US-Wahlen: Warum die Wahl im Jahr 1876 die umstrittenste aller Zeiten war

Durch Wahlbetrug, geheime Absprachen und eine viermonatige Verzögerung wurde die US-Wahl 1876 ein Debakel.

Eine Karikatur zur Einigung in der US-Wahl von 1877 zeigt symbolisch eine Hand, die andere Hand davon abhält, zu einer Pistole zu greifen.
Eine Karikatur von Thomas Nast zum Wahlkompromiss von 1877 legt nahe, dass durch die Entscheidung eine gewalttätige Eskalation verhindert wurde (Bild: Library of Congress via Wikimedia)

Donald Trump tut gerade alles, was in seiner Macht steht, um die bald stattfindenden US-Wahlen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. So versuchte er beispielsweise, die Briefwahl zu behindern, und rief seine Anhänger dazu auf, zweimal abzustimmen. Und sollte das Ergebnis nicht in seinem Sinne ausfallen, ist eine friedliche Amtsübergabe an seinen demokratischen Nachfolger unwahrscheinlich. Denn dass er seine Macht kampflos abgeben wird, will er nicht versprechen: “Wir werden sehen, was passiert”. Sein Unwillen zur Aufgabe der Macht erinnert an die Wahl in den USA im Jahr 1876, als beide Kandidaten ihren Sieg erklärten und erst vier Monate nach der Abstimmung ein Ergebnis feststand.

Wiederholt sich die Geschichte? Hier können Sie lesen, was bei einer der seltsamsten Wahlen in der Geschichte der Vereinigten Staaten abgelaufen ist.

Wer waren 1876 die Präsidentschaftskandidaten?

Die beiden Kandidaten, die der 19. Präsident der USA werden wollten, waren der Republikaner Rutherford B. Hayes und der Demokrat Samuel J. Tilden. Hayes war außerhalb seines Heimatstaates Ohio, wo er erst Kongressabgeordneter und dann Gouverneur war, eher unbekannt. Die Republikanische Partei stellte ihn als Kandidaten auf, weil er im amerikanischen Bürgerkrieg verwundet worden war und man dachte, dass er daher die Sympathien der Veteranen haben würde. Ohio war ein Swing State und die Republikaner setzten darauf, dass Hayes die Wechselwähler gewinnen würde.

Eine historische Darstellung der Präsidentschaftskandidaten Samuel Tilden (links) und Rutherford B. Hayes.
Die Präsidentschaftskandidaten Samuel Tilden (l.) und Rutherford B. Hayes (Bild: Universal History Archive/Universal Images Group via Getty Images)

Tilden stammte aus einer wohlhabenden New Yorker Familie und ließ sich zum Anwalt ausbilden, bevor er schließlich der 25. Gouverneur des Staates New York wurde. In dieser Funktion wurde er wegen seiner Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption bekannt. Bei den Demokraten wurde er schnell sehr beliebt und 1876 wählte man ihn zum Präsidentschaftskandidaten, da er für Reformen stand und das Wahlsystem sehr gut kannte.

Welche Themen dominierten die Wahl 1876?

Amerika befand sich mitten in einer schweren Wirtschaftskrise und musste sich noch vom Bürgerkrieg erholen, der zehn Jahre zuvor zu Ende gegangen war. Die Republikaner hatten genug von der anschließenden Phase der Reconstruction, deren Ziel es war, die durch die Sklaverei verursachten Ungleichheiten zu beseitigen. Die Demokraten forderten eine Reform der Bundesregierung, des öffentlichen Dienstes und Beschränkungen für die Einwanderung aus China.

Wer bekam die meisten Stimmen?

Die Wahl fand am 7. November 1876 statt. Bei den Gesamtstimmen lag Tilden um mehr als 260.000 Stimmen in Führung. Als die vorläufigen Ergebnisse vorlagen, hatte Tilden 184 Wahlmännerstimmen – nur eine weniger als die Mehrheit von 185, die damals für den Wahlsieg erforderlich war – und Hayes 165. 19 Wahlmännerstimmen aus vier Bundesstaaten waren jedoch umstritten. Tilden hatte bereits in Oregon seinen Sieg erklärt, dieser wurde aber in letzter Minute angezweifelt. Auch die Ergebnisse in Florida, Louisiana und South Carolina waren noch unklar, es wurde jedoch erwartet, dass Tilden in allen siegen würde.

