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Ungeklärte Mordfälle: Der Sechsfachmord von Hinterkaifeck

Der Einödhof Hinterkaifeck war der Schauplatz eines der grausamsten und rätselhaftesten Mordfälle der deutschen Kriminalgeschichte (Bild: Staatsarchiv München)
Der Einödhof Hinterkaifeck war der Schauplatz eines der grausamsten und rätselhaftesten Mordfälle der deutschen Kriminalgeschichte (Bild: Staatsarchiv München)

Auf einem Hof nahe Ingolstadt wird eine komplette Familie brutal ausgelöscht. Die Morde von Hinterkaifeck zählen bis heute zu den größten Rätseln der deutschen Kriminalgeschichte.

Der Himmel zeigt sich sternenklar in dieser Nacht. Leichter Frost legt sich über die frisch gepflügten Felder vor dem Einödhof Hinterkaifeck. Als der Zeiger der laut tickenden Pendeluhr in der Stube auf Mitternacht vorrückt, beginnt ein neuer Tag. Den 1. April 1922 sollen die sechs Bewohner des Hofes jedoch nicht mehr erleben. Die fünfköpfige Bauernfamilie und deren Dienstmagd werden noch vor Sonnenaufgang brutal ermordet.

1922 kam der Teufel nach Hinterkaifeck, sagen die Leute

Erst vier Tage nach der Mordnacht findet der Ortsvorsteher Lorenz Schlittenbauer mit zwei Nachbarn des Hofes die Opfer. Als der Münchner Kriminaloberinspektor Georg Reingruber mit seinen Kollegen schließlich am 5. April 1922 am Tatort eintrifft, bietet sich ihm ein Bild des Grauens, das später als eines der mysteriösesten Verbrechen in die deutsche Geschichte eingehen wird.

Die Frühlingssonne wirft ein weiches Licht auf ein grausames Szenario. “Der Himmel sollte weinen”, denkt sich Reingruber, als er den schmalen Durchgang zwischen Stadel und Stall betritt. Dort liegen die Leichen von Andreas und Cäzilia Gruber, deren Tochter Viktoria Gabriel und der erst siebenjährigen Enkeltochter Cäzilia. Allen wurden brutal die Köpfe eingeschlagen. Das viele Blut hat den mit Heu bedeckten Boden schwarz gefärbt.

Reingruber geht in die Hocke. Er hat viel gesehen in seinem Leben, aber bei diesem Anblick gerät er ins Schwanken. “Tief durchatmen”, denkt er sich – und fixiert einen Schlammfleck auf seinen schwarz polierten Schuhen. Wie der Kriminaloberinspektor erfährt, wurde der Tatort bereits verändert. Ursprünglich waren die Körper der Toten übereinander gestapelt und mit einer Tür bedeckt worden.

Reingruber setzt seinen Weg in das Bauernhaus fort. Auf dem Herd in der Küche steht noch ein Topf mit eingebrannter Brotsuppe, auf dem Tisch liegen Essensreste und eine kleine Schiefertafel, auf der Töchterchen Cäzilia Schulaufgaben gelöst hatte. Als Reingruber die Mägdekammer betritt, findet er die Dienstmagd Maria Baumgartner. Die hübsche Frau wurde ebenfalls erschlagen und mit einem Federbett abgedeckt.

Grausamer Tod eines Kleinkindes

Beim letzten Fund stockt Reingruber der Atem. Im Schlafzimmer von Viktoria Gabriel liegt der zweijährige Josef tot im Kinderwagen. Für den Polizisten ist sofort klar, was geschehen sein muss: Ein Schlag hatte zunächst das aufgespannte Dach des Kinderwagens getroffen, dieses durchtrennt und dann dem Kind den Schädel zerschmettert. Der Schlag wurde mit solch sinnloser Wucht geführt, dass Blut und Gehirnteile an der Kopfseite des Wagens und am Bett klebten. Auch der kleine Josef ist abgedeckt – mit dem Rock seiner Mutter.

