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Erdogan setzt seine Offensive gegen Kurden fort

Rauch über der syrischen Stadt Ras al-Ain: Die Kurdenmilizen haben die wichtige Grenzstadt zurückerobert.
Rauch über der syrischen Stadt Ras al-Ain: Die Kurdenmilizen haben die wichtige Grenzstadt zurückerobert.

Die US-Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand trifft beim türkischen Präsidenten Erdogan auf taube Ohren. In Nordsyrien tobten weiter schwere Kämpfe zwischen seinen Soldaten und der Kurdenmiliz YPG. Amerikanische Soldaten setzten sich unterdessen Richtung Irak ab.

Istanbul/Damaskus/Moskau (dpa) - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seine Militäroffensive im Nachbarland Syrien trotz US-Sanktionen unbeirrt fortgesetzt.

In Nordsyrien lieferte sich die türkische Armee auch am Dienstag weiter erbitterte Gefechte mit der Kurdenmiliz YPG. Die Forderung von US-Präsident Donald Trump nach einer sofortigen Waffenruhe blieb zunächst folgenlos. US-Truppen setzten sich unterdessen aus der Stadt Manbidsch Richtung Irak ab. Für sie rückten direkt russische Militär und Einheiten der syrischen Armee von Präsident Baschar al-Assad nach.

Die von der YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konnten bei einem Gegenangriff die wichtige Grenzstadt Ras al-Ain von den Türken zurückerobern, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag berichtete. Türkische Truppen hatten den Ort mit Unterstützung von Rebellen der sogenannten Syrischen Nationalarmee zwei Tage zuvor unter ihre Kontrolle gebracht.

Ankara begründet den Militäreinsatz im Nachbarland mit seinem Recht auf Selbstverteidigung. Die Türkei betrachtet die YPG sowie deren politischen Arm PYD als Terrororganisationen. Die YPG pflegt enge Kontakte zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die auch in den USA und in Europa auf der Terrorliste steht.

«Mit dem heutigen Morgen haben wir einen Bereich von fast 1000 Quadratkilometern von der Besatzung der separatistischen Terrororganisation befreit», sagte Erdogan. Er zeigte sich zuversichtlich, dass türkische Truppen «in kurzer Zeit die Region von Manbidsch bis zu unserer Grenze mit dem Irak absichern» würden. Bei Kämpfen zwischen Kurdenmilizen und türkischen Truppen in Manbidsch wurden ein türkischer Soldat getötet und 18 weitere verletzt.

Über Manbidsch und umliegende Gebiete habe die syrische Armee die «volle Kontrolle» übernommen, teilte das russische Verteidigungsministerium in Moskau mit und sprach von einem «organisierten Zusammenwirken mit der türkischen Seite». «Wir sind raus aus Manbidsch», erklärte der Sprecher des US-geführten Einsatzes «Inherent Resolve». Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana und das Staatsfernsehen berichteten von Anwohnern, die Flaggen schwenkend die eintreffenden Soldaten begrüßten. Aus Moskau hieß es, man werde eine direkte Konfrontation zwischen türkischer und syrischer Armee nicht zulassen.

Manbidsch liegt zwischen Aleppo und den umkämpften Gebieten an der türkisch-syrischen Grenze. Rebellen hatten die Stadt im syrischen Bürgerkrieg eingenommen, bevor Extremisten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sie überrannten. 2016 brachte die Kurdenmiliz YPG die Stadt mit Unterstützung des US-Militärs unter ihre Kontrolle. Kurdischen Quellen zufolge betrieben die USA dort zuletzt drei Stützpunkte. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtete, 150 US-Soldaten hätten sich von dort aus Richtung Irak abgesetzt.

Der Abzug der Amerikaner und die Ankunft russischer und syrischer Truppen zeigt, wie schnell sich die Kräfteverhältnisse im Nordosten Syriens derzeit verschieben. Trump hatte mit dem Abzug von US-Truppen aus der Region schon kurz vor dem Start der Offensive faktisch den Weg frei gemacht für den Einsatz und damit viel Kritik auch aus den eigenen Reihen bekommen. Die von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) waren im Kampf gegen die IS-Terrormiliz einer der wichtigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten.

Die SDF hatten sich nach dem angekündigten Abzug des US-Militärs hilfesuchend an Damaskus und Russland gewandt, diese Vereinbarung aber zugleich als «schmerzhaften Kompromiss» bezeichnet. Die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad waren am Montag in dem kurdisch kontrollierten Norden des Landes eingetroffen.

Die USA forderten von der Türkei eine «sofortige» Waffenruhe in Nordsyrien und Verhandlungen mit den Kurden. US-Vizepräsident Mike Pence erklärte, Trump habe ihn und seinen Nationalen Sicherheitsberater Robert O'Brien damit beauftragt habe, in der Türkei Verhandlungen über ein Ende des «Blutvergießens» zu führen.

Die USA hatten den Druck auf die Türkei am Montag innerhalb weniger Stunden deutlich verstärkt. Zwei Ministerien und drei Minister wurden mit Sanktionen belegt. Wegen der «destabilisierenden Handlungen der Türkei in Nordost-Syrien» würden Strafzölle auf Stahlimporte aus der Türkei auf 50 Prozent angehoben, erklärte Trump zudem. Washington will wegen der Militäroffensive auch «umgehend» Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit der Türkei abbrechen.

Auch in Europa stieß die türkische Offensive weiterhin auf deutliche Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief die Türkei erneut zu einem Ende der Offensive auf. Sie bringe «erkennbar sehr viel menschliches Leid mit sich» und führe mit Blick auf den IS zu neuer Unsicherheit, sagte Merkel nach einem Treffen mit der norwegischen Regierungschefin Erna Solberg in Berlin. Auch in der Nato, zu der die Türkei gehört, müsse das Thema besprochen werden.

Nach anderen europäischen Ländern erklärte am Dienstag auch Großbritannien, es würden vorerst keine Waffen mehr an die Türkei geliefert, die für die Militäroffensive genutzt werden könnten. Zuvor hatte auch Deutschland als bisher einzige Sanktion seine Rüstungsexporte an die Türkei teilweise gestoppt. Rüstungsgüter, die nicht in dem Konflikt genutzt werden können, dürfen aber weiterhin exportiert werden. Ungarn erklärte als einziges EU-Land offen, es befürworte die Militäroffensive der Türkei.

Nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) sind mindestens 190.000 Menschen vor den Kämpfen geflohen. Die meisten würden nach Süden flüchten, berichtete das UN-Nothilfebüro (Ocha). Mindestens zwei Journalisten regionaler Medien waren am Sonntag bei einem Luftangriff getötet worden. Acht weitere Journalisten wurden der Organisation Reporter ohne Grenzen zufolge verletzt.