Eine historische Darstellung zeigt einen großen Käfig, in dem mutmaßliche Wahlfälscher 1876 in einem New Yorker Wahllokal festgesetzt wurden.
Drastische Mittel: In einem Wahllokal in New York wurden Wähler, die aufgrund falscher Unterlagen des versuchten Wahlbetrugs verdächtigt wurden, an Ort und Stelle in einem Käfig festgesetzt (Bild: Universal History Archive/Universal Images Group via Getty Images)

Anscheinend war Hayes schon bereit, seine Niederlage einzuräumen, als ein republikanischer Abgeordneter aus New Hampshire anmerkte, dass Hayes Tilden mit 185 zu 184 Wahlmännerstimmen schlagen würde, wenn alle fraglichen Wahlmännerstimmen an Hayes gehen würden. Das führte dazu, dass sowohl die Republikaner als auch die Demokraten den Sieg in den entsprechenden Staaten für sich beanspruchten, in der Hoffnung, sie würden die Wahl gewinnen. Damit steckte das Land in einer Sackgasse und beide Parteien entsendeten Anwälte in diese Staaten, um das Ruder möglicherweise noch herumzureißen.

Wodurch wurde die Abstimmung erschwert?

Die Republikaner behaupteten, dass schwarze Wähler eingeschüchtert worden waren, damit sie ihre Stimme nicht abgeben. Wahlbetrug war weit verbreitet und Wählern der Republikaner wurde zunehmend Gewalt angedroht. Die Republikaner wurden beschuldigt, ihr Symbol (das Bürgern, die nicht lesen konnten, die Stimmenabgabe ermöglichte) auf die Wahlzettel der Demokraten zu drucken. Durch das Land verlief ein so tiefer Graben, dass es beinahe zu einem weiteren Bürgerkrieg gekommen wäre. Die Demokraten prägten deshalb den Slogan “Tilden oder Krieg”. Und der unklare Sprachgebrauch in Bezug auf die Auszählung und Bestätigung der Wahlmännerstimmen trug noch zur Verwirrung bei.

Wie klärte sich die Situation auf?

Am 7. Dezember 1876, einen Monat nach der Wahl, war der Kongress gezwungen, eine Lösung zu finden. Zu dieser Zeit stellten die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus und die Republikaner die Mehrheit im Senat. Als Kompromiss wurde eine neutrale Wahlkommission mit jeweils fünf Mitgliedern aus dem Repräsentantenhaus, dem Senat und dem Obersten Gerichtshof gebildet. Diese 15 Personen waren sieben Republikaner, sieben Demokraten und ein Parteiloser. Der Parteilose, der Richter David Davis, lehnte eine Teilnahme allerdings ab, und die vier übrigen Richter wählten an seiner Stelle einen Republikaner, den Richter Joseph P. Bradley.

Senatspräsident Thomas White Ferry gibt auf einer historischen Darstellung die finale Wahlentscheidung von 1877 bekannt.
Senatspräsident Thomas White Ferry gibt am frühen Morgen des 2. März 1877 die finale Wahlentscheidung bekannt (Bild: Getty Images)

Unterdessen gab es bereits heimliche Treffen hochrangiger Parteimitglieder zur Ausarbeitung einer Vereinbarung, die heute als “Kompromiss von 1877” bekannt ist. Hayes stimmte darin zu, die Macht in den Südstaaten wieder den demokratischen Regierungen zu übertragen und einen Südstaatler in sein Kabinett zu holen, wenn die Demokraten zustimmten, die Bürgerrechte schwarzer Amerikaner zu respektieren und Hayes’ Wahlsieg anzuerkennen. Die Wahlkommission gab Hayes dann alle umstrittenen Stimmen. Richter Bradley tendierte wohl dazu, Tilden in Florida gewinnen zu lassen, doch seine republikanischen Verbündeten überzeugten ihn und schließlich gab er Hayes die Stimme. Am 2. März 1877, fast vier Monate nach der Wahl, wurde Hayes dann mit einer Mehrheit von 185 zu 184 Stimmen endlich zum 19. Präsidenten der Vereinigten Staaten erklärt.

Welche Folgen hatte dieses Ergebnis?

Am nächsten Tag wurde Hayes in einer nicht öffentlichen Zeremonie vereidigt, eine öffentliche folgte am 5. März 1877. Obwohl Proteste erwartet wurden, ging die Zeremonie friedlich vonstatten. Doch viele Demokraten waren empört und verpassten Hayes den Spitznamen “Fraudulency”, auf Deutsch etwa “Ihre Betrügerschaft”. Doch die Demokraten in den Südstaaten schien das nicht zu stören, denn Hayes hielt seine Versprechen und ordnete den Rückzug der Bundestruppen aus Louisiana und South Carolina an, wo sie die Republikaner geschützt hatten, die Anspruch auf Gouverneursposten erhoben.

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Damit begann in den Südstaaten eine Zeit unter der Führung der Demokraten und die Bemühungen, die Bürgerrechte durchzusetzen, verliefen im Sand. Die schwarzen Amerikaner nannten den Deal daher “Kompromiss des Teufels”, denn in ihren Augen stellte er nichts anderes als die Erneuerung der weißen Vorherrschaft im Land dar.

Katherine Chatfield

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