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Unfassbare Schilderungen: Michel Friedman analysiert den neuen Antisemitismus

In seiner Reportagereihe "Friedman schaut hin" auf Welt, dem früheren N24, widmet sich der mittlerweile 63 Jahre alte Journalist und Talker diesmal einem sehr persönlichen Thema: dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland.

Seit 2004 hat Michael Friedman, dieser streitbare und immer irgendwie sehr besondere Medienmacher, eine publizistische Heimat beim Sender N24 gefunden, der sich seit Januar 2018 "Welt" nennt. Neben seinem Talk "Studio Friedman" widmet er sich dort seit 2008 im Reportageformat unter dem Motto "Friedman schaut hin" Themen, die ihn besonders interessieren. In der Folge "Antisemitismus in Deutschland" (Donnerstag, 25.04., 17.15 Uhr), die danach 30 Tage über die Mediathek des Senders abrufbar sein wird, besucht Friedmann Menschen, die sich beruflich und persönlich mit dem - auch statistisch belegbaren - wachsenden Antisemitismus in Deutschland auseinandersetzen: dem Schauspieler Ulrich Matthes, dem Rapper Ben Salomo oder dem Berliner Restaurantbetreiber Yorai Feinberg.

Professor Samuel Salzborn vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin bestätigt, dass es mehr als nur ein Gefühl ist: Antisemitismus wird im Deutschland der Gegenwart nicht mehr so streng verurteilt wie früher, "negative" Pauschalurteile gegen Juden sind wohl zum ersten Mal seit dem Ende des "Dritten Reichs" wieder salonfähig geworden. Das beweist auch eine in dieser Rubrik gestiegene Kriminalstatistik.

Dazu befeuert die allgemeine Kultur des Hasses und der Verrohung der Diskussionskultur über soziale Medien und auf der Straße neue alte Vorurteile: "Es gibt so etwas wie ein dröhnend lautes Schweigen der Demokraten", sagt TU Berlin-Wissenschaftler Salzborn. "Das heißt, dass Antisemitismusdebatte nicht über Antisemitismus und damit über problematische Inhalte geführt werden, sondern ganz maßgeblich über das, was dann verniedlicht wird als Antisemitismusvorwurf."

Höhepunkt der Friedmannschen Reportage dürfte seine Begegnung mit dem Schauspieler Ulrich Matthes sein, einem ähnlich leidenschaftlichen Streiter wie Reportage-Host Friedman. Die beiden Deutschen entzweien sich über die Frage, was genau Zivilcourage ist und erzählen sich von persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus. Die macht der Berliner Yorai Feinberg mit seinem israelischen Restaurant in Berlin-Schöneberg fast täglich: Vandalismus, Drohungen gegen ihn und seine Mitarbeiter, Gruppen-Reservierungen unter dem Namen Adolf Hitler per Internet und ähnliches, gehören für den Gastronomen zur Tagesordnung. Ebenso wie der engagierte Rapper Ben Salomo von Erfahrungen auf einem Spielplatz berichtet, auf dem Kinder von ihrer Mutter zurückgerufen wurden, als sie mit Salomos zweijähriger Tochter spielten und deren - jüdischen - Namen hörten. Die Beispiele für täglichen Antisemitismus werden mehr, da sind sich Forscher und persönlich Betroffene in Michel Friedmans Reportage einig. Doch wie damit umgehen?

Jüdische Kinder in Berlin machen antisemitische Erfahrungen

<p>Man müsse die Gesellschaft wieder zu einer geringeren Schmerzgrenze führen, was antisemitische Äußerungen und Handlungen anbelangt, sagt der ein oder andere Protagonist des knapp 40 Minuten langen Films. Doch wie soll das gehen in einer Gesellschaft, die insgesamt deutlich aggressiver und polarisierter miteinander umgeht als früher? In Zeiten, in denen der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland die Nazi-Zeit 2018 öffentlich als &quot;Fliegenschiss der Geschichte&quot; relativierte, also - in seinen Augen - eine vernachlässigbar kurze Epoche der Deutschen, die wohl ein paar kleine Fehler aufwies? Rapper Salomo glaubt, dass die nächsten fünf Jahre entscheidend sein werden, ob sich Juden in Deutschland noch sicher fühlen können. Vielleicht, so antizipiert er, muss er seine Heimat dann - auch zum Schutze der kleinen Tochter - verlassen. Zwei junge Jüdinnen in Berlin, die pädagogische Arbeit mit Schülern leisten, bestätigen, dass etwa 80 bis 90 Prozent jüdischer Kinder, mit denen sie im Rahmen ihrer Arbeit zu tun hatten, antisemitische Erfahrungen in der deutschen Hauptstadt gemacht haben.</p> <p>Die Sendereihe &quot;Friedman schaut hin&quot; auf N24 eröffnete 2008 mit dem Thema &quot;Besuch im Knast&quot;. Seitdem grub der frühere Star-Talker immer wieder extravagante, spannende Themen für sein Reportage-Format aus, wie zum Beispiel zu den Sujets Wrestling (&quot;Das Erfolgsgeheimnis des Kampfspektakels&quot;), Homosexualität im Fußball (&quot;Talente, Tore und Tabus - Schwule im Fußball&quot;) bis hin zu Heino (&quot;Von der Haselnuss zum Hardrock - Heinos zweite Karriere&quot;). Die ungewöhnlich einnehmende Mischung Friedmans zwischen anspruchsvollem Intellekt und streitbarer Empathie funktioniert gerade bei jenen Themen, die ihm besonders am Herzen liegen. &quot;Antisemitismus in Deutschland&quot; ist für Friedman, der 50 seiner Verwandten im Holocaust verlor, das wohl das größte dieser Themen.</p>