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"Veränderung ist unausweichlich und sie wird kommen"

Nach 36 Jahren hat Bob Geldof mit The Boomtown Rats erstmals wieder ein neues Album aufgenommen. Warum gerade jetzt? Im Interview spricht der 68-jährige Ire über alte und neue Wut.

Man könne sich auf ein Interview mit Bob Geldof vorbereiten, aber man könne sich niemals auf Bob Geldof selbst vorbereiten, schrieb eine britische Journalistin des "Guardian" vor ein paar Jahren. Und es stimmt. "Hier, das sollten Sie lieber benutzen. Ich habe nämlich eine richtig fette Erkältung", sagt Geldof mit nasaler Stimme und zückt ein kleines Fläschchen Desinfektionsmittel, als an einem kalten Februartag (also vor Corona) das Interview im Berliner Soho House beginnt. Der 68-jährige Ire spricht langsam und wählt seine Worte sorgfältig. Die gestellten Fragen beantwortet er allerdings meist nur knapp und oberflächlich, bevor er abschweift und sich zum Beispiel über das Internet in Rage redet. Am Ende hat man das Gefühl, man habe einem halbstündigen, mal ziemlich wütenden, mal lustigen, aber stets gut informiertem Monolog beigewohnt.

Der Grund, warum Geldof überhaupt und trotz Erkältung hier sitzt, ist das neue Album seiner Band The Boomtown Rats, "Citizens Of Boomtown". Es ist die erste neue Platte der Gruppe seit 36 Jahren. Was brachte die Band wieder zusammen? Das Alter, die Neugier, das Geld? "Wenn ich einen Trailer für einen Film machen würde", setzt Geldof zu einer ungewöhnlichen Erklärung an, "dann würde eine dieser unheilvollen amerikanischen Stimmen sagen: 'Sie mussten ihr eigenes Leben ändern, und während sie das taten, veränderten sie ihr Land. Sie halfen, die Musiklandschaft zu verändern und anschließend halfen sie, die Welt ein bisschen zu verändern. Dann machten sie eine Pause - doch als man sie brauchte, kamen sie zurück. Trommelwirbel!"

Der Terrier und die Ratte

Tatsächlich fasst das die Geschichte der Band ganz gut zusammen. Geldof gründete die Boomtown Rats 1975 in einem Vorort von Dublin gemeinsam mit den Gitarristen Garry Roberts und Gerry Cott, Keyboarder Johnnie Fingers, Bassist Pete Briquette und Schlagzeuger Simon Crowe. Mit ihrer Mischung aus Punk, Rock und New Wave wurde die Band schnell zu einem wichtigen Teil der Punk-Szene. Es folgten Top-10-Hits und Platin-Auszeichnungen. Doch die Boomtown Rats klangen nicht nur gut, sie hatten auch etwas zu sagen. Ihre Heimat Irland befand sich damals in einer wirtschaftlichen Krise.

Es gab keine Jobs, wenig Kultur und die Zukunftsaussichten waren trübe. Ihre Musik war für die Boomtown Rats politischer Aktivismus. "Ich hatte früher einen Yorkshire Terrier. Ein süßer, netter Hund", erklärt Geldof. "Aber eines Tages, als wir am Teich in der Nähe meines Hauses in Kent vorbeikamen, sah er eine Ratte. Auf einmal war der Sinn seines Lebens für ihn klar. So ging es mir damals, als wir mit der Band anfingen. Ich wusste, worüber ich zu schreiben hatte: über das Hier und Jetzt. Über meine Freunde und ihre Leben." Irgendwann begann der politische Aktivismus von Bob Geldof die Band schließlich zu überstrahlen. Um etwas gegen die Hungersnot in Äthiopien zu tun, organisierte er 1985 gemeinsam mit Midge Ure (Ultravox) das Wohltätigkeitskonzert Live Aid. Das bis dato größte Rock-Konzert der Geschichte brachte 100 Millionen Euro ein. Ein Jahr später lösten die Boomtown Rats sich auf.

