„Wir verabschieden eine umfassende Startup-Strategie“ – auf diese Punkte hat sich die Koalition geeinigt

AnnaleneaBaerbock, Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner (v.l.) auf dem Weg zur Präsentation des Koalitionsvertrages am Mittwoch in Berlin.
AnnaleneaBaerbock, Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner (v.l.) auf dem Weg zur Präsentation des Koalitionsvertrages am Mittwoch in Berlin.

Jetzt ist er da. Gut zwei Monate haben SPD, Grüne und FDP an ihrem Koalitionsvertrag gearbeitet. Am Mittwoch präsentierten sie das 177 Seiten dicke Werk der Öffentlichkeit. Das Wort Startup kommt darin zwar nur bescheidene 15 Mal vor. Aber was die Parteien sich in den kommenden vier Jahren für die Digital- und Startup-Branche des Landes vorgenommen haben, liest sich an vielen Stellen vielversprechend: Mit der flächendeckenden Schaffung von „One-Stop-Shops“ soll das Gründen unkomplizierter werden. Viel Geld soll es geben für Unternehmen, die digitale Schlüsseltechnologien weiterentwickeln. Dank Stipendien und Förderprogrammen soll es bald mehr Gründerinnen in der Szene geben.

Die neue Regierung hat sich einiges vorgenommen für die deutsche Gründerszene: „Wir verabschieden eine umfassende Startup-Strategie”, heißt es in dem Dokument. Aber was bedeutet das konkret? Wir haben uns angeschaut, wie die Ampel-Strategie genau aussehen soll und ordnen für euch ein, was die Pläne der neuen Regierung für junge Unternehmen bedeuten:

Stärkerer Fokus auf Gründerinnen

Hürden für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Finanzierungen und Förderungen bauen wir ab; besseren Zugang zu Wagniskapital für Gründerinnen stellen wir sicher.

Frauen gründen nicht nur viel seltener Startups als Männer, sie bekommen auch weniger Wagniskapital als ihre männlichen Kollegen. Im vergangenen Jahr bekamen laut Female Founders Monitor nur fünf Prozent der Gründerinnen mehr als eine Million Euro an Finanzierung, im Vergleich zu 30 Prozent bei den Männern. Ein Ungleichgewicht, das in der Gründerszene schon lang bekannt ist. Auch die Koalitionspartner haben dieses Problem erkannt und versprechen, Gründerinnen den Zugang zu Wagniskapital zu erleichtern. Zum Beispiel, indem man mehr Frauen in die Investmentkomitees staatlicher Fonds und Beteiligungsgesellschaften holen will. Außerdem wollen die Parteien ein Gründerinnen-Stipendium ausloben, finanziert aus dem Zehn-Milliarden-Euro-Zukunftsfonds.

Diese Branchen sollen besonders gefördert werden

An unterschiedlichen Stellen werden in dem Vertrag Branchen genannt, die besonders im Fokus staatlicher Förderung stehen sollen: solche nämlich, die grundlegende Innovationen hervorbringen und technologische Vorsprünge sichern. Naturgemäß sind das auch die Bereiche, unter denen besonders viele Startups am Werk sind. Und die dürfen nun vermehrt auf finanzielle Unterstützung durch den Staat zählen:

„Die staatliche Förderbank KfW soll stärker als Innovations- und Investitionsagentur sowie als Co-Wagniskapitalgeber wirken, insbesondere für KI, Quantentechnologie, Wasserstoff, Medizin, nachhaltige Mobilität, Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft.”

Darüber hinaus haben die Parteien die stete und schnelle Weiterentwicklung digitaler Schlüsseltechnologien in den Blick genommen. Schließlich, heißt es da, habe man sich vorgenommen, ein starker Technologiestandort zu sein und zu bleiben. Man wolle Talente anziehen und die Zukunftsfähigkeit sowie den Wohlstand des Landes sichern, indem man bei der Entwicklung digitaler Technologien in der ersten Liga mitspielt.

Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien, Cybersicherheit, Distributed-Ledger-Technologie (DLT), Robotik und weitere Zukunftstechnologien stärken wir messbar und setzen Schwerpunkte.“

Gründung innerhalb von 24 Stunden soll kommen

Dauerbrenner in der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Startup-Standort – das Gründen muss einfacher werden. In Berlin zum Beispiel hat bereits seit einiger Zeit die Agentur Berlin Partner die Rolle als Ansprechpartner für junge Unternehmen übernommen, ihr Angebot wird gut angenommen. Das Konzept wollen die Parteien bundesweit stärken:

Wir schaffen die Voraussetzungen für flächendeckende 'One Stop Shops', also Anlaufstellen für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung. Ziel ist es, Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden zu ermöglichen.

Mehr Geld aus Deutschland für größere Finanzierungsrunden

Wir wollen ermöglichen, dass privates Kapital institutioneller Anleger, wie Versicherungen und Pensionskassen, für die Startup-Finanzierung mobilisiert werden kann.

