Verfassungsgericht in Thailand enthebt Regierungschef Srettha seines Amtes
Das Verfassungsgericht in Thailand hat Regierungschef Srettha Thavisin seines Amtes enthoben und damit neue politische Unsicherheit im Land ausgelöst. Das Urteil sei mit fünf zu vier Stimmen gefallen, teilte der Richter Punya Udchachon am Mittwoch mit. Dem Regierungschef wird vorgeworfen, mit der Ernennung eines vorbestraften Politikers zum Minister gegen allgemeine ethische Grundsätze verstoßen zu haben. Das Parlament soll am Freitag einen neuen Regierungschef wählen.
Nach Angaben von Richter Punya muss Srettha von der Vorstrafe des Anwalts Pichit Chuenban gewusst haben, als er diesen in sein Kabinett berief. Bei der Ernennung des Ministers habe der Regierungschef deshalb "keine Ehrlichkeit" gezeigt, urteilte das Gericht. Pichit war im Jahr 2008 in einem Korruptionsverfahren zu sechs Monaten Haft verurteilt worden.
Das Verfahren gegen den Regierungschef war von einer Gruppe ehemaliger Senatoren angestrengt worden. Der vorbestrafte Minister war daraufhin von seinem Amt zurückgetreten, um Srettha zu schützen, konnte das Urteil damit aber nicht verhindern. Die seit 2017 geltende thailändische Verfassung sieht vor, dass sich Regierungsmitglieder an "ethische Standards" halten und eine "eindeutige Rechtschaffenheit" vorweisen müssen.
"Ich respektiere die Entscheidung", sagte Srettha am Mittwoch vor Journalisten in der Hauptstadt Bangkok. "Ich kann nur wiederholen, dass ich auf meinem Posten fast ein Jahr lang alles gegeben habe, um das Land aufrichtig zu führen", fügte er hinzu. In seiner Amtszeit hatte der scheidende Regierungschef unter anderem die Ehe für alle durchs Parlament gebracht.
Srettha verlässt sein Amt nach weniger als einem Jahr an der Spitze der Regierung. Damit ist er der dritte Regierungschef der Pheu-Thai-Partei, der vom Verfassungsgericht des Amtes enthoben wird. Durch das Gerichtsurteil wird nicht nur Srettha, sondern auch sein gesamtes Kabinett entlassen.
Das Parlament soll am Freitag zusammentreten und ab 10.00 Uhr (Ortszeit, 5.00 Uhr MESZ) über einen Nachfolger abstimmen. Die regierende Koalition hat für Donnerstag eine Sitzung anberaumt, um über einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu entscheiden.
Als größter Koalitionspartner könnte die Pheu-Thai-Partei erneut Anspruch auf das Amt erheben. In diesem Zusammenhang fällt häufig der Name der Parteichefin Paetongtarn Shinawatra, der Tochter des thailändischen Milliardärs und ehemaligen Regierungschefs Thaksin Shinawatra, dessen Familie die Pheu-Thai-Partei kontrolliert. Beobachter halten es allerdings auch für möglich, dass eine andere Partei den Regierungschef stellt.
Die meisten Sitze hatte bei der Parlamentswahl vor knapp einem Jahr die Oppositionspartei Move Forward (MFP) gewonnen, die das Verfassungsgericht in der vergangenen Woche aufgelöst hatte. Die Partei hat sich inzwischen neu gegründet und strebt nun einen Regierungswechsel bei der nächsten Wahl 2027 an. Westliche Regierungen hatten den Beschluss des Verfassungsgerichts zur Auflösung der Partei als Rückschritt für die Demokratie in Thailand kritisiert.
jhm/ck