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Der Ukraine-Krieg und die Zukunft der ISS

Moskau/Washington (dpa) - Den erfahrenen Nasa-Astronauten Thomas Marshburn bringt so leicht nichts aus der Fassung. «Die Zusammenarbeit hier ist wesentlich für unser Überleben», stellte der 61-Jährige vor wenigen Tagen in der Schwerelosigkeit der Internationalen Raumstation ISS schwebend klar.

Ein Schüler aus dem US-Bundesstaat Ohio hatte den Astronauten, der bereits zum dritten Mal auf der ISS ist, zuvor per Video-Botschaft gefragt, wie das eigentlich so funktioniere - auf so engem Raum mit so verschiedenen Kollegen. «Wir trainieren das bevor wir losfliegen, und man lernt seine Kollegen wirklich richtig gut kennen.»

Gemeinsam mit Marshburn auf der ISS sind derzeit der deutsche Astronaut Matthias Maurer, die Nasa-Astronauten Mark Vande Hei, Raja Chari und Kayla Barron - sowie die russischen Kosmonauten Pjotr Dubrow und Anton Schkaplerow. Mehrere Monate lang leben und arbeiten die sieben Kollegen bereits gemeinsam im Außenposten der Menschheit im All. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine Ende Februar und den darauf folgenden Sanktionen drängt sich jedoch immer stärker die Frage auf: Kann die russisch-amerikanische Zusammenarbeit bei der ISS, an der darüber hinaus auch noch die Raumfahrtagenturen Japans, Kanadas und Europas beteiligt sind, so weiter Bestand haben?

Die Nasa gibt sich betont zurückhaltend - nicht nur via Astronaut Marshburn. Die Chefin des bemannten Nasa-Raumfahrtprogramms, Kathy Lueders, sagte bei einer Pressekonferenz, die Situation werde zwar beobachtet, der ISS-Betrieb laufe aber weiter «normal». Die Teams beider Länder seien in ständigem Kontakt. «Wir haben schon früher unter solchen Umständen den Betrieb aufrecht erhalten und beide Seiten haben sich immer sehr professionell verhalten.» Russland und die USA hielten ihre «friedlichen Beziehungen im Weltraum» aufrecht - deren Ende wäre ein «trauriger Tag».

«Lasst sie auf ihren Besen ins All fliegen»

Aus Russland kommen andere Töne. Zwar betont auch die russische Raumfahrtagentur Roskosmos ihren Willen zur weiteren Zusammenarbeit im Weltraum - warnt die USA allerdings auch vor einer möglichen Aufkündigung dieser und malt dabei sogar das Schreckensszenario eines Absturzes der ISS an die Wand. Zudem stoppte Russland die Lieferung von Raketentriebwerken in die USA. «Lasst sie auf ihren Besen ins All fliegen», kommentierte Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin hämisch.

In russischen Medien wird sogar schon eine Entkopplung des amerikanischen und russischen Teils der Station diskutiert. So etwas sei innerhalb eines Jahres möglich, sagte der wissenschaftliche Direktor des Moskauer Instituts für Weltraumpolitik, Iwan Moissejew, der Zeitung «Iswestija». Vor einem definitiven Ausstieg Russlands aus der ISS, mit dem in der Vergangenheit bereits gedroht worden war, schreckt Roskosmos bislang allerdings zurück. Erst im vergangenen Jahr hatte Russland ein teures Forschungsmodul zur ISS geschickt.

Doch es gibt weitere konkrete Einschnitte: Nachdem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Kooperation mit Russland für beendet erklärte, kündigte auch Moskau die Zusammenarbeit seinerseits auf. Als Reaktion auf die EU-Sanktionen zog Russland zudem in einem beispiellosen Schritt sein Personal vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana ab, dem einzigen eigenen Zugang der Europäischen Raumfahrtagentur Esa in den Kosmos.

