei hätten sie sowohl konservative als auch liberale Standpunkte vertreten.

+++ Medwedew: Russland hat Recht auf Einsatz von Atomwaffen +++

Angesichts der scharfen US-Warnungen an Moskau hat der ehemalige Kremlchef Dmitri Medwedew erneut das Recht Russlands auf den Einsatz von Atomwaffen betont - «wenn das notwendig sein sollte». Das gelte in «festgelegten Fällen» und in «strikter Übereinstimmung mit den Grundsätzen der staatlichen Politik zur nuklearen Abschreckung», schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrats am Dienstag in seinem Telegram-Kanal.

Medwedew nannte folgende Voraussetzungen für die Möglichkeit eines russischen Atomschlags: «Wenn wir oder unsere Verbündeten mit solchen Waffen angegriffen werden. Oder wenn eine Aggression mit konventionellen Waffen die Existenz unseres Staates bedroht.» Das habe auch Staatschef Wladimir Putin kürzlich deutlich gemacht.

Dmitri Medwedew hat Russlands Recht auf den Einsatz von Atomwaffen betont (Bild: Contributor/Getty Images)
Dmitri Medwedew hat Russlands Recht auf den Einsatz von Atomwaffen betont (Bild: Contributor/Getty Images)

Russland werde alles tun, damit «feindliche Nachbarn» wie die Ukraine, «die direkt von den Nato-Staaten kontrolliert wird», nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangten, schrieb Medwedew. «Wenn die Bedrohung für Russland eine festgelegte Gefahrengrenze überschreitet, müssen wir antworten», meinte er. «Ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen, ohne lange Konsultationen. Und das ist sicher kein Bluff».

Der frühere russische Präsident, der auf dem Posten als Statthalter für Wladimir Putin galt, ist für seine drastischen Worte bekannt. Er hatte schon mehrmals mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Er gehe aber nicht davon aus, dass die Nato sich bei einem solchen Szenario in den Konflikt einmischen werde, schrieb Medwedew weiter. «Schließlich ist die Sicherheit Washingtons, Londons und Brüssels für das Nordatlantische Bündnis viel wichtiger als das Schicksal einer im Sterben liegenden Ukraine, die keiner braucht.» Die Lieferung von modernen Waffen sei für die westlichen Länder «ein reines Geschäft».

+++ Moskau: Kein Druck zur Auslieferung von Kriegsflüchtlingen +++

Russland will eigenen Angaben zufolge keinen Druck auf Kasachstan, Georgien und andere Länder ausüben, damit diese russische Kriegsflüchtlinge zur Rückreise in ihre Heimat zwingen. Das russische Verteidigungsministerium habe nicht vor, Appelle an die Behörden dieser Staaten «bezüglich einer angeblich erzwungenen Rückkehr» der sich dort aufhaltenden russischen Bürger zu richten, teilte die Behörde am Dienstag in Moskau mit.

Zehntausende Russen haben seit der Ankündigung der Teilmobilmachung von Reservisten vor knapp einer Woche das Land verlassen. Allein in die Ex-Sowjetrepublik Kasachstan in Zentralasien reisten nach Angaben der dortigen Migrationsbehörde seit dem 21. September fast 100 000 russische Staatsbürger ein.

Der kasachische Innenminister Marat Achmetschanow erklärte, sein Land werde russische Kriegsdienstverweigerer nicht ausliefern - es sei denn, sie seien international zur Fahndung ausgeschrieben. Auch in die Südkaukasus-Republik Georgien versuchten Tausende Russen zu gelangen. An der Grenze stauten sich rund 5000 Fahrzeuge.

+++ Zeitung: Russland will neuen föderalen Krimbezirk gründen +++

Russland hat einem Zeitungsbericht zufolge nach den Scheinreferenden in den besetzten ukrainischen Gebieten offensichtlich schon konkrete Pläne für deren Einverleibung in die Russische Föderation. Geplant sei die Bildung eines neuen föderalen «Krimbezirks», berichtete die russische Zeitung «Wedomosti» am Dienstag unter Berufung auf Quellen im Föderationsrat.

Dieser Bezirk solle die bereits 2014 annektierte Halbinsel Krim sowie die besetzten Teile der Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk umfassen.

