Verkehr, Bildung, Gesundheit, Wohnen - Für Ihre Wünsche müsste der Staat knapp 800.000.000.000 Euro bezahlen
Bessere Schulen, mehr Digitalisierung, Dekarbonisierung, pünktlichere Bahnen: Abseits des Parteigeplänkels gibt es unter Bürgern Konsens, was die Politik angehen sollte. Ökonomen haben jetzt die Kosten ausgerechnet. Ergebnis: Es wäre teuer, aber bezahlbar.
Während sich die Ampel-Parteien untereinander um jedes Projekt streiten und die Opposition sich von CDU/CSU über AfD bis zu BSW und Linken mit immer radikaleren Vorschlägen zur Zukunft Deutschlands überbietet, herrscht unter den normalen Bürgern eigentlich eine große Einigkeit darüber, was sie sich von der Politik in ihrer Kommune, Bundesland oder dem Bund wünschen.
Das „Dezernat Zukunft“, ein der SPD nahestehender Think Tank, hat jetzt zwölf dieser Wünsche näher untersucht und geschaut, inwieweit sie sich umsetzen ließen und was das kosten würde. Herausgekommen ist ein Arbeitspapier , das von 2025 bis 2030 rund 782 Milliarden Euro extra verlangen würde. Diese riesige Summe wäre aber leichter zu finanzieren, als Sie denken. Die Organisation hat dabei zwölf politische Ziele ausgewählt, die sie als „breit akzeptiert“ in der Bevölkerung betrachtet. Um diese Ziele zu ermitteln, wurden rund 70 Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft nach ihren Meinungen befragt. Wir haben die Ziele in folgende Kategorien eingeteilt:
Dekarbonisierung – 207 Milliarden Euro
Was sind die Probleme? Bis 2030 will Deutschland seine Co2-äquivalenten Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 senken, bis 2045 klimaneutral sein. Das ist nicht nur politisch beschlossen, sondern auch vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben und hat in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz. Zwar wird dafür gerade unter der Ampel-Regierung auch viel getan, allerdings längst nicht genug. So hat sich erst im April der Verkehrssektor aus seinen Pflichten herausgewunden.
Was müsste getan werden? Die Dekarbonisierung Deutschlands ist eine Mammutaufgabe. Sie erfordert den Ausbau erneuerbarer Energien bei gleichzeitigem Umbau des Stromnetzes, die Abkehr von fossilen Energieträgern in Gebäuden und Fahrzeugen sowie in der industriellen Produktion. Mit welchen Maßnahmen das genau gelingen kann, ist im Detail sehr umstritten, wie nicht zuletzt das Gebäudeenergiegesetz im vergangenen Jahr gezeigt hat.
Was würde das kosten? Da Einzelmaßnahmen hier schwer zu bestimmen sind, können auch die Gesamtkosten nur geschätzt werden. Das Dezernat Zukunft rechnet mit 340 Milliarden Euro extra bis 2030, also rund 56,7 Milliarden Euro pro Jahr. Dabei ist der Ausbau der Bahn noch nicht berücksichtigt. Die tatsächlichen Mehrkosten werden nur bei 111 bis 207 Milliarden Euro liegen, weil der Bund durch den steigenden Co2-Preis auch immer mehr Einnahmen hat, die hier gegengerechnet werden können.
Innere und äußere Sicherheit – 205,7 Milliarden Euro
Was sind die Probleme? Das Thema Sicherheit ist sehr vielfältig und umfasst daher auch fünf Kapitel in der Studie, die wir hier wiederum zusammenfassen. Die Modernisierung der Bundeswehr zur Landesverteidigung gehört ebenso dazu wie eine bessere Ausstattung der Nachrichtendienste und Diplomaten, um Krisen in der Welt besser bewältigen und beispielsweise Anschlagspläne in Deutschland frühzeitig vereiteln zu können. Zur Sicherheit gehört aber auch ein verbesserter Katastrophen- und Zivilschutz bei den durch den Klimawandel immer häufiger auftretenden Extremwetterereignissen wie dem Hochwasser im Ahrtal. Und es geht auch um wirtschaftliche Sicherheit, also zum Beispiel um die sichere Versorgung mit notwendigen Rohstoffen - zuletzt gesehen in der Energiekrise am Beispiel Erdgas.
Was müsste getan werden? Während die Bundeswehr vor allem neues Material braucht, geht es in den anderen Bereichen hauptsächlich um mehr Personal und nachrangig um besseres Equipment. Für den Katastrophenschutz und die Anpassung an den Klimawandel sind auch mehr bauliche Maßnahmen erforderlich. Zudem müssten die Kosten für Entwicklungshilfe erhöht werden.
