USA-Experte warnt vor globaler Eskalation - Konflikt Israel-Iran beeinflusst US-Wahlen – und Trump könnte profitieren
Die Spannungen zwischen Israel und dem Iran erreichen einen neuen Höhepunkt, während die USA ihren Einfluss im Nahen Osten verlieren. Welche Folgen das für die US-Wahlen und die globale Weltordnung hat, analysiert USA-Experte Josef Braml.
Während Israel einen Gegenangriff auf den Iran plant, hat die Biden-Regierung wenig Einfluss auf dessen Entscheidungen. Schwindet die Pax Americana in den Augen der Verbündeten und regionaler Mächte, hätte dies auch Langzeitvorteile für Russland und China. Kurzfristig könnte Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf gegen Kamala Harris profitieren, da sie als Vizepräsidentin Mitverantwortung für die aktuelle schwierige Lage im Mittleren Osten trägt.
Eskalation des Konflikts zwischen Iran und Israel
Am 1. Oktober 2024 schoss der Iran mehr als 180 Raketen auf Israel ab. Dies stellt einen der umfangreichsten ballistischen Raketenangriffe in der Geschichte des Konflikts gegen Israel dar. Der israelische Militärsprecher, Konteradmiral Daniel Hagari, sagte, Israels Luftverteidigungssysteme hätten die meisten iranischen Raketen abgefangen; einige landeten jedoch in Zentral- und Südisrael.
Laut einem auf Bildmaterial gestützten Lagebericht der Washington Post haben mindestens zwei Dutzend iranische Langstreckenraketen die israelischen und alliierten Luftabwehrsysteme durchbrochen und mindestens drei militärische und nachrichtendienstliche Einrichtungen in Israel getroffen.
Irans Angriff erfolgte, nachdem das israelische Militär damit begonnen hatte, „begrenzte, lokale und gezielte Bodenangriffe“ im Südlibanon gegen die Hisbollah durchzuführen. Laut einer Erklärung der Islamischen Revolutionsgarden war der Angriff eine Reaktion auf die Tötung von Hamas- und Hisbollah-Führern durch Israel in den vergangenen Monaten.
Sollte Israel die Angriffe erwidern, würde der Iran seinerseits erneut „härter“ angreifen, lautete die Drohung Teherans. Das israelische Militär erklärte indes, dass dieser Angriff „Konsequenzen haben wird“: „Wir haben Pläne und werden zu der von uns gewählten Zeit und am von uns bestimmten Ort handeln“, sagte Militärsprecher Hagari. Er gab weder an, wann dies geschehen, noch wie die Vergeltung aussehen könnte. Israels Premierminister Benjamin Netanyahu deutete auf eine härtere Reaktion hin und betonte, dass der Iran einen schweren Fehler begangen habe und dafür zur Rechenschaft gezogen werde.
Amerikas „eiserne“ Unterstützung für Israel
Die USA nehmen diese Drohungen ernst und haben ihre militärische Unterstützung für Israel erhöht, um bei der Abwehr iranischer Angriffe zu helfen. Das US-Verteidigungsministerium kündigte an, die Zahl der Kampfflugzeuge in der Region zu erhöhen und den Flugzeugträger USS Abraham Lincoln anzuweisen, im Nahen Osten zu bleiben.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant „diskutierten die ernsthaften Konsequenzen für den Iran, falls der Iran sich für einen direkten militärischen Angriff gegen Israel entscheidet“, heißt es in einer Mitteilung des Pentagons.
Und der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, sagte, dass „die Unterstützung für Israels Sicherheit eisern ist“, und fügte hinzu, dass Washington sich mit Israel über jede zukünftige Reaktion abstimmen werde.
Obwohl die US-Regierung behauptet, eng mit Israel zu koordinieren, wurde sie mehrfach von den Entscheidungen des israelischen Premierministers Benjamin Netanyahu überrascht.