"Wie soll man Empathie haben, wenn man im echten Leben keinen Kontakt mehr hat?"

Geldof engagierte sich in der Folgezeit weiter für verschiedene wohltätige Zwecke, darunter die Live-Aid-Neuauflage Live 8, und nahm sieben Soloalben auf - bis die Boomtown Rats 2013 das Angebot bekamen, beim Isle Of Wight Festival zu spielen. "Ich meinte zu den anderen, wenn es nur Nostalgie ist, dann mache ich es nicht. Die Vergangenheit war toll, aber ich habe kein Interesse, zurückzukehren", schildert Geldof seine damalige Gedankenlage.

"Wir trafen uns bei mir und spielten in meinem Wohnzimmer - genau wie damals, als wir Kids waren. Und auf einmal war diese Wut, die uns damals angetrieben hat, wieder da. Die Themen von früher seien "immer noch relevant, was traurig ist", erklärt Geldof und führt aus: "Wenn ich 'I Don't Like Mondays' singe, ist der Song nicht mehr für das Schulmassaker in San Diego 1979, das mich damals so schockierte, sondern für das von letzter Woche. 'Someone's Looking At You' handelt nicht mehr von den Umständen, die ich 1979 beobachtete, sondern von Google, das uns alle ständig beobachtet, von all diesen Geräten, die ständig an sind, von Facebook und Zuckerberg, die dich aufsagen, die jeden Gedanken, jede Handlung und jede Wahl registrieren und an Dritte verkaufen, die dich dann manipulieren, um dich auszubeuten. Fuck off!"

Was folgt, ist eine lange Abhandlung über die Gefahren des Internets, das Geldof als die "mächtigste Erfindung der Menschheit" bezeichnet. Er schließt mit den Worten: "Es ist nicht so, dass ich ein alter Typ bin, der es nicht mehr rafft. Ich raffe es! Aber wir können nur als Gemeinschaft funktionieren und das wichtigste menschliche Merkmal ist nun mal Empathie. Wie soll man Empathie haben, wenn man im echten Leben keinen Kontakt mehr hat?"

"Die Welt ist nicht unveränderlich"

Zweifellos, die Wut ist noch da. Kein Wunder also, dass die noch verbliebenen Mitglieder Bob Geldof, Simon Crowe, Pete Briquette und Garry Roberts beschlossen, der Bandgeschichte mit ihrem neuen Album "Citizens Of Boomtown" nun ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. Die Boomtown Rats werden wieder gebraucht. "Another little sucker girl gives it up for Zuckerberg", klagt Geldof in "Get A Grip". In "Monster Monkey" derweil heißt es "Hey Mister Mojo with your mopped up hair" und man muss unweigerlich an Boris Johnson und Donald Trump denken. Zeilen wie diese unterlegen die Boomtown Rats mit lärmenden Gitarren, die an den Sound der frühen 70er-Jahre erinnern ("Trash Glam Baby"), doch je weiter das Album fortschreitet, desto experimenteller präsentieren die Boomtown Rats sich. "Get A Grip" ist schwer mit Synthies beladen, und der fünfminütige Titeltrack steigert sich zu einem Rave.

Aber mal ehrlich - ist es nicht desillusionierend, dass Geldof seit so vielen Jahren versucht, die Welt zu verbessern, und sich nichts wirklich verändert hat? "Nein", antwortet er bestimmt. "Für mich war die Lektion von Popmusik immer: Veränderung ist unausweichlich, sie ist wünschenswert und sie wird kommen. Die Welt ist nicht unveränderlich. Sie ist formbar und kann gestaltet werden. Man kann sie in die Richtung verändert, in die man sie verändern möchte. Und die Mittel dafür sind hier, die Plattform ist Rock'n'Roll. Das wusste ich schon mit elf."