Diese Passage im Koalitionsvertrag wird all diejenigen freuen, die sich wundern, warum zum Beispiel ein kanadischer Lehrer-Pensionsfonds im großen Stil in Zalando investieren kann, während deutschen Pensionskassen dies aufgrund von Risikobedenken meist nicht möglich ist. Die Kassen verwalten viel Geld und könnten zum wichtigen Startup-Investor aufsteigen.

Für die Kassen werden dabei vor allem erwachsenere Unternehmen infrage kommen. Vor allem bei größeren Investitionsrunden treten derzeit vor allem ausländische Geldgeber auf. Dem will die neue Regierung entgegenwirken – allerdings ohne konkrete Maßnahmen zu nennen:

Wir fördern digitale Startups in der Spätphasenfinanzierung und stärken den Venture-Capital-Standort.

Damit die Investoren ihren Einsatz auch in eine gute Rendite umwandeln können, braucht es Exits. Vor allem in diesem Jahr hat sich dabei für viele Unternehmen der Börsengang als gangbarer Weg etabliert. Allerdings sind die Bedingungen besonders für jüngere Unternehmen ohne solide Gewinne nicht ideal, was sich bei vielen Startup-Börsengängen nicht zuletzt in einer negativen Entwicklung des Kurses nach dem IPO manifestiert. Damit die Börse dennoch für kleinere Firmen interessant bleibt, orientieren sich SPD, Grüne und FDP an den USA:

Wir werden Börsengänge und Kapitalerhöhungen sowie Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten (Dual Class Shares) in Deutschland gerade auch für Wachstumsunternehmen und KMUs erleichtern.

Mit einer Dual-Class-Share-Struktur können Gründer ihr Unternehmen an die Börse bringen und so frisches Kapital generieren – und gleichzeitig durch den exklusiven Besitz der Mehrstimmrechtsaktien weiterhin die Kontrolle über ihr Unternehmen behalten.

Eine wichtigere Rolle für die KfW

Wachsen soll laut Koalitionsvertrag die Rolle der staatseigenen Förderbank KfW, die schon in den vorigen Jahren dahingehend gestärkt wurde. Dabei geht es insbesondere darum, die Digitalisierung voranzutreiben:

Wir wollen mehr privates Kapital für Transformationsprojekte aktivieren. Dazu prüfen wir auch, welche Beiträge öffentliche Förderbanken kapitalmarktnah zur Risikoabsicherung leisten können. Die KfW soll stärker als Innovations- und Investitionsagentur wirken. Der Zukunftsfonds für Startups und Finanzierungsmodelle öffentlicher Infrastrukturinvestitionen sind gute Beispiele dafür.

Auch mehr Kapital für das Frankfurter Institut stellt die Regierungskoalition in Aussicht:

Um eine Erhöhung des Finanzierungsvolumens insbesondere für die Klima- und Digitalisierungstransformation der Wirtschaft und von Privathaushalten zu erreichen, werden wir das bewährte Förderinstrumentarium bedarfsgerecht und nach Maßgabe der Zielgenauigkeit und Fördereffizienz skalieren und ausweiten. Hierfür prüfen wir, wie die Kapitalbasis der KfW genutzt und gegebenenfalls gestärkt werden kann. Wir werden ergänzend zur KfW auch mit öffentlichen Förderbanken wie der Europäischen Investitionsbank zusammenarbeiten.“

Der Staat soll Startup-Kunde werden

Wenn es darum geht, die Startup-Szene zu fördern, hat der Staat einen weiteren Weg außer für bessere Kapitalbedingungen zu sorgen: Er kann selbst als Kunde tätig werden. Auch das ist keine neue Erkenntnis – Thomas Jarzombek, der bisherige Startup-Beauftragte der Bundesregierung, sprach das Thema regelmäßig an. Allerdings hat sich die Situation in den vergangenen Monaten kaum verändert. Geht man nach dem Koalitionsvertrag, könnte das allerdings bald passieren:

Wir ermöglichen einen vereinfachten, rechtssicheren Zugang für Startups und junge Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen. (...) Öffentliche Ausschreibungen und Beschaffungsprozesse gestalten wir z. B. für Gov- und EduTech-Start-ups einfacher.

Nicht nur würde der Staat ein riesiger Kunde sein – ihn als Referenz zu haben, könnte Startups mehr Glaubwürdigkeit im Markt bescheren.

Beim Dauerthema Mitarbeiterbeteiligung wird es dünn

Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung werden wir attraktiver machen, unter anderem durch eine weitere Anhebung des Steuerfreibetrags.