Israels Zweifel an Washingtons Rückhalt
Nachdem die Biden-Administration auf frühere iranische Angriffe gegen Israel nur verhalten reagierte, fühlt sich Israel künftig jedoch nicht mehr dazu verpflichtet, Washingtons Empfehlungen zu folgen und Zurückhaltung zu üben. Das Vertrauen Israels in Präsident Bidens Entschlossenheit, konkrete Maßnahmen gegen den Iran und insbesondere seine nuklearen Einrichtungen zu ergreifen, ist gering.
Schließlich hat US-Präsident Joe Biden zu einer verhältnismäßigen Antwort Israels aufgerufen und Angriffe auf iranische Nuklearanlagen abgelehnt. Israel befürchtet insbesondere, dass der Iran eine Atombombe einsetzen könnte, falls er sie künftig besitzt, und diese als Abschreckung für konventionelle sowie terroristische Angriffe gegen Israel verwenden würde. Die Waffen könnten als „nuklearer Schutzschild“ dienen, der es dem Iran ermöglichen würde, aggressiver zu werden, in der Gewissheit, dass er im Gegenzug nicht angegriffen werden kann.
Aktuell ist es riskant für den Iran, die Konfrontation zu verschärfen. Da die Hamas dezimiert und die Hisbollah führungslos und unorganisiert ist, können die iranischen Stellvertreter Teheran nicht so beistehen, wie sie es normalerweise tun würden. Neben dem aktuellen Angriff auf die Hisbollah hat Israels langjährige Zerschlagung der Hamas in Gaza die Möglichkeiten des Iran, bei Bedrohungen Unruhe zu stiften, erheblich geschmälert. Diese Rückschläge könnten den Iran jedoch dazu bewegen, sein Atomwaffenprogramm zu forcieren.
Der Verlust von Einfluss über seine Proxys könnte die iranische Führung dazu bringen, ihre nuklearen Bestrebungen zu intensivieren, um eine größere Abschreckung zu erzielen. Iranische Offizielle haben denn auch schon angedeutet, dass die aggressive Haltung Israels den Iran möglicherweise dazu veranlassen könnte, Atomwaffen zu entwickeln.
Einige schlugen vor, Ayatollah Ali Khamenei, der oberste Führer des Iran, könnte seine frühere Fatwa, die den Erwerb von Atomwaffen untersagt, aufheben. Das Regime hat sowohl die Anzahl als auch den Ausbau der Zentrifugen zur Urananreicherung erhöht und verfügt nun über eine erhebliche Menge fast waffenfähigen Materials. Es ist denkbar, wenn auch nicht zwangsläufig, dass Khamenei entscheidet, dass der einzig verbleibende Schutz gegen israelische Angriffe iranische Atomwaffen sind.
Amerika und Israel haben stets betont, dass sie dem Iran nicht gestatten werden, eine Atombombe zu entwickeln. Besonders Israel verfügt anscheinend über präzise Geheimdienstdaten zum iranischen Atomprogramm. Sollte Iran eine kritische Grenze überschreiten, könnte Israel iranische Nuklearanlagen angreifen, was es bereits 2011 beinahe getan hätte. Schon früher fehlte Washingtons Rückhalt, und auch die Regierung Biden könnte zögern, Israels Krieg zu unterstützen.
Zwar deutete Biden an, dass die USA einen israelischen Angriff auf iranische Ölanlagen unterstützen könnten. Doch wegen dieser Aussage stieg der US-Rohölpreis um über fünf Prozent auf fast 80 US-Dollar pro Barrel. Analysten warnen, dass ein Schlag gegen iranische Ölanlagen die Ölpreise um mehr als 12 US-Dollar erhöhen und eine Blockade der Straße von Hormus durch Iran die Preise um bis zu 28 US-Dollar steigen lassen könnte. Ein größerer Konflikt im Nahen Osten würde also die Energiepreise erheblich anheben – und die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA zugunsten Donald Trumps beeinflussen.