Neuer Verwaltungschef solle Dmitri Rogosin werden, der im Juli als Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos abgelöst worden war, hieß es weiter. Schon im Juli hatten Medien spekuliert, der Hardliner und Nationalist könnte einer der Kreml-Kuratoren in den Separatistengebieten Donezk oder Luhansk im Osten der Ukraine werden.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte dazu auf Fragen von Journalisten, wenn Entscheidungen zur Gründung eines neuen föderalen Bezirks getroffen würden, werde der Kreml darüber informieren. «Wir kündigen solche Dekrete des Präsidenten oder Personalentscheidungen nie an», zitierte ihn die Agentur Interfax. Das Rechtssystem und die Exekutive seien aber bereit, nach den Abstimmungen in den Gebieten neue Subjekte in die Föderation aufzunehmen. Juristisch und aus Sicht des internationalen Rechts werde sich die Situation «kardinal» ändern.

Die international als Völkerrechtsbruch kritisierten Scheinreferenden sollten noch am Dienstag enden. Der Kreml hatte mitgeteilt, dass eine Aufnahme der besetzten Gebiete schnell geschehen könnte. Spekuliert wird, dass Präsident Wladimir Putin sich an diesem Freitag in einer Rede an die Nation wenden könnte.

+++ Deutsches Hauptkontingent landet in Estland für Übung «Baltic Tiger» +++

Luftwaffe und Marine haben in Estland mit Vorbereitungen für die Übung «Baltic Tiger 2022» begonnen. Nachdem das deutsche Hauptkontingent am Mittag eingetroffen ist, seien etwa 170 deutsche Soldaten dazu in dem baltischen Land, sagte ein Bundeswehr-Sprecher am Dienstag in Amari. Vom kommenden Montag an sollen spezialisierte Kräfte von Luftwaffe und Marine in Estland den Schutz von kritischer Infrastruktur des östlichen Nato-Partners trainieren. Zum Trainingsprogramm gehört auch die Absicherung von Verbindungswegen sowie von Truppen «auf dem Marsch», wie sie bei der Verlegung von Verstärkungskräften in das Nato-Land nötig sein kann. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine will die Nato einen verstärkten Schutz der Bündnispartner an der Ostflanke sicherstellen.

+++ 100 000 Russen nach Kasachstan gereist - Staus an georgischer Grenze +++

Zehntausende Russen haben seit der Teilmobilmachung des russischen Militärs vor knapp einer Woche das Land verlassen. Allein nach Kasachstan seien seit dem 21. September rund 98 000 russische Staatsbürger eingereist, teilte die Migrationsbehörde des kasachischen Innenministeriums am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax mit.

Mehr als 8000 Russen erhielten demnach eine persönliche Identifikationsnummer, die Voraussetzung für eine Registrierung und die Eröffnung von Bankkonten in dem zentralasiatischen Land ist. Seit Anfang April hätten bereits mehr als 93 000 russische Staatsbürger Identifikationsnummern und mehr als 4000 eine Aufenthaltserlaubnis für Kasachstan bekommen. Russland hatte am 24. Februar den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen.

Russlands Präsident Wladimir Putin will rund 300 000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die besetzten Gebiete zu halten. Er hatte deshalb am vergangenen Mittwoch eine Teilmobilmachung angeordnet, was bei vielen Russen Panik auslöste.

Der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte erklärt, dass alle Russen aufgenommen würden. Innenminister Marat Achmetdschanow betonte am Dienstag zugleich, dass russische Kriegsdienstverweigerer, nach denen gefahndet werde, ausgeliefert werden müssten.

+++ FDP-Fraktionschef: Merz' Aussage über Ukrainer «absolut deplatziert» +++

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr hat Aussagen von CDU-Chef Friedrich Merz über «Sozialtourismus» von Ukraine-Flüchtlingen als «absolut deplatziert» bezeichnet. Dürr sagte am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur: «Die Menschen aus der Ukraine kommen zu uns, weil sie vor Putins brutalem Krieg fliehen. Viele von ihnen haben alles verloren und bangen um ihre Angehörigen.»