Was würde das kosten? Die Bundeswehr-Modernisierung nimmt mit 103,1 Milliarden Euro den mit Abstand größten Kostenpunkt ein. Das Geld käme komplett vom Bund. Für den Zivil- und Katastrophenschutz veranlagt das Dezernat Zukunft 22,8 Milliarden Euro zusätzlich, für die Klimaanpassung 38 Milliarden Euro, für die wirtschaftliche Sicherheit zwischen 15 und 20 Milliarden Euro und für die weitere äußere Sicherheit 21,8 Milliarden Euro.
Verkehr – 167 Milliarden Euro
Was sind die Probleme? Die deutsche Bahn ist in einem ebenso desolaten Zustand wie viele Autobahnen, Brücken und Wasserstraßen. Zudem mangelt es an Ladesäulen für Elektroautos und genügend Bussen und Bahnen im ÖPNV.
Was müsste getan werden? Bauen, bauen, bauen. Die Probleme des Verkehrssektors lassen sich mehrheitlich nur über Baustellen beheben. Brücken, Fahrbahnen, Schienen und Weichen müssen ersetzt oder neu gebaut werden, Ladesäulen errichtet werden. Für den ÖPNV braucht es mehr Busse und Personal, um besonders ländliche Gebiete besser anzuschließen.
Was würde das kosten? 167 Milliarden Euro hat das Dezernat Zukunft bis 2030 veranschlagt. Straßen haben mit 65 Milliarden Euro den größten Anteil, knapp vor der Bahn mit 62 Milliarden Euro. Weitere 38 Milliarden Euro entfallen auf den ÖPNV. Die Kosten würden dabei jedes Jahr ansteigen. Auf den Bund entfallen 75,5 Milliarden Euro der Kosten, Kommunen müssten 51,8 Milliarden Euro tragen und die Bundesländer 38,2 Milliarden Euro.
Bildung – 127,2 Milliarden Euro
Was sind die Probleme? Die Mängel des deutschen Schulsystems werden nicht nur alle Jahre wieder bei den internationalen Pisa-Tests offensichtlich, auch nationale Erhebungen zeigen seit einigen Jahren wieder einen Rückgang des durchschnittlichen Kompetenzniveaus von Schülern. Zudem hängt der Bildungserfolg in Deutschland so stark mit dem Einkommen der Eltern zusammen, wie in kaum einem anderen OECD-Land. Das lahmt auch die Wirtschaft, weil eigentlich kluge Kinder so ihr Potenzial nicht ausschöpfen können.
Was müsste getan werden? Mehr Geld allein hilft nicht, aber ist trotzdem nötig. Es braucht mehr Lehrer in so gut wie allen Bundesländern, eine bessere Ausstattung der Schulen vor allem mit digitalem Equipment und Renovierungen sowie Neubauten von Schulgebäuden insgesamt. Zudem muss die frühkindliche Bildung in Kita und Kindergarten verbessert werden.
Was würde das kosten? Das Dezernat Zukunft hat die Kosten bis 2030 auf rund 127,2 Milliarden Euro berechnet, also etwa 21,2 Milliarden Euro pro Jahr. 57,1 Milliarden Euro entfallen auf die Sanierung von Schulgebäuden, 23,7 Milliarden Euro auf eine bessere Personalausstattung und 9 Milliarden Euro auf die Digitalisierung. Die restlichen Milliarden sind für Investitionen in Kitas, Kindergärten und Hochschulen. Die Kosten müssten Kommunen und Bundesländer tragen.
Gesundheit – 40 Milliarden Euro
Was sind die Probleme? Die deutsche Gesellschaft altert immer mehr und damit steigen auch die Gesundheitsausgaben. Der Staat ist daran überwiegend über den Betrieb von Krankenhäusern beteiligt. Diese sind heute schon unterfinanziert, weswegen eine Krankenhausreform schon auf dem Weg ist. Gleichzeitig verfallen die Gebäude selbst. Die Bundesländer stellen nur etwa halb so viele Mittel bereit, wie für Sanierungen notwendig wären.
Was müsste getan werden? Drei Dinge stehen auf der Agenda: Erstens braucht es eine Krankenhausreform, wie sie bereits in Planung ist. Zweitens müssen die Gebäude saniert werden und drittens braucht es Geld für den Klimaschutz in Krankenhäusern. Damit sind Maßnahmen gegen Hitzewellen gemeint, aber auch gegen die Ausbreitung von immer mehr Tropenkrankheiten in Deutschland.
Was würde das kosten? Der gesamte Finanzbedarf liegt bei rund 40 Milliarden Euro bis 2030. Auf den Bund entfallen dafür ab 2026 je 2,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Krankenhausreform, die restlichen 4,6 Milliarden Euro pro Jahr müssten die Bundesländer tragen.
