Umstrittenes Geoengineering - Jetzt experimentieren die Briten damit, die Sonne zu verdunkeln
Als erster Staat weltweit will Großbritannien nun Tests zur künstlichen Kühlung des Planeten finanzieren. Allerdings ist das sogenannte „Geoengineering“-Verfahren umstritten und könnte sogar von Nachteil für das Klima sein.
Die staatliche britische Wissenschaftsagentur Advanced Research and Invention Agency (ARIA) will umgerechnet rund 68 Millionen Euro für die Forschung des „Solar Geoengineering“ bereitstellen. Es sei die bislang größte öffentliche Finanzierung für das Verfahren, das auch als Solar Radiation Management (SRM) bezeichnet wird.
Beim SRM geht es vereinfacht gesagt um einen künstlichen Sonnenschutz für die Erde. Sonnenstrahlen sollen reduziert oder reflektiert werden, damit sich die Erde weniger stark erwärmt. Durch künstlich in die Luft geblasene Partikel soll ein Teil der Sonnenstrahlung zurück ins All gelenkt werden.
Künstlicher Sonnenschutz – Weltklimarat skeptisch
Wegen möglicher irreparabler Umweltschäden ist das Verfahren umstritten. Durch SRM könnten beispielsweise Niederschlagsmuster verändert oder die Ozonschicht beschädigt werden. Der Weltklimarat IPCC sieht im Geoengineering keine sinnvolle Lösung für den Klimawandel: In den jährlichen Berichten über den Forschungsstand zur Klimakrise und deren Bekämpfung wird SRM als Strategie nicht einmal erwähnt.
Dennoch fordern vor allem US-Forscher, das Geoengineering zu erproben. Andernfalls sei die Erderwärmung nicht zu stoppen und das Ziel der Weltklimakonferenz von 2015 in Paris nicht einzuhalten. Dort hatten sich die Vereinten Nationen darauf geeinigt, die zusätzliche Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf maximal 1,5 Grad Celsius über dem Niveau zu Beginn der industriellen Zeit vor rund 200 Jahren zu begrenzen.
Die Europäische Kommission und die US-Regierung prüfen seit anderthalb Jahren, ob SRM-Maßnahmen einen Beitrag zu diesem Ziel leisten könnten. Großbritannien will das Verfahren nun erstmals offiziell testen.
Geoengineering-Arten sollen erprobt werden
Die Regierungsinitiative will verschiedene Arten des solaren Geoengineerings erproben. So sollen Aerosole wie Schwefeldioxid in die Stratosphäre oder Meersalz-Aerosole in tief liegende Meereswolken geblasen werden, um Sonnenlicht von der Erde zurückzuwerfen.
Die Finanzierung der Tests kommt zu einer Zeit, in der die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher werden. Nach Angaben der US National Oceanic and Atmospheric Administration war der vergangene Monat der wärmste August aller Zeiten, gemessen an den durchschnittlichen globalen Land- und Meeresoberflächentemperaturen. Die Zahl der hitzebedingten Todesfälle steigt auf der ganzen Welt. In den Vereinigten Staaten gab es im vergangenen Jahr so viele Umweltkatastrophen wie in den gesamten zehn Jahren zuvor. Hitzewellen, Waldbrände und andere Katastrophen nehmen weltweit zu, wie aktuell die Überschwemmungen in Mittel- und Osteuropa zeigen.
Und doch steigen die Treibhausgasemissionen, die den Klimawandel vorantreiben, weiter an, da die Menschen weiterhin Kohle, Öl und Gas verbrennen. Die britische Wissenschaftsagentur ARIA befürchtet, dass es „selbst bei den aggressivsten Szenarien“ zur Verringerung der Treibhausgase unmöglich ist, diese Emissionen schnell genug zu reduzieren, um einen gefährlichen Anstieg der globalen Temperaturen zu verhindern.
Weltweit Geoengineering-Gegner
Ist das solare Geoengineering da die Lösung? Das Verfahren stößt auf großen Widerstand. Im Jahr 2021 sahen sich Forscher der Harvard University nach einem Aufschrei von Umweltschützern gezwungen, einen Geoengineering-Test in Nordschweden abzusagen. In diesem Jahr war Tennessee der erste US-Bundesstaat, der Geoengineering verbot. Im April stoppten lokale Behörden im kalifornischen Alameda ein Experiment, bei dem eine Maschine getestet wurde, die eines Tages zur Aufhellung von Wolken eingesetzt werden könnte - obwohl die Stadt in einer eigenen Analyse festgestellt hatte, dass keine Gefahr für die Öffentlichkeit besteht.