Der kleine Josef wurde in seinem Kinderwagen erschlagen (Bild: Staatsarchiv München)
Der kleine Josef wurde in seinem Kinderwagen erschlagen (Bild: Staatsarchiv München)

Reingruber geht zunächst von mehreren Tätern aus. Bei der erfolglosen Suche nach der Tatwaffe werden auf dem Dachboden zwei seltsame Mulden im Heu, sowie zwei verschobene Dachziegel entdeckt. Außerdem wurde in den vergangenen Tagen sowohl das Vieh im Stall versorgt, als auch der Brotvorrat aufgebraucht, was darauf hinweist, dass sich der oder die Täter nach dem Mord noch länger im Haus aufgehalten oder versteckt haben könnten.

Da auch das Schlafzimmer durchwühlt und eine Geldbörse geleert wurde, steht für Reingruber das Motiv fest: Raubmord. Doch gegen diese Vermutung spricht unter anderem, dass fast 1800 Mark und einige Wertgegenstände zurückgelassen wurden. Diese Tatsache lässt Reingruber allerdings nicht skeptisch werden. Nachdem die Polizei einige Zeugen ohne einschlägige Ergebnisse vernommen hatte, verlässt sie nach nur zehn Stunden den Tatort.

Eine spiritistische Sitzung mit sechs abgetrennten Köpfen

Nachdem die Polizei vom Tatort abgezogen ist, spielt sich auf dem Hof eine schauerliche Szene ab. Da alle Opfer durch Schläge auf den Kopf getötet worden waren, trennt der Gerichtsarzt Dr. Johann Aumüller den Toten, wie es in solchen Fällen damals üblich ist, auf einem provisorischen Seziertisch die Köpfe ab. Durch die Obduktion werden erstmals Hinweise auf den Tathergang enthüllt. Keines der Opfer zeigt Abwehrverletzungen auf, was bedeuten könnte, dass die Familie überrascht wurde oder den Täter möglicherweise kannte.

Erneut bestätigt sich auch die Grausamkeit des Verbrechens. Die kleine Cäzilia überlebte die Tat noch zwei bis drei Stunden und riss sich im Todeskampf büschelweise die Haare aus. Die Hofbesitzerin Viktoria Gabriel trägt außerdem Würgemale am Hals. Da die Polizei auch nach Wochen zu keinerlei Ergebnissen kommt, greifen die Ermittler zu einer äußerst ungewöhnlichen Methode. Sie schicken die Köpfe zu einer Hellseherin nach Nürnberg. Diese behauptet, so den oder die Mörder ausfindig machen zu können. Doch das Medium hat keinen Erfolg.

Menschliche Abgründe und ein Totgeglaubter unter Verdacht

Verdächtigungen, Verleumdungen und Beschuldigungen gibt es in den Wochen nach der Tat viele. Unter anderem, weil die Familie Gruber-Gabriel keinen guten Ruf genoss. Der Ehemann der ermordeten Viktoria, Karl Gabriel, fiel im Jahre 1914 im ersten Weltkrieg. Viktoria blieb danach unverheiratet. Es war bekannt, dass sich Viktorias Vater Andreas Gruber regelmäßig an ihr vergriff, seit sie 16 Jahre alt war. Aus diesem Verhältnis soll sogar der 1919 geborene Josef stammen.

Auch öffentliche Fahndungsaufrufe halfen nicht bei der Aufklärung (Bild: Staatsarchiv München)
Auch öffentliche Fahndungsaufrufe halfen nicht bei der Aufklärung (Bild: Staatsarchiv München)

In den Fokus der Ermittlungen gerät schnell der Ortsvorsteher Lorenz Schlittenbauer, der die Toten aufgefunden hatte. Er gilt ebenfalls als möglicher Vater des ermordeten zweijährigen Josef. Diese These lässt sich jedoch nicht belegen. Plötzlich werden auch Stimmen laut, dass der gefallene Ehemann von Viktoria, Karl Gabriel, den ersten Weltkrieg doch überlebt hatte, nach Hinterkaifeck zurückkam und Rache übte. Doch eine Sterbeurkunde und die Aussage eines Soldaten, er habe Gabriel selbst tot im Schützengraben gesehen, sprechen gegen den Verdacht.