Friedrich Merz hat sich für seine Wortwahl inzwischen offiziell entschuldigt (Bild: Sean Gallup/Getty Images)
Friedrich Merz hat sich für seine Wortwahl inzwischen offiziell entschuldigt (Bild: Sean Gallup/Getty Images)

Dürr sagte weiter: «Ich habe geflüchtete Frauen und Kinder getroffen, die teilweise unter Lebensgefahr zurück in die Ukraine fahren, um ihre Ehemänner oder Väter wiederzusehen. Dass ausgerechnet der Vorsitzende der Christdemokraten diesen Menschen Sozialtourismus unterstellt, kann ich nicht nachvollziehen. Herr Merz gefährdet mit solchen Narrativen die gesellschaftliche Unterstützung für die Ukraine.»

CDU-Chef Friedrich Merz hat sich für seine Wortwahl eines «Sozialtourismus» von Ukraine-Flüchtlingen entschuldigt. «Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung», twitterte Merz am Dienstag. Zu seinen Äußerungen über die Flüchtlinge aus der Ukraine gebe es viel Kritik, erklärte Merz und ergänzte: «Ich bedaure die Verwendung des Wortes "Sozialtourismus". Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems.»

Merz schrieb, sein Hinweis «galt ausschließlich der mangelnden Registrierung der Flüchtlinge. Mir lag und liegt es fern, die Flüchtlinge aus der Ukraine, die mit einem harten Schicksal konfrontiert sind, zu kritisieren.»

Die «Unwort»-Jury aus Sprachwissenschaftlern hatte das Wort «Sozialtourismus» im Jahr 2013 zum Unwort des Jahres bestimmt.

Merz hatte Bild TV am Montagabend gesagt: «Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.» Der Hintergrund laut Merz: Anfangs hatten Ukraine-Flüchtlinge Anspruch auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - seit Juni erhalten sie Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger, und sind damit besser gestellt.

+++ Selenskyj: Moskau zögert Niederlage heraus +++

Mit der laufenden Teilmobilmachung der Streitkräfte will Russland Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge lediglich den Moment der eigenen Niederlage hinauszögern. Das machte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Dienstag deutlich. Rund sieben Monate nach Kriegsbeginn hatte Russlands Präsident Wladimir Putin am Mittwoch eine Mobilmachung von Reservisten angeordnet. Seitdem herrscht vielerorts in Russland Entsetzen. Landesweit gibt es Proteste. Mehrfach gab es auch schon Angriffe auf Einberufungszentren.

Putins Vertrauter Jewgeni Prigoschin gab unterdessen erstmals die Gründung der gefürchteten Söldnertruppe «Wagner» zu. Außerdem erkannte Putin dem bekannten US-Whistleblower Edward Snowden die russische Staatsbürgerschaft zu.

Kann die Mobilmachung für Russland eine Wende im Krieg bringen? (Bild: Ashley Chan/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa)
Kann die Mobilmachung für Russland eine Wende im Krieg bringen? (Bild: Ashley Chan/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa)

«Sie haben gefühlt, dass sie verlieren werden. Und sie versuchen einfach, diesen Moment hinauszuzögern, um zumindest etwas Aktivität an der Front zu haben», sagte Selenskyj. «Leider ist sich die russische Bevölkerung noch nicht der gesamten Brutalität der russischen Regierung gegenüber ihrem eigenen Volk bewusst», sagte Selenskyj weiter. Das müsse den Russen klar gemacht werden.

+++ Ukrainische Truppen rücken in Ostukraine weiter vor +++

Im ostukrainischen Gebiet Charkiw haben die ukrainischen Truppen auf dem östlichen Ufer des Flusses Oskil weitere Geländegewinne verzeichnet. Die Siedlung Pisky-Radkiwski stehe wieder unter ukrainischer Kontrolle, teilte die Verwaltung der Gemeinde Borowa in der Nacht zum Dienstag beim Nachrichtendienst Telegram mit. Dazu wurden Fotos von zerstörter russischer Technik gezeigt. Vor dem russischen Einmarsch am 24. Februar hatte die Siedlung etwa 2000 Einwohner.

Zuvor hatte der ukrainische Generalstab von russischem Beschuss gegen Kupjansk-Wuslowyj etwa 40 Kilometer nördlich geschrieben und damit Berichte über die Rückeroberung der Stadt indirekt bestätigt. Kupjansk-Wuslowyj ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt auf dem linken Ufer des Oskil.

