Vergewaltigungsprozess in Avignon: Mitangeklagter imitierte Pelicots Vorgehensweise
Die von ihrem Ex-Mann mit Medikamenten betäubte und vergewaltigte Gisèle Pelicot ist nicht die einzige Frau in Frankreich in dieser Situation. Im Verfahren gegen ihren Ex-Mann Dominique Pelicot sagte am Mittwoch der erste der 50 Mitangeklagten aus. Der 63 Jahre alte Jean-Pierre M. hatte sich an seiner eigenen Frau in derselben Weise vergangen wie der Hauptangeklagte an Gisèle Pelicot - und dies nach dessen Anweisung und unter dessen Beteiligung.
"Was ich getan habe, ist schrecklich. Ich erwarte eine harte Strafe", sagte Jean-Pierre M. "Ich bin ein Verbrecher und ein Vergewaltiger", fügte er hinzu. Er steht unter Verdacht, zwischen 2015 und 2018 seine Frau mit einem Schlafmittel betäubt zu haben, das ihm Dominique Pelicot zukommen ließ, um sie anschließen gemeinsam mit Pelicot zu vergewaltigen.
Die beiden hätten sich in einem Internetforum mit dem Titel "Ohne ihr Wissen" kennengelernt, sagte M. aus. Zunächst habe Pelicot ihm vorgeschlagen, seine Frau Gisèle zu vergewaltigen, was er jedoch abgelehnt habe. Anschließend habe er Pelicots Vorgehensweise gemeinsam mit ihm an seiner eigenen Frau ausprobiert. Diese sei jedoch mehrfach aufgewacht und habe dabei auch Pelicot bemerkt.
Die Ermittler kommen auf mindestens zwölf Vergewaltigungsfälle, die in den meisten Fällen gefilmt wurden. An zehn von ihnen habe sich Pelicot beteiligt.
"Wenn ich Herrn Pelicot nicht kennengelernt hätte, wäe es nicht dazu gekommen", sagte M. vor Gericht. Pelicot habe ihn an seinen Vater erinnert, fügte er hinzu. Anschließend schilderte M. zahlreiche sexuelle Grausamkeiten seines Vaters. Dieser habe ihn in seiner Kindheit zum Oralverkehr und zum Missbrauch seiner Schwester gezwungen. "Wir haben schlimme Sachen mit meinem Vater erlebt", sagte er.
Seine Frau Cilia M. hatte in der vergangenen Woche bereits ausgesagt, dass sie keine Klage gegen ihren Mann eingereicht habe, "um unsere fünf Kinder zu schützen". "Es ist unglaublich, was er getan hat, er war doch so ein wunderbarer Mann", sagte sie. Sie werde ihm "niemals verzeihen".
Gisèle Pelicot verteidigte sich ihrerseits am Mittwoch gegen Aussagen mancher Mitangeklagter, die sich überzeugt gezeigt hatten, lediglich an Sexspielen eines freizügigen Paares teilgenommen zu haben. "Seit ich diesen Gerichtssaal betreten habe, habe ich mich erniedrigt gefühlt", sagte sie. "Man hat mich als Alkoholikerin bezeichnet und behauptet, ich sei betrunken gewesen und damit eine Komplizin von Herrn Pelicot", sagte sie.
Sie habe jedoch "niemals" ihre Einwilligung gegeben, weder ihrem damaligen Mann noch den Fremden, die gekommen waren, sie zu vergewaltigen. "Ich war wie im Koma, das wird auf den Videos zu sehen sein, die gezeigt werden sollen", betonte sie. "Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung", sagte sie an die Adresse des Verteidigers Guillaume De Palma, der die Taten seiner Mandanten herunterzuspielen schien. De Palma bat sie anschließend um Verzeihung für seine "verletzende" Äußerung.
Die 72-Jährige, die im Gericht erneut mit Beifall bedacht wurde, ist mittlerweile zu einer feministischen Ikone in Frankreich geworden. Sie setzte sich explizit dafür ein, dass der Prozess nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, "damit die Scham die Seite wechselt".
kol/kbh