Plötzlich taucht die Tatwaffe auf

Auf dem Grusel-Bauernhof will niemand mehr leben. Und so reißen die Erben das Gehöft ein Jahr nach der Tat ab. Hierbei gibt es einen spektakulären Fund: die Tatwaffe. Eine sogenannte Reuthaue (Hackwerkzeug) wird im Fehlboden der Scheune gefunden. Es muss den Täter einige Zeit gekostet haben, die Waffe in diesem Versteck unterzubringen.

An der Reuthaue klebt noch das Blut der Opfer. Es handelte sich um ein Werkzeug des ermordeten Andreas Gruber. Eine Besonderheit des Werkzeugs ist eine von Gruber unfachmännisch angebrachte Schraube, die bei den Obduktionen entdeckte Verletzungen verursacht hatte. Brauchbare Fingerabdrücke konnten nicht mehr festgestellt werden.

Heutige Ermittler schaudern über damalige Polizeiarbeit

Im Jahr 2007 darf ein Team aus 15 angehenden Kriminalbeamten in einer Polizeihochschule in Fürstenfeldbruck die alten Akten des Falls Hinterkaifeck untersuchen. Eine Tatortbefundanalyse zu erstellen, ist nach so langer Zeit kaum möglich. Dennoch gibt es durch die jungen Polizisten neue Erkenntnisse über die Tat, jedoch leider auch über die Schlampereien der damaligen Mordkommission. Unklar ist zum Beispiel, warum damals nur fünf Tatortfotos angefertigt wurden. Am wenigsten nachvollziehbar: Es wurden keine Fingerabdrücke genommen, obwohl die Technik seit 1909 bekannt war.

Was die Ermittler von damals vorschnell als Raubmord abtaten, beschäftigt die Studenten und sämtliche Hobbyermittler noch heute. So gehen sie davon aus, dass die Tat nicht geplant war, da der Mörder keine eigene Waffe mitgebracht, sondern die Reuthaue von Gruber benutzt hatte. Auch die Tatsachen, dass die Mordwaffe so gut versteckt war und viel Geld zurückgelassen wurde, sprechen gegen das Motiv Raubmord.

Das Abdecken der Opfer mit Tür oder Kleidungsstücken durch den Täter spricht nach heutigen psychologischen Erkenntnissen für eine gewisse Reue nach der Tat. Waren es also emotionale Morde mit Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer? Die Ermittler gehen davon aus.

Die ursprünglichen Ermittler machten nur wenige Tatortfotos (Bild: Staatsarchiv München)
Die ursprünglichen Ermittler machten nur wenige Tatortfotos (Bild: Staatsarchiv München)

Am Ende des 200-seitigen Berichtes der Fürstenfeldbrucker Polizeistudenten steht der Name ihres Hauptverdächtigen. Verraten dürfen sie ihn leider nicht. Denn auch ihnen war es nicht möglich, ihre These hundertprozentig zu beweisen. Auch Vermutungen wollen sie nicht äußern. Denn Menschen nach einer so langen Zeit zu beschuldigen, wäre unprofessionell und den Nachkommen gegenüber unfair.

Offiziell abgeschlossen ist der Fall schon lange. Doch beschäftigen die mysteriösen Morde heute nicht nur Hobbyermittler, sondern auch Drehbuch-, Theater- und Buchautoren, die in der grausamen Tat viel Stoff für Gruselgeschichten entdecken. Sogar touristisch wurde der Sechsfachmord von Hinterkaifeck ausgeschlachtet. Eine Gästeführerin aus Waidhofen bot nächtliche Wanderungen zum Tatort an, die feierlich mit einem Vier-Gänge-Menü eingeleitet wurden.