Urlaub - Liegenkrieg am Pool: Sind Platzhalter-Handtücher ein rein deutscher Fetisch?

Der Kampf um die besten Plätze am Pool beginnt. Aber warum ist das eigentlich so? Christoph Michalski, Konfliktnavigator, nimmt uns mit auf eine tiefgreifende Reise in die Psyche des Menschen<span class="copyright">Unsplash / Getty Images</span>
Der Kampf um die besten Plätze am Pool beginnt. Aber warum ist das eigentlich so? Christoph Michalski, Konfliktnavigator, nimmt uns mit auf eine tiefgreifende Reise in die Psyche des MenschenUnsplash / Getty Images

Sommer, Sonne, Liegenstress: Der Kampf um die besten Plätze am Pool beginnt früh morgens mit dem berüchtigten Akt des Handtuchauslegens. Aber warum ist das eigentlich so? Christoph Michalski, Konfliktnavigator, nimmt uns mit auf eine tiefgreifende Reise in die Psyche des Menschen.

Welche Rolle spielt der Konkurrenzkampf um begrenzte Ressourcen in solchen Situationen?

Es ist ein vermeintliches Ringen um Ressourcen. Die Hotels stellen in Relation zur Urlauberzahl ausreichend Liegen zur Verfügung. Die unterschiedlichen Urlaubsgewohnheiten – ob Frühaufsteher oder Langschläfer – verteilen statistisch gesehen die Nutzungsdauer über den ganzen Tag. Da kommt ein psychologischer Faktor ins Spiel, der schon am Buffet zu erkennen ist: Obwohl ausreichend Essen aufgetischt ist, werden auf den eigenen Teller die Speisetürme aufgehäuft, weil „es könnte ja sein, dass in 15 Minuten alles weg ist.“ Hamstermentalität - was ich habe, habe ich und nicht die Anderen.

Soziologisch geht es um Darwinismus sprich „survival of the fittest“. Der übliche Übersetzungsfehler „Überleben der Fittesten“ wird hier unbewusst korrigiert. Es geht nicht darum, der Stärkste zu sein, sondern der Anpassungsfähigste. Das ist die korrekte Übersetzung. Nicht die Muskeln sichern das Überleben, sondern die Raffinesse, sich der Umwelt anzupassen.

Bei Kampf der Neandertaler gab es Sieger und Verlierer. Dieses Urgefühl ist im Alltag kaum noch zu spüren – immer müssen wir Kompromisse eingehen und Abstriche machen. Da die wenigsten von uns einen realen Kampf im Metallkäfig durchstehen würden, suchen wir uns andere Wettkampfstätten. Da kann eine reservierte Liege ein berauschendes Siegergefühl in uns aufkommen lassen.

Beim Wettlauf um die Liege sind wir alle gleich - egal ob Professoren, Fachkräfte oder Angelernte. Hier kann jede(r) seine vermeintliche Pfiffigkeit unter Beweis stellen – inklusive des Triumphs beim späteren Räkeln auf der Siegerliege.

Was sind die tief liegenden psychologischen Gründe, die Menschen dazu bringen, um Liegestühle zu kämpfen?

Der erste, häufig genannte Grund ist Territorialverhalten. Wir markieren unsere bezahltes Revier. Ähnlich dem Beinheben eines Hund an Nachbars Zaun. Die Ressourcenverteilung ist eine Überlebensfrage – auch bedingt durch die aktuelle Weltlage. Vom Erdgas oder Öl müssen wir z. B. auf andere Heiz- und Brennstoffe ausweichen. Die letzte Bastion, um die wir alternativlos fighten können, ist die Liege am Pool – hier zeigt sich der Höhlenmensch in uns, der ums Überleben kämpft: Raffiniert, mit ausgeklügelten Techniken, den anderen an der Nase herumführen. Fehlt nur noch, dass wir dies auf der Brust trommelnd wie Tarzan lautstark verkünden.

Interessanterweise tritt auf Kreuzfahrtschiffen diese Ritual im geringerem Maße zutage. Das liegt daran, dass die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes „in einem Boot sitzen“. Da wir insgeheim ahnen, dass unser Reservierungsverhalten grenzwertig ist, sinkt unsere Schamgrenze dies zu tun, weil wir den Verlierern nicht ausweichen können. Das stimmt zwar bei 5000 Seefahrenden nicht – die Urinstinkte von der Arche signalisieren uns das aber.

Es gibt Indizien, dass dieses Verhalten von Generation zu Generation weitergegeben wird: Wenn die Kinder um 7 Uhr mit allen Utensilien zum Pool geschickt werden, um die Liegen an der Beckenkante zu reservieren und sich dann stündlich abwechseln - während die Eltern frühstücken.

Inwiefern spiegeln solche Konflikte unser alltägliches Verhalten wider, nur in einem anderen Kontext?

Der Tatort Liege ist ein Spiegelbild unserer Umgangsformen. Statt Höflichkeit, Anstand, gute Sitten sind Urinstinkte gefragt. Im Berufsleben können wir uns nur begrenzt ausleben, da gelten klare Rahmenbedingungen, die vom Chef vorgegeben werden. Unser Urlaub ist ein Zeit-Raum, in dem wir alles, wirklich alles bestimmen wollen. Selbstermächtigung ist da der etwas sperrige Begriff: Wir gestalten die Erholung zu 100%, wie wir es wollen.

  • Das schon erwähnte Buffet muss alles auftischen, auch wenn wir es nicht mögen.

  • Oh, Wasserski fehlt vor Ort, obwohl es im Prospekt angekündigt wurde, was ich aber wegen meiner Knie gar nicht machen kann.

  • Die Animation ist erst ab 10.00 Uhr, obwohl ich da noch schlafe - inakzeptabel.

Ich will wie ein Pharao auf alles immer Zugriff haben – habe ich ja schließlich bezahlt. Da wird das Angebot wie eine Zitrone bis auf den letzten Tropfen ausgepresst.

Ein anderes Phänomen ist der Zungenschlag „Wir waren zuerst hier!“ Das bekommt in der Zeit der Zuwanderungsfrage eine besondere Bedeutung. Die „alten“ Gäste haben sich durch die längere Anwesenheit Privilegien ersessen, die demonstrativ zu Schau gestellt werden. Die „Neuen“ müssen sich in diese Normen klaglos einfügen und die Hierarchie der „Alteingesessenen“ akzeptieren. Da erhält der Begriff Gastfreundschaft eine vollkommen neue Bedeutung. Weder in der Zuwanderungspolitik noch in der Urlaubsstimmung ist dies ein zielführendes Verhalten.

Wie gehen andere Kulturen mit der Situation um und was können wir von ihnen lernen?

Diese psyschologischen Verhaltensmuster sind auch in anderen Kulturen vorhanden. In den Medien wird die Auseinandersetzung mit den Briten immer wieder gern als Beispiel genommen. Es wird sogar von der „german beach towel brigade“ gesprochen. Mir scheint das eher eine alte Rivalität aus Fußballzeiten zu sein, die ihre Fortsetzung im Volksport „Liegenreservierung“ gefunden hat.

Lernen können wir von folgender Idee der afrikanischen Subsahara-Ländern: Ubuntu – das bedeutet Philosophie der Menschlichkeit: „Ich bin, weil wir sind.“ Menschen sind miteinander auf sozialer, politischer oder anderen Ebene verbunden. Deshalb  müssen wir uns im Sinn des Allgemeinwohls moralisch richtig verhalten. Alles und egal was wir tun, hat Konsequenzen auf die Menschen um uns herum- selbst wenn es nur um Sonnenbaden am Pool geht. Ich weiß, dass diese Bevölkerungsgruppe den geringsten Anteil an Pool-Urlaubern darstellt, doch die Sichtweise könnte uns bei vielen Dingen im Leben helfen.

Es gibt Bilder im Internet, wo Badetücher fein säuberlich gefaltet auf dem Boden vor der Eingangstür eine Warteschlange simulieren. Das ist ein weiterer Evolutionsschritt in der Liegen-Challenge. Ich warte schon auf den Roboter, der KI-gestützt die beste Taktik in Vertretung des Pauschaltouristen ermittelt und umsetzt.

Es läuft also alles auf den Hamletsatz hinaus: Erholung oder Liege? – das ist hier die Frage.

Oder mit den Zeilen, die vielen Liegenreservierern aus ihrer Kindheit bekannt sind: 1-2 oder 3. Du musst dich entscheiden – 3 Liegen sind frei.