Die Gegner des Geoengineering argumentieren, die künstliche Kühlung würde von der dringenden Notwendigkeit ablenken, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Und sie befürchten, dass die Technologie schwerwiegende unbeabsichtigte Folgen haben könnte, selbst in kleinem Maßstab.
„Man bereitet das Scheitern des Klimaschutzes vor“
Zu diesen Gegnern gehört auch der Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel: „Ich bin alarmiert - man bereitet jetzt schon das Scheitern des Klimaschutzes vor", sagte er im ZDF . „Nach dem Motto: 'Uns fällt schon was ein, wenn das nicht klappt.'“ Latif warnte auch vor einer Vergrößerung des Ozonlochs. Die Einführung von SRM sei „eine Katastrophe“.
Frank Biermann, Professor für Nachhaltige Entwicklungspolitik an der Universität Utrecht, sagte bereits im letzten Jahr zu FOCUS online Earth , dass weder Wirkung noch Folgen des SRM wissenschaftlich erforscht seien. Ein solcher Eingriff in die Erdatmosphäre sei „praktisch undenkbar“ und aus geopolitischer Sicht „hochgefährlich“. Viele Wissenschaftler und Meteorologen befürchten ungeahnte Folgen für das Klima und das Wetter auf der ganzen Welt. Einige Regionen könnten stärker unter Trockenheit leiden, ganze Landstriche wären für die Landwirtschaft nicht mehr geeignet.
Die künstliche Verdunkelung könne zudem die Energiewende bremsen und eine Ausrede für die fossile Lobby darstellen, sagt Biermann. Wenn es vermeintlich einfache Lösungen gebe, fehle der Anreiz für fossile Unternehmen und die Weltgemeinschaft, klimaschädliche Geschäfte und Lebensweisen aufzugeben.
„Man bekämpft nur das Symptom, nicht die Ursache“
Auch das Umweltbundesamt warnt davor, dass der Ausstoß der Aerosole in der Atmosphäre womöglich das Gegenteil bewirken könnte. Die Methode sei mit enormen Unsicherheiten verbunden und noch nicht vollkommen erforscht.
„Wir sind uns darüber im Klaren, dass diese Freilandversuche der schwierigste und umstrittenste Teil des Programms sind“, sagte Mark Symes, der Leiter des ARIA-Förderprogramms für solares Geoengineering, der „New York Times“ . Die Experimente seien nötig, um „herauszufinden, ob einige dieser Dinge funktionieren".
Die Experimente im Freien müssten jedoch „geografisch begrenzt“ sein und in möglichst „kleinem Maßstab“ sowie auch zeitlich begrenzt laufen, so Symes. Die Freilandversuche dürften nicht mit der „unkontrollierten Freisetzung“ von giftigen Stoffen verbunden sein.
Der Umweltethiker und Philosoph Ivo Wallimann-Helmer von der Universität Freiburg/Schweiz beschäftigt sich insbesondere mit Fragen der Gerechtigkeit im Klima- und Umweltschutz. Für ihn gibt es „ethisch gute Gründe, mit Solar Engineering zurückhaltend zu sein“, wie er in der Neuen Zürcher Zeitung sagt. Aus der Versicherungswissenschaft sei der Begriff „moral hazard“ bekannt. Er umschreibe das moralische Risiko, Menschen zu fahrlässigem Handeln zu verleiten. „Wer sicher ist, dass ein Schaden sowieso bezahlt wird, nimmt höhere Risiken in Kauf. „
Auf das Klimaproblem bezogen bedeute das: “Warum soll man die Ursachen bekämpfen, wenn die Folgen technologisch vermieden werden können?“ Seine Meinung zu den Experimenten ist eindeutig: „Mit Solar Engineering können wir dem Klimawandel nicht beikommen. Wenn man die Erde technologisch kühlt, bekämpft man nur das Symptom, nicht aber die Ursache des Problems: die Emissionen.“
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