"Die Ungeimpften treiben diese Pandemie": Virologin Brinkmann rät zu drastischen Mitteln im Kampf gegen Corona

Melanie Brinkmann sprach sich für härtere Maßnahmen aus. um der vierten Welle Einhalt zu gebieten: "Wir müssen viel konsequenter dagegensteuern." (Bild: ARD)
Melanie Brinkmann sprach sich für härtere Maßnahmen aus. um der vierten Welle Einhalt zu gebieten: "Wir müssen viel konsequenter dagegensteuern." (Bild: ARD)

Die vierte Corona-Welle scheint Deutschland derzeit förmlich zu überrollen. Ob sich das rasante Infektionsgeschehen überhaupt noch eindämmen lässt, darüber diskutierten bei "Anne Will" unter anderem die Virologin Melanie Brinkmann und Cornelia Betsch, Expertin für Gesundheitskommunikation.

Deutschland in Alarmbereitschaft: Seit Tagen vermeldet das RKI täglich neue Höchstwerte, in besonders betroffenen Bundesländern wie Bayern oder Sachsen sollen sogar wieder weite Teile des öffentlichen Lebens eingeschränkt werden. Auch bei "Anne Will" stand am Sonntagabend die Frage im Raum, welche Schritte nun notwendig seien, um die vierte Welle zu brechen - oder zumindest zu bremsen. Im Studio zu Gast waren neben zwei Vertreterinnen aus der Wissenschaft, Virologin Melanie Brinkmann und Psychologin Cornelia Betsch, auch FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD und Saarlands CDU-Ministerpräsident Tobias Hans.

Es war vor allem Melanie Brinkmann, Virologin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, die bereits zu Beginn der Sendung eindringliche Worte fand - auch in Richtung der anwesenden Politikerin und Politikern. "Viele der Kollegen und Kolleginnen sind absolut fassungslos, in welche Situation wir geraten sind. Es wurde gewarnt aus der Wissenschaft, welche Kraft die Delta-Variante hat und wie stark das Infektionsgeschehen davon abhängen wird, wie gut wir geimpft sind", so die Wissenschaftlerin. Nun müsse man zu drastischeren Mitteln greifen. "Es wird nicht ausreichen, auf 3G, 2G und Homeoffice umzuschwenken." Dort, wo die Inzidenz jetzt bereits sehr hoch sei, werde man vieles nicht mehr aufhalten können, erklärte Brinkmann. "Wir müssen viel konsequenter dagegen steuern."

Die Psychologin Cornelia Betsch kritisierte das verspätete Handeln der Regierung. (Bild: ARD)
Die Psychologin Cornelia Betsch kritisierte das verspätete Handeln der Regierung. (Bild: ARD)

"Viele können es sich immer noch nicht vorstellen, mit welcher Wucht da etwas auf uns zukommt"

Wichtig sei nun, infektiöse Kontakte zu reduzieren: "Das müssen wir deutlich mehr und stärker tun in Regionen, wo die Kurve gerade durch die Decke geht. Und selbst dann wird es fürchterlich für unser Gesundheitssystem." Die vierte Welle sei in vollem Gang, warnte Brinkmann: "Viele können es sich immer noch nicht vorstellen, mit welcher Wucht da etwas auf uns zukommt." Das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen werde von vielen Menschen immer noch unterschätzt oder schlichtweg nicht verstanden. "Wenn man sich ein Fußballstadion anschaut, wo ein Regentropfen reinkommt, am nächsten Tag sind es zwei, dann vier, acht und 16, dann ist das Stadion am Tag 43 vollgelaufen", erläuterte die Universitätsprofessorin den stetigen Anstieg der Neuinfektionen.

Auch Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, kritisierte das verspätete Handeln der Regierung. Die Bürgerinnen und Bürger seien hinsichtlich der hohen Inzidenzen und Warnungen seitens der Wissenschaft schon vor Wochen bereit gewesen, sich einzuschränken. Konzepte wie 3G und 2G etwa hätten die meisten Menschen hierzulande für gut und richtig befunden. Dadurch, dass die Politik jedoch zu langsam handle und uneinheitlich kommuniziere, verliere die Bevölkerung das Vertrauen in die Regierung und werde zudem leichtsinniger: "Wenn diese Vorgaben nicht kommen, dann verhält man eben sich auch wieder unvorsichtiger."

Dazu komme, dass der Weg zur Entscheidung immer umständlicher werde, je höher die Hospitalisierungsrate sei. Solch bürokratische Hürden irritierten die Leute zu Recht, wie Betsch anhand eines Beispiels zu erklären versuchte: "Ein kleines Feuer löschen wir mit Wasser, ein größeres mit Schaum und wenn wir ein ganz großes Feuer haben, dann haben wir so sieben bis zehn Maßnahmen und dann muss aber erstmal der Landtag entscheiden, ob wir die auch benutzen dürfen und wir müssen als Feuerwehrmänner dann überlegen, welche dieser Maßnahmen werden genutzt."

Arbeitsminister Hubertus Heil appellierte ans TV-Publikum: "Lasst euch impfen, wenn ihr das noch nicht gemacht habt." (Bild: ARD)
Arbeitsminister Hubertus Heil appellierte ans TV-Publikum: "Lasst euch impfen, wenn ihr das noch nicht gemacht habt." (Bild: ARD)

"Bei neun von zehn Ansteckungen sind Ungeimpfte involviert"

Auch in puncto Impfpflicht fanden die anwesenden Wissenschaftlerinnen deutlichere Worte als die Studiogäste aus der Politik. "Bei neun von zehn Ansteckungen sind Ungeimpfte involviert", mahnte etwa Cornelia Betsch, und auch Melanie Brinkmann stellte klar: "Die Ungeimpften treiben diese Pandemie gerade. Die Geimpften sind nicht unser Problem gerade." CDU-Ministerpräsident Tobias Hans hingegen sprach sich für Zurückhaltung aus: "Wenn wir jetzt die Debatte über eine generelle Impfpflicht zu früh und zu unausgegoren führen, bringen wir die nächste Gruppe der Bevölkerung auf die Straße, wie wir es jetzt in Österreich sehen."

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil schoss derweil gegen Politiker wie Markus Söder, die seiner Meinung nach den derzeitigen Diskurs über eine mögliche Impfpflicht ausnutzen, um Schlagzeilen zu machen: "Wenn sie als Politiker so eine Debatte führen, dann müssen sie ein Konzept haben, wie sie es umsetzen und wie es rechtssicher ist." Nichtsdestotrotz richtete auch er sich an die Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem TV: "Lasst euch impfen, wenn ihr das noch nicht gemacht habt. Lasst euch boostern. Wir müssen da gemeinsam als Gesellschaft durch."

Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans plädierte für Zurückhaltung: "Wenn wir jetzt die Debatte über eine generelle Impfpflicht zu früh und zu unausgegoren führen, bringen wir die nächste Gruppe der Bevölkerung auf die Straße." (Bild: ARD)
Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans plädierte für Zurückhaltung: "Wenn wir jetzt die Debatte über eine generelle Impfpflicht zu früh und zu unausgegoren führen, bringen wir die nächste Gruppe der Bevölkerung auf die Straße." (Bild: ARD)