Ungarische Audi-Mitarbeiter bekommen 18 Prozent mehr Lohn – und sind dennoch unterbezahlt

In Ingolstadt läuft die Audi-Produktion wieder an. Tagelang stand sie still, weil Mitarbeiter im ungarischen Werk Györ (Raab) gestreikt hatten. In Györ bauen 13.000 Audi-Arbeiter jedes Jahr rund zwei Millionen Benzin-, Diesel- und Elektromotoren, die über Nacht mit Zügen direkt zur Audi-Fertigung nach Deutschland transportiert werden.

Die Forderung hatte es in sich: 18 Prozent mehr Lohn. Die VW-Tochter hatte nur zehn Prozent mehr Gehalt angeboten. Zunächst hieß es daher, dass der Streik bis Sonntag andauern werde.

Doch am Mittwochabend dann löste sich der Streik in Luft auf. Seitdem wird in Ungarn wieder gearbeitet, bestätigte ein Audi-Sprecher am Donnerstag. Der Autobauer aus Deutschland hat die satte Lohnerhöhung von mindestens 75.000 Forint (237 Euro) pro Monat abgesegnet. Einfach so.

In der westungarischen Stadt steht laut Audi mit einer Jahresproduktion von 1,9 Millionen Motoren das größte Motorenwerk der Welt. Außerdem werden dort über 100.000 Audi Q3 und TT gebaut.

Aufgrund fehlender Motoren aus Ungarn konnten nach Konzernangaben allein in Ingolstadt über 10.000 Autos der Modelle A3, A4, A5 und Q2 nicht herstellt werden. Betroffen von dem Ausstand waren auch die VW-Werke im nahen slowakischen Bratislava (Pressburg) sowie in Leipzig.

Auch wenn 18 Prozent mehr Lohn im ersten Moment drastisch klingen, Audi kann die Lohnerhöhung verschmerzen. Denn auch nach der Lohnanpassung sind die Gehälter der Produktionsmitarbeiter in Ungarn nach Meinung von Branchenkennern in Ungarn weiterhin wettbewerbsfähig.

Die Montagemitarbeiter in Györ verdienen nach Gewerkschaftsangaben durchschnittlich 1100 Euro brutto im Monat. Audi nennt keine Zahlen, weist aber darauf hin, dass das Unternehmen 2017 zum attraktivsten Arbeitgeber in Ungarn gewählt worden sei.

Mit dem Verdienst liegen sie aber unter den Kollegen des benachbarten Werkes in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Dort war es vor eineinhalb Jahren zu der ersten Arbeitsniederlegung in der Geschichte von Volkswagen in dem EU-Land gekommen.

Der Arbeitsaufstand bei Audi zeigt, dass Unternehmer in Ungarn finanziell und strukturell mehr für ihre Mitarbeiter tun müssen. Ansonsten laufen sie Gefahr Fahrkräfte zu verlieren und das ansonsten exzellente Image deutscher Konzerne in Ungarn zu beschädigen.

29 Prozent aller Investitionen kamen nach Regierungsausgaben zuletzt aus Deutschland. Die Bundesrepublik ist mit Abstand der wichtigste Wirtschaftspartner für das zehn Millionen Einwohner große Land.

Dass Audi die Lohnerhöhung am Ende so schnell durchgewunken hatte, dürfte auch am Fachkräftemangel in Ungarn liegen. Weil die Wirtschaft boomt, sank die Arbeitslosenquote im vergangenen Jahr auf 3,8 Prozent.

Doch mit ihr sinkt auch die Zahl der verfügbaren Fachkräfte. Vor allem in Westungarn werden gut ausgebildete Arbeitskräfte wie Nadeln im Heuhaufen gesucht. Und der Kampf um die Fachkräfte in Ungarn dürfte sich noch weiter verschärfen.

Denn künftig wird mit BMW der dritte deutsche Autobauer in Ungarn produzieren. Die Bayern wollen im ostungarischen Debrecen eine Autofabrik errichten. BMW plant rund eine Milliarde Euro in die Stadt mit 203.000 Einwohnern unweit der Grenze zu Rumänien zu investieren.

Mehr als 1000 Mitarbeiter sollen dann jährlich bis zu 150.000 Autos produzieren. Auch Bosch hatte kürzlich angekündigt, in Ungarn expandieren zu wollen. Der Stuttgarter Konzern wird Ende 2019 die neue Fabrik mit 1200 zusätzlichen Arbeitskräften eröffnen.

„Sklavengesetz“ bringt deutsche Konzerne in Bedrängnis

Die Regierung in Ungarn unter dem rechtspopulistischen Premier Viktor Orbán rollt der deutschen Autoindustrie seit Jahren den roten Teppich aus. In zahlreichen Reisen wirbt der seit 2010 regierende Ministerpräsident mit großem Erfolg für den Standort.

Zuletzt setzte er ein höchst umstrittenes Arbeitszeitengesetz durch. Die von der Opposition und den Gewerkschaften als „Sklavengesetz“ kritisierte Regelung erlaubt es Unternehmen – allen voran den deutschen Konzernen – ihre Mitarbeiter zu 400 Überstunden pro Jahr zu verpflichten – statt wie bisher auf maximal 250. Für Ausgleich oder Bezahlung der Überstunden können sich Arbeitgeber statt einem Jahr in Zukunft sogar drei Jahre Zeit lassen.

Die Arbeitnehmer befürchten, dass durch die Hintertür die Sechstagewoche eingeführt werden könnte. Von den Protestierenden wurde der deutschen Industrie vorgeworfen, sie hätten das kontroverse Gesetz maßgeblich mitgeschrieben. Einen Beweis erbrachten die Regierungskritiker dafür aber nicht. Auch am Audi-Standort Györ kam es zu Protesten gegen das sogenannte Sklavengesetz.

Den Autobauern und deren Zulieferindustrie erlaubt das neue Arbeitszeitengesetz allerdings eine große Flexibilität, um auf eine mögliche volatile Nachfrage reagieren zu können. Hinter vorgehaltener Hand loben ausländische Manager die größeren Spielräume, unabhängig davon, ob die Unternehmer im Einzelnen sie überhaupt nutzen werden.

Die IG Metall und die Gesamtbetriebsräte aus der deutschen Automobilindustrie und von Siemens sahen das Gesetz vor dem Inkrafttreten zu Jahresbeginn hingegen äußerst kritisch. „Angeblich wollen ungarische Beschäftigte mehr Überstunden machen. Dies ist ein Indikator für zu niedrige Einkommen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Eine Reihe von Unternehmen wie beispielsweise die Drogeriemarktkette dm oder der Elektronikhändler Media Markt haben bereits erklärt, dass sie das neue Gesetz nicht in Anspruch nehmen würden.

Für Audi, Daimler und bald auch BMW ist Ungarn neben den niedrigen Löhnen und den laxen Arbeitnehmerrechten vor allem auch wegen der günstigen Unternehmensbesteuerung attraktiv. Hinzu kommt noch die gute Verkehrsinfrastruktur auf Straße und Schiene. Ein Lastwagen vom Auto-Werk Györ ins Stammwerk Ingolstadt braucht beispielsweise nur acht Stunden. Seit 1993 hat Audi deswegen, unter Führung von Achim Heimfling, neun Milliarden Euro in den ungarischen Standort investiert.

Die jetzige Lohnerhöhung von 18 Prozent fällt angesichts dieser Summe und der Standortvorteile kaum ins Gewicht. Vor Audi hatte bereits auch Daimler die Löhne in seinem ungarischen Werk in Keskemét (Ketschkemet) ähnlich deutlich angehoben.