Nach ihrer Vertreibung aus dem Großteil des Charkiwer Gebiets Anfang September zogen sich die russischen Truppen hinter die Linie der Flüsse Oskil und Siwerskyj Donez zurück. Sie konnten diese Linie jedoch nicht halten. Auch im südlich angrenzenden Donezker Gebiet sollen ukrainische Einheiten ebenfalls Erfolge haben und sich dem Luhansker Gebiet auf wenige Kilometer genähert haben.

In dieser Woche wird nach der Abhaltung von Scheinreferenden im russisch kontrollierten Teil der Gebiete Donezk und Luhansk die Annexionen der Regionen durch Russland erwartet. Nach sieben Monaten russischer Invasion kontrolliert Moskau dabei zwar das Luhansker Gebiet fast komplett, das Donezker Gebiet aber nur gut zur Hälfte. Das Vorhaben des Kremls wird international bereits jetzt abgelehnt und als Verstoß gegen das internationale Völkerrecht gewertet. Der Westen droht Russland mit neuen Sanktionen.

+++ Tschechien führt vorübergehend Grenzkontrollen zur Slowakei ein +++

Tschechien führt vorübergehend wieder Grenzkontrollen zur Slowakei ein. Damit wolle man illegal einreisende Migranten von der Nutzung dieser Route abbringen, kündigte Ministerpräsident Petr Fiala nach einer Kabinettssitzung am späten Montagabend an. Er betonte, dass Tschechien für die überwiegende Mehrheit der Migranten nur ein Transitland auf dem Weg in den Westen Europas sei.

Die Personenkontrollen beginnen am Donnerstag und sollen für mindestens zehn Tage andauern. Bis zu 500 Polizisten und 60 Zollbeamte werden an 27 früheren Grenzübergängen Station beziehen, aber auch die grüne Grenze kontrollieren.

Seit Anfang des Jahres wurden nach offiziellen Angaben in Tschechien knapp 12 000 sogenannte Transitmigranten erfasst, die ein anderes Zielland angeben. Die meisten von ihnen sollen Syrer sein. Zudem wurden 125 mutmaßliche Schleuser festgenommen. Innenminister Vit Rakusan betonte, es dürfe keine Toleranz für das organisierte Verbrechen geben.

Eine Sprecherin des slowakischen Innenministeriums forderte, dass die Kontrollen auf EU-Ebene besprochen werden müssten. Beide Staaten gehören dem grenzkontrollfreien Schengenraum an. Die Grenze zwischen Tschechien und der Slowakei ist rund 250 Kilometer lang. Die beiden Länder bildeten bis zur friedlichen Teilung zum 1. Januar 1993 einen gemeinsamen Staat, die Tschechoslowakei.

+++ London: Moskau hofft auf heimische Unterstützung für Annexionen +++

Die russische Führung will nach Einschätzung britischer Geheimdienste mit der erwarteten Annexion ukrainischer Gebiete den Angriffskrieg vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen. Jegliche Ankündigung einer Einverleibung der Gebiete werde der Rechtfertigung von Russlands «spezieller Militäroperation» in der Ukraine dienen und beabsichtige, die patriotische Unterstützung des Konfliktes zu festigen, hieß es am Dienstag in einem Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Es sei damit zu rechnen, dass der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag in einer Rede vor dem russischen Parlament die Annexion der Gebiete im Osten und Süden der Ukraine formell bekanntgeben werde. Am Dienstag sollten dort die Scheinreferenden enden, die mutmaßlich der Legitimation des Schrittes dienen sollten.

Die britischen Geheimdienste gehen jedoch davon aus, dass die Russen Putins Pläne nicht so unterstützen werden wie von ihm erhofft. Die kürzliche Teilmobilmachung russischer Reservisten sowie das zunehmende Wissen über die Rückschläge in der Ukraine dürften die Zustimmung deutlich trüben, hieß es.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

+++ Grüne kritisieren Merz' Sozialtourismus-Vorwurf gegen Ukrainer +++

Die Klage von CDU-Chef Friedrich Merz über einen «Sozialtourismus» ukrainischer Flüchtlinge nach Deutschland hat bei den Grünen Empörung ausgelöst. «Wie passt es eigentlich mit der viel beschworenen Solidarität der Union mit der Ukraine zusammen, dass Friedrich Merz im Kontext von Menschen, die vor diesem furchtbaren Angriffskrieg fliehen, von „Sozialtourismus“ spricht?», fragte die Vorsitzende Ricarda Lang am Dienstagmorgen auf Twitter. Fraktionschefin Britta Haßelmann schrieb dort: «Sich durch die Abwertung anderer Menschen profilieren zu wollen, ist ein Instrument zu dem Rechtspopulisten regelmäßig greifen. Das weiß auch Friedrich Merz. Ihm scheint jedes Mittel recht zur Eigenprofilierung.»