Irans Dilemma
Das iranische Dilemma besteht darin, dass Teheran durch eine Eskalation nicht Trumps möglichen Wahlsieg fördern will, nachdem er das Atomabkommen in seiner ersten Amtszeit sofort aufgekündigt hatte, das nach schwierigen Verhandlungen im Jahr 2015 unter Präsident Barack Obama abgeschlossen wurde. Iran stimmte erheblichen Einschränkungen seiner nuklearen Aktivitäten und strengen Kontrollen durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) zu. Im Gegenzug wurden ihm Brennstäbe mit angereichertem Uran für sein ziviles Atomprogramm zugesichert, und die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen wurde versprochen.
Am 8. Mai 2018 hielt indes Donald Trump sein Wahlversprechen und kündigte in einer seiner ersten Amtshandlungen das Abkommen einseitig, obwohl der Iran seine Verpflichtungen erfüllt hatte, was von der IAEA mehrfach bestätigt worden war. Gleichzeitig erhöhte Trump den wirtschaftlichen Druck und warnte auch europäische Unternehmen, die mit dem Iran handelten, vor Sekundär-Sanktionen. Hauptnutznießer der Sanktionen sind Russland und China. Moskau und Teheran haben ihre militärische Zusammenarbeit intensiviert, und China profitiert von preiswerten iranischen Rohstoffen, die Europa und Amerikas asiatische Verbündete nicht mehr kaufen dürfen.
Allerdings kann die iranische Führung nicht sicher sein, dass Russland oder China das Regime schützen würden, falls eine zweite Trump-Regierung erneut über einen Regimewechsel in Teheran nachdenkt.
Russlands Interessen
Der Iran und Russland sind beide mit schweren westlichen Sanktionen konfrontiert und unterhalten auch deshalb starke wirtschaftliche Beziehungen. Präsident Vladimir Putin hat auch die militärische Zusammenarbeit Russlands mit dem Iran verstärkt und das Assad-Regime in Syrien an der Seite des Iran unterstützt. Der Iran verwendet zwar im Inland hergestellte Waffen, kauft aber immer noch einige von Russland und hat Russland während seiner Invasion in der Ukraine mit Drohnentechnologie unterstützt.
Laut einem aktuellen Bericht des US-Verteidigungsministeriums hat der Iran an Russland auch Fath 360 Kurzstreckenraketen geliefert. Zudem haben iranische Ausbilder russische Militärangehörige im Umgang mit Raketen geschult. Die Kurzstreckenraketen ermöglichen es Russland, seine fortschrittlicheren Langstreckenraketen für andere Zwecke im Ukraine-Krieg zu reservieren. Das Pentagon hat angedeutet, dass bei der Kommunikation im Zusammenhang mit Raketenlieferungen möglicherweise Geheimdienstinformationen zwischen Iran und Russland ausgetauscht wurden.
US-Sicherheitsbehörden erwarten künftig weitere Waffenlieferungen und eine engere militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und Iran. Sollte jedoch Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren, könnte „Dealmaker“ Trump im Falle einer Verhandlung des Ukraine-Kriegs wahrscheinlich auch von Russland Zugeständnisse in Bezug auf Teheran verlangen.
Chinas geopolitische Interessen
Umso weniger könnte sich der Iran im Ernstfall auf China verlassen. Inmitten der eskalierenden Spannungen mit Israel sagte Peking Teheran zwar seine Unterstützung zu, was praktisch aber wenig bedeutet, da China den Großteil des Einflusses hält und der Iran kaum eine Chance hat, China in einen weit entfernten Konflikt zu verwickeln. Irans Abhängigkeit von chinesischen Energie-Importen ist enorm; über 90 Prozent seiner Rohölexporte gehen über den Schwarzmarkt nach China.
2021 schlossen beide Länder ein 25-jähriges Abkommen, bei dem China bedeutende Investitionen zur Sicherung der Ölversorgung versprach. Obwohl die Waffenhandelsbeziehungen stocken, gibt es Kooperationen bei der Drohnenentwicklung. China wird den Iran indes nur diplomatisch unterstützen und gegen US-Politiken opponieren, zeigt aber wenig Interesse an einer Sicherheitsrolle im Nahen Osten.