Vor allem die Position der Koalitionäre zum Thema ESOP könnte bei Startup-Vertretern derweil für Enttäuschung sorgen. Die Szene fordert von der Politik schon lange eine leichtere Besteuerung von Mitarbeiteranteilen in Startups – und weniger bürokratischen Aufwand bei der Ausgabe „echter“ Firmenanteile in GmbHs. Anfang dieses Jahres gab es zwar eine ESOP-Reform, doch die kam gar nicht gut an in der Startup-Szene. Olaf Scholz, damals noch Bundesfinanzminister, ließ lediglich den Steuerfreibetrag anheben und sorgte dafür, dass Mitarbeiter ihre Beteiligungen nicht mehr sofort versteuern müssen. Auch im Koalitionspapier steht nichts, dass auf mehr hoffen lässt als die Scholz-Reform. Die Koalitionäre schreiben lediglich, dass man die Mitarbeiterbeteiligung „attraktiver“ gestalten und den Steuerfreibetrag erneut anheben möchte. Wie hoch genau, bleibt offen.

Die Szene soll sozialer werden

Die seit geraumer Zeit geführte Debatte über neue Rechtsformen für Sozialunternehmen (Stichwort: Verantwortungseigentum und Gesellschaft mit gebundenem Vermögen) sowie überhaupt die Tatsache, dass immer mehr Impact- und Social Startups in Deutschland an den Start gehen, fand direkt Eingang in den Koalitionsvertrag.

„Zu einer modernen Unternehmenskultur gehören auch neue Formen wie Sozialunternehmen, oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen. Wir erarbeiten eine nationale Strategie für Sozialunternehmen, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen. Wir verbessern die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel für Genossenschaften, Sozialunternehmen, Integrationsunternehmen. Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt. Hemmnisse beim Zugang zu Finanzierung und Förderung bauen wir ab.

Besseres Teilen von Forschungsergebnissen

Von der Theorie zur Praxis: Geht es nach der neuen Regierung, sollen Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) mehr zu einem gesunden Startup-Ökosystem beitragen. Ganz konkret planen SPD, Grüne und FDP eine Agentur, die den Wissenstransfer zwischen Unis und Wirtschaft stärken soll:

Unser Ziel ist die Stärkung von anwendungsorientierter Forschung und Transfer zur Schaffung und Stärkung regionaler sowie überregionaler Innovationsökosysteme. Dazu werden wir die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) gründen, um soziale und technologische Innovationen insbesondere an den HAW und kleinen und mittleren Universitäten in Zusammenarbeit unter anderem mit Start-ups, KMU sowie sozialen und öffentlichen Organisationen zu fördern.

Daten, Daten, Daten

In der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit. Häufig ein Problem für Startups, die möglichst viele Daten brauchen, um beispielsweise ein neues Tool zu entwickeln oder ihre KI-Software zu trainieren. Hier verspricht die neue Bundesregierung einfacheren Zugriff:

Wir streben einen besseren Zugang zu Daten an, insbesondere um Start-ups sowie KMU neue innovative Geschäftsmodelle und soziale Innovationen in der Digitalisierung zu ermöglichen.“

Kampf gegen den Fachkräftemangel

So wie viele andere Unternehmen haben auch Startups in Deutschland damit zu kämpfen, kein geeignetes Personal zu finden. Viele Jungunternehmen können am Anfang noch nicht mit den hohen Gehältern großer Konzerne mithalten. Insbesondere im IT-Bereich ist die Situation verheerend – der Markt ist wie leergefegt. Talente aus dem nicht-europäischen Ausland anzustellen ist mit viel Hürden und Bürokratie verbunden. Startup-Vertreter wünschen sich hier schon lange eine unkompliziertere Visa-Vergabe.

Die Ampel verspricht in ihrem Koalitionsvertrag, das Einwanderungsrecht zu modernisieren, auch, um so mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Dafür gibt es konkrete Vorschläge, wie etwa eine sogenannte Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems, die Arbeitskräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern soll.

„(...) zugleich werden wir die Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland absenken, Bürokratie abbauen und Verfahren beschleunigen.“

Wann kommt die Umsetzung?

Bis jetzt ist der Koalitionsvertrag von SPD, den Grünen und der FDP freilich vor allem eins: Eine lange Sammlung vieler guter Vorsätze und Ideen. Wie schnell und wie gut die jetzt auch alle umgesetzt werden, zeigen die kommenden Wochen und Monate – aber grundsätzlich könnte man das als einen guten Anfang werten, sagt zumindest Christian Miele als Vorstandsvorsitzender des Startup-Verbands: „Das kann sich sehen lassen. Als Startup-Verband begrüßen wir, dass die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag Startups eine besondere Bedeutung beimisst. Wir haben dafür gekämpft, dass es eine Startup-Strategie gibt – nun kommt sie. Werden die Rahmenbedingungen für junge innovative Unternehmen verbessert, macht uns das wettbewerbsfähiger und stärkt den Technologiestandort Deutschland.“