+++ Letzter Tag russischer Scheinreferenden in Ukraine angelaufen +++

In den von Moskau besetzten Gebieten in der Ukraine hat am Dienstag der letzte Tag von Scheinreferenden begonnen. Die Menschen in den von russischen Truppen besetzten Teilen der Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja haben noch bis 15.00 Uhr MESZ (16.00 Uhr Ortszeit) die Möglichkeit, über einen Beitritt zur Russischen Föderation ihre Stimme abzugeben. Diese Scheinreferenden werden als Bruch des internationalen Völkerrechts kritisiert. Sie werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten werden.

In der Region Luhansk meldeten die Behörden erneut Beschuss durch Mehrfachraketenwerfer auf den Ort Altschewsk. Trotzdem seien alle Wahllokale geöffnet, hieß es. Das russische Staatsfernsehen zeigt bereits seit Tagen Menschen in den besetzten Gebieten, die sich glücklich zeigen, bald zu Russland zu gehören. Dagegen kritisieren unabhängige Medien, die Menschen würden unter Druck und vorgehaltenen Gewehrläufen ihre Stimme abgeben.

Es wird erwartet, dass die Besatzungsbehörden über den Ausgang der Scheinreferenden noch am Dienstagabend informieren. Es wird damit gerechnet, dass die Zustimmung für einen Beitritt zur Russischen Föderation mit 80 bis 90 Prozent angegeben wird. Danach wollen die Separatistenführungen offiziell bei Kremlchef Wladimir Putin die Aufnahme in russisches Staatsgebiet beantragen. Der Kreml hatte mitgeteilt, dass dies schnell geschehen könnte. Putin könnte sich dazu an diesem Freitag in einer Rede an die Nation wenden. Der Kreml hat den Termin bisher nicht bestätigt.

+++ Atomdrohungen: USA warnen Moskau vor außerordentlichen Konsequenzen +++

Die US-Regierung hat Russland erneut mit deutlichen Worten vor dem Einsatz nuklearer Waffen gewarnt. Die Konsequenzen wären «außerordentlich» und «real», sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, am Montagabend (Ortszeit) dem Sender CNN. Man habe dies auch Moskau sehr deutlich gemacht. «Wir haben den Russen nicht den Hauch eines Zweifels gelassen», sagte Price. Die US-Regierung meine es ernst. Price wollte nicht sagen, wie genau diese Konsequenzen aussehen würden.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte vergangene Woche die Mobilisierung von 300 000 Reservisten für den Angriffskrieg gegen die Ukraine angekündigt - er sagte dabei auch: «Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Das ist kein Bluff.» Beobachter sahen darin eine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. US-Außenminister Antony Blinken hatte bereits am Wochenende von «katastrophalen» Folgen gesprochen.

+++ Merz sieht «Sozialtourismus» von Ukrainern nach Deutschland +++

CDU-Chef Friedrich Merz hat einen «Sozialtourismus» von ukrainischen Flüchtlingen nach Deutschland beklagt. Er sagte Bild TV in einem am Montagabend gesendeten Interview: «Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.» Der Hintergrund laut Merz: Anfangs hatten Ukraine-Flüchtlinge Anspruch auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - seit Juni erhalten sie Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger.

Noch größere Probleme erwartet Merz nach eigenen Worten mit Flüchtlingen aus Russland, «wenn die Bundesregierung das täte, was die Bundesinnenministerin vorgeschlagen hat, nämlich hier jetzt praktisch allen Verweigerern des Kriegsdienstes, der Mobilisierung in Russland Zugang zur Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen». Die Union sei «strikt dagegen».

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» gesagt, von schweren Repressionen bedrohte Deserteure erhielten im Regelfall internationalen Schutz in Deutschland. «Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen.» Die Erteilung von Asyl sei jedoch eine Einzelfallentscheidung, in deren Rahmen auch eine Sicherheitsüberprüfung erfolge.