Die Esa prüfe ihrerseits die weitere Zusammenarbeit angesichts der Sanktionen und müsse «viele schwierige Entscheidungen» fällen, teilte Generaldirektor Josef Aschbacher mit. Das europäisch-russische Weltraum-Vorzeigeprojekt «Exomars» zur Suche nach Spuren von Leben auf dem Roten Planeten scheint schon einmal in weite Ferne gerückt.

«Einfach unvorstellbar ist, was hier passiert»

Eine Fragerunde mit dem deutschen Astronauten Maurer auf der ISS sagte die Esa ab. «Ich kann Ihnen sagen, dass die Astronauten untereinander sehr gut zusammenarbeiten», betonte Aschbacher gegenüber dem Südwestrundfunk. «Matthias hat die Hoffnung ausgedrückt, dass wir Erdlinge auf dem Erdboden hier uns vertragen, weil es einfach unvorstellbar ist, was hier passiert, gerade aus dem Weltall gesehen.» Darüber, ob der Krieg an Bord der ISS ein Thema ist, ist nichts Offizielles zu erfahren.

Trotz vieler Konflikte zwischen Moskau und Washington galt die Raumfahrt stets als einer der wenigen Bereiche, in dem die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern funktioniert hat. Selbst im Kalten Krieg hatten die damaligen Blöcke in Ost und West im Weltall zusammengearbeitet - etwa beim Ankoppeln eines Apollo- und eines Sojus-Raumschiffs 1975.

Das Milliarden-Projekt ISS, seit mehr als 20 Jahren dauerhaft von Raumfahrern bewohnt, ist das Aushängeschild dieser Zusammenarbeit. Der Außenposten der Menschheit rund 400 Kilometer über der Erde gilt als Friedensprojekt. Die Nasa hatte zum Jahreswechsel einem Weiterbetrieb der ISS bis 2030 zugestimmt. Von russischer Seite steht die Zustimmung zu dieser Verlängerung noch aus - zu Jahresbeginn hatte Roskosmos dafür noch geworben, das hat sich mit den Sanktionen nun geändert. Experten befürchten einen dauerhaften Vertrauensverlust zwischen beiden Ländern.

Der Ukraine-Krieg lässt aber auch kurzfristigere ISS-Pläne in einem anderen Licht dastehen. In den kommenden Wochen sind mehrere Außeneinsätze geplant. Zudem soll - an Maurers 52. Geburtstag am 18. März - eine neue dreiköpfige russische Crew und zudem später die erste komplett private Crew mit der Mission «Axiom-1» aus den USA bei der ISS ankommen. Normalerweise werden Neuankömmlinge an der Schleuse herzlich begrüßt - jetzt aber wären russisch-amerikanische Jubelszenen im All fast schon ein politisches Statement.

Ende März soll dann Nasa-Astronaut Vande Hei gemeinsam mit den Kosmonauten Dubrow und Schkaplerow mit einer russischen Sojus-Kapsel zur Erde zurückkehren. An diesem Plan werde vorerst festgehalten, sagte Nasa-Managerin Lueders. Allerdings müssten die USA ihren Raumfahrer nach der Landung in Kasachstan über einen Umweg abholen. Russland und die USA haben ihren Luftraum für Flugzeuge des jeweils anderen gesperrt.

Man schaue nach möglichen «betrieblichen Flexibilitäten», hatte Nasa-Managerin Lueders angekündigt, unter anderem in Hinblick auf eine möglicherweise notwendige Anhebung der Station durch die USA. Bei Kurskorrekturen werden derzeit russische Raumschiffe eingesetzt, die an der ISS angedockt sind. SpaceX-Gründer Elon Musk, der mit seinen «Dragon»-Frachtern Astronauten und Nachschub zur ISS schickt, brachte seine Raumfahrt-Firma schon als mögliche Unterstützung ins Gespräch. Lueders betonte aber auch: «Es wäre sehr schwierig für uns, den Betrieb alleine weiterzumachen. Die ISS basiert auf einer internationalen Zusammenarbeit - mit gegenseitigen Abhängigkeiten.»