Obwohl US-Sicherheitsbehörden eine angebliche „Achse des Zorns“ beunruhigend finden, ist Chinas Unterstützung für den Iran – ähnlich wie seine faktische Unterstützung Russlands in der Ukraine – pragmatisch und begrenzt. China steht zudem vor der Herausforderung, ein Gleichgewicht in seinen Beziehungen zu Israel aufrechtzuerhalten. Seit vielen Jahrzehnten pflegen China und Israel eine äußerst produktive technologische Partnerschaft, die sich in den 2000er Jahren durch den israelischen Aufschwung weiter intensiviert hat. In vertraulichen Gesprächen haben US-Vertreter ihre Bedenken bezüglich dieser Zusammenarbeit geäußert und versucht, Israel von Peking abzubringen.
Saudi-Arabiens Öl-Macht
Ein weiterer wichtiger Faktor sind Chinas geopolitische Interessen: China ergreift die Chance, sich als Gegengewicht zu den USA in der Golfregion zu etablieren. Schon im März 2023 förderte Peking eine Annäherung zwischen den langjährigen Rivalen Saudi-Arabien und Iran. Beobachter in Washington waren von diesen Entwicklungen bei einem ihrer engsten Verbündeten überrascht und befürchteten, dass Riad sich möglicherweise Pekings Einflussbereich anschließen könnte.
Seit Präsident Franklin D. Roosevelt König Abd al-Aziz Ibn Saud am 14. Februar 1945 auf der USS Quincy traf, ist Saudi-Arabien ein bedeutender Verbündeter der USA und eine der wichtigsten geopolitischen Allianzen nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit der „Sicherheit gegen Öl“-Vereinbarung hat Washington das Königreich geschützt, während Riad stabile Ölpreise garantierte.
Doch die aktuelle saudische Führung zweifelt an der Verlässlichkeit des US-Schutzes, da der Fracking-Boom in den USA eine vermeintliche Energieunabhängigkeit nahelegt. Selbst wenn die USA ihre Ölimporte durch eigene Ressourcen und Energieeinsparungen deutlich reduzieren können, bleibt ein zweiter Punkt wichtig: Die internationalen Ölpreise werden vom OPEC-Kartell und Krisen wie dem Krieg zwischen Iran und Israel beeinflusst.
Saudi-Arabien wird auf absehbare Zeit der einzige „Swing“-Produzent bleiben, der schnell und in enormen Mengen Öl fördern kann, um die Preise für westliche und asiatische Volkswirtschaften erträglich zu halten. Das erklärt, warum US-Präsident Biden im Juli 2022 nach Riad reiste, um Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed Bin Salman um Zusammenarbeit zu bitten, obwohl er ihn zuvor noch als „Schlächter“ verurteilen wollte.
Bidens Bemühungen scheiterten: Saudi-Arabien erhöhte die Produktion nicht. Stattdessen beschloss die OPEC im Oktober 2022, das Angebot um zwei Millionen Barrel pro Tag zu reduzieren, was die Ölpreise und die Chancen der Republikaner bei den Zwischenwahlen steigen ließ.
Auswirkungen auf die US-Wahlen
Saudi-Arabiens Kronprinz könnte sich einmal mehr an Biden rächen und Trump vor den US-Wahlen am 5. November unterstützen, indem er die Ölförderung reduziert und dadurch die Ölpreise sowie Trumps Wahlchancen erhöht. Denn Trump verspricht beides – engere Beziehungen mit Saudi-Arabien und einen härteren Kurs gegenüber dessen Erzrivalen Iran. Im Falle eines Wahlsieges von Donald Trump müsste Europa umso mehr für seine Sicherheit und für die Stabilität in seiner Nachbarregion, dem Nahen Osten, leisten.