Wohnen – 30,6 Milliarden Euro
Was sind die Probleme? Es fehlt in Deutschland besonders in Großstädten an bezahlbarem Wohnraum. 400.000 neue Wohnungen jährlich hatte sich die Ampel-Koalition zum Start vorgenommen, mittlerweile entstehen nur noch rund halb so viele. Das treibt die Mieten immer weiter nach oben. Neubauten können heute kaum noch so preiswert entstehen, dass vernünftige Mieten auch profitabel wären.
Was müsste getan werden? Um den Bau günstiger Wohnungen zu fördern, muss die Politik ins Sparschwein greifen. Es braucht Subventionen für Bauträger, die entweder direkt oder in Form günstiger Kredite bezahlt werden. Kommunen könnten auch Baugrundstücke aufkaufen und diese günstig an Bauträger verpachten.
Was würde das kosten? Die Bundesregierung hat sich 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr vorgenommen. Laut Dezernat Zukunft würde das Investitionen von 30,6 Milliarden Euro bis 2030 zusätzlich erfordern. Zwei Drittel davon entfallen auf den Bund, ein Drittel auf die Bundesländer.
Forschung – 9,9 Milliarden Euro
Was sind die Probleme? 2022 nahm sich die Ampel-Koalition vor, die Ausgaben für Forschung bis zum kommenden Jahr auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu steigern. Bisher ist das nicht passiert. Bessere Forschung aus Deutschland würde der Wirtschaft helfen, einen technologischen Vorsprung gegenüber Konkurrenten aus anderen Ländern zu wahren.
Was müsste getan werden? Der Staat trägt die Kosten von 3,5 Prozent des BIP nicht komplett allein. Stattdessen finanzieren private Stellen wie Unternehmen rund zwei Drittel der Ausgaben. Der Bund müsste seine Fördergelder also lediglich entsprechend aufstocken.
Was würde das kosten? Bis 2030 wären rund 9,9 Milliarden Euro erforderlich, wobei es 2025 mit 4,0 Milliarden Euro am meisten wären. Ausgehend vom prognostizierten Wirtschaftswachstum und dem Wachstum der privaten Forschungsausgaben ließe sich das 3,5-Prozent-Ziel danach mit immer weniger Mehrausgaben erreichen, ab 2029 müsste dann gegenüber heute sogar nichts mehr zusätzlich gezahlt werden. Die Mehrkosten teilen sich etwa hälftig zwischen Bund und Ländern auf.
Gesamt: 782 Milliarden Euro
Die gesamten Mehrkosten würden sich demnach bis 2030 auf rund 782 Milliarden Euro belaufen, wovon der Bund mit 417 Milliarden Euro den Löwenanteil tragen müsste, gefolgt von den Kommunen mit 218 Milliarden Euro und den Ländern mit 147 Milliarden Euro. Pro Jahr wären das also rund 130 Milliarden Euro mehr als heute. Das ist zwar eine gewaltige Summe, würde die Ausgaben der öffentlichen Haushalte gegenüber 2023 aber nur um 6,6 Prozent erhöhen. Insgesamt läge die deutsche Staatsquote damit im internationalen Vergleich immer noch im Mittelfeld, etwa auf dem Niveau von Österreich und Finnland.
Allerdings müssten solche Mehrausgaben gegenfinanziert werden. Das hat der Think Tank in einer weiteren Studie untersucht. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass die Schuldenbremse weiterhin eingehalten werden soll. Eine gute Möglichkeit dafür sind so genannte „Finanztransaktionen“. Das sind zum Beispiel Eigenkapitalspritzen des Staates in eigene Unternehmen wie die Deutsche Bahn, aber auch Kredite über die KfW. Sofern dabei Renditen zu erwarten sind, fallen sie nicht unter die Regeln der Schuldenbremse. Allerdings müsste der Staat sicherstellen, dass die jeweiligen Unternehmen die Kredite auch zurückzahlen können. Solche Geschäfte wären zum Beispiel für den Ausbau der Bahn oder den sozialen Wohnungsbau geeignet, aber nicht für alle Bedürfnisse. Nur etwa die Hälfte der 782 Milliarden Euro könnte so finanziert werden.
Staatseinnahmen müssten erhöht werden
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse zu verändern. Vereinfacht gesagt erlaubt diese dem Staat eine höhere Neuverschuldung, je weiter das tatsächliche Bruttoinlandsprodukt vom theoretischen Produktionspotenzial der Volkswirtschaft entfernt ist. Letzteres lässt sich nur schätzen. Politische Maßnahmen, die das Potenzial erhöhen würden, spielen bisher keine Rolle. Dies könnte aber durch eine einfache Gesetzesänderung hinzugefügt werden. Dann könnten z.B. Investitionen in Forschung und Bildung mit Schulden finanziert werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass dadurch das wirtschaftