US-Wähler teilen ihre Wahlprognosen, Hoffnungen, und Ängste vor den Wahlen
Als eine Gruppe müder Passagiere am Londoner Heathrow Flughafen um 7:25 Uhr angekommen ist, um nach New York zu fliegen, war Politik das Letzte, woran sie dachten.
Doch inmitten einer 12-stündigen Verspätung ihrer transatlantischen Reise kamen einige der US-Bürger auf das Thema der anstehenden Wahlen am Dienstag zu sprechen.
"Es ist einfach eine seltsame Situation, die ganze Zeit nervös zu sein", sagt die 30-jährige Tiffany, eine ehemalige Lehrerin in der Sekundarstufe auf dem Heimweg nach Südflorida. "Wir wollen einfach nur ein gewisses Maß an Normalität, damit wir nicht nur als das verrückte Land angesehen werden", beklagt sie.
Tiffany ist eine überzeugte Demokratin, die im Alter von 12 Jahren mit ihrer Mutter Brinetta aus Jamaika nach Florida zog. Zusammen mit Millionen anderer Wählerinnen und Wähler haben die beiden Frauen bereits vor ihrer Abreise nach Großbritannien vor einer Woche ihre Briefwahlunterlagen eingereicht.
Beide fürchten sich vor dem Ergebnis und den Folgen, von denen Tiffany glaubt, dass sie zu einem "Chaos" und vielleicht sogar zu einem "weiteren 6. Januar" führen werden, der von rechtsgerichteten Nachrichtensendern angeheizt wird.
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Wahlkampf im Sunbelt: Trump und Harris kämpfen um die Swing States
Ganz in der Nähe steht Patrick, ein IT-Techniker um die 50, der aus dem wahlentscheidenden "Swing State" Georgia stammt. Auch er macht sich Sorgen darüber, was nach den Wahlen passieren könnte: "Wenn Trump gewinnt, wird es auf den Straßen Krawalle geben", meint er. Die Demokraten haben "Angstmache" betrieben, fügt er hinzu.
Wahrscheinlich werden wieder nur Zehntausende der Millionen Wähler in den Swing States den Ausschlag geben. Die USA bleiben polarisiert.
Jüngste Umfragen haben ergeben, dass die Hälfte der Wähler die gegnerische Partei für "böse" hält, und viele Wähler haben Angst vor dem Endergebnis.
Das gilt allerdings nicht für alle. Leo, ein 40-jähriger US-Bürger, der in Großbritannien lebt und am Tag vor der Wahl zu einer Hochzeit reist, verspürt nicht die gleiche Nervosität.
"Es wird fantastisch werden. Ich habe das Gefühl, dass ich mit dem ganzen Land zusammen sein werde."
Der Preis der Eier
Während sich die Passagiere mit kostenlosem Kaffee und Sandwiches stärken, um die Wartezeit zu überbrücken, dreht sich das Gespräch nun über die Themen, die ihre Wahlentscheidung beeinflusst haben.
1992 warb Bill Clinton mit dem Slogan "it's the economy, stupid" (Es ist die Wirtschaft, Dummkopf). Donald Trump kämpft heute mit derselben Strategie um den Sieg.
Trotz vier Jahren niedriger Arbeitslosigkeit und eines starken Wirtschaftswachstums - stärker als in der EU und anderen G7-Ländern - stehen viele Wähler dem Wirtschaftsmanagement der derzeitigen Regierung weiterhin kritisch gegenüber.
Patrick erklärt, er stimme für Trump, "weil die wirtschaftliche Situation, in der wir uns in den letzten vier Jahren befunden haben, schrecklich ist".
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"Ich habe 2 Dollar für Eier bezahlt, jetzt zahle ich 4 Dollar", sagt er Euronews. "Eine Dose Pringles kostete 1 Dollar, jetzt sind es 2,50 Dollar." Er zitiert Trumps Vorschläge, Handelszölle zu erheben und die Einwanderung massiv einzuschränken, als Maßnahmen, die seiner Meinung nach den ehemaligen Präsidenten zurück ins Weiße Haus bringen werden.
Für Leo ist es die Wirtschaft, die ihn zu dem ehemaligen Präsidenten gebracht hat. Er meinte zusätzlich, dass er Trump "auch als Jude" unterstützt, da er mit den außenpolitischen Positionen des ehemaligen Präsidenten, insbesondere zu den Kriegen im Nahen Osten, einverstanden ist. Dennoch macht er sich Sorgen, dass "einige Leute an Trump glauben wie an Gott".
"Ich liebe Trump, aber ich setze Gott noch über ihn", sagt er.
"Ich denke, das ist gefährlich"
Die Harris-Kampagne musste wegen der Kriege im Gaza-Streifen und im Libanon einen politischen Drahtseilakt vollführen, um die Unterstützung der muslimischen und arabisch-amerikanischen Wähler zu erhalten, die in mehreren Bundesstaaten eine wichtige Wählergruppe darstellen - insbesondere im umkämpften Bundesstaat Michigan, der unbedingt gewonnen werden muss.
Tiffany befürchtet, dass diese Wähler Harris "abstrafen" und ihre Entscheidung bereuen werden, wenn Trump angesichts seiner früheren Politik gegenüber Israel und dem Nahen Osten gewinnen sollte.
Anstatt sich auf den Konflikt zu konzentrieren, hat die Harris-Kampagne es vorgezogen, sich auf soziale Themen zu konzentrieren, besonders auf reproduktive Rechte.
Tiffanys Mutter Brinetta ist Krankenschwester in ihren 60ern. Für sie ist Abtreibung das zentrale Thema der Wahl. Sie weiß, dass sie damit nicht alleine dasteht, und verweist auf Melania Trumps jüngste Memoiren, in denen die ehemalige First Lady schreibt, dass Abtreibung "eine Sache zwischen der Frau und dem Arzt" sein sollte.
Tom und Mike sagten Euronews, dass ihre Unterstützung für Kamala Harris zum Teil auf die Kommentare von Trump und seinem Kandidaten JD Vance zurückzuführen sei, die sich gegen LGBTQ+-Personen richteten und sie ins Lächerliche zogen.
"Vance sagte, wenn man ein kluger Schwuler sei, würde man für Trump stimmen", sagt Mike und grinst.
"Oh nein, 'normale' Schwule", lacht Tom und fügt hinzu, dass "sie den Dialog über die Rechte von Transsexuellen als Treibstoff benutzen, und das halte ich für gefährlich."
Vance, der sich seit seiner Kandidatur für den Senat im Jahr 2022 in dem konservativen "Kulturkrieg" tätig ist, sorgte vor Kurzem für eine weitere Kontroverse. Vance hat Menschen, die sich als Transsexuelle outen, mit seinem eigenen "völlig verrückten" Kind verglichen, das behauptet, ein Dinosaurier zu sein.
Abgesehen von politischen Fragen teilten viele der heimkehrenden Passagiere ein tiefes Misstrauen gegenüber dem politischen System der USA im Allgemeinen, und einige wiederholten Verschwörungstheorien oder schlichtweg falsche Informationen.
Einige behaupteten, dass beide Kandidaten nur Marionetten höherer Mächte seien. Ein Passagier meinte gegenüber Euronews, dass die Wähler in Washington nicht wählen könnten - sie können es - und dass die jüngsten Hurrikane, die den Südosten der USA heimsuchten, von Trumps Verbündeten gesteuert wurden, um die derzeitige Regierung schlecht aussehen zu lassen.
Ein Blick aus dem Ausland
Alina ist Deutsche und zog einen Tag nach Trumps Wahlsieg 2016 in die USA, verließ sie aber einige Jahre später wieder. Jetzt, in ihren 30ern, kehrt sie diese Woche mit einem Gefühl von Déjà-vu zurück.
"Ich hoffe wirklich, dass die Amerikaner aufwachen und erkennen, dass Donald Trump... euch nur das erzählt, was ihr hören wollt", sagt sie und rollt mit den Augen.
Während sie den Aufstieg der extremen Rechten im eigenen Land fürchtet, glaubt sie, dass Trump für etwas anderes steht.
"Für mich ist das einfach verrückt. Man sieht zwar einige verrückte Dinge im deutschen Fernsehen, aber nicht so verrückt wie das."
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Tiffany stimmt dem zu und hofft, dass Europa mit gutem Beispiel vorangeht, indem es sich von der Wahl einer Labour-Regierung in Großbritannien inspirieren lässt. Sie sagt, dass das Anti-RN-Wahlbündnis in Frankreich „ein Hauch von französischer Hoffnung“ sei.
Es gibt auch einige Zweifel. Mehrere europäische Passagiere, die in die USA reisen, äußerten ihre Befürchtung, dass es nach den Wahlen zu Unruhen kommen könnte, und machten sich sogar Sorgen darüber, ob es sicher sei, nach dem Wahlergebnis das Haus zu verlassen.
Doch während die USA mit tiefen und dauerhaften Spaltungen zu kämpfen haben und einer Wahl entgegensehen, die einen großen Teil der Wählerschaft unglücklich und wütend zurücklassen wird, waren sich die Passagiere fast einig, was sie in der Wahlnacht tun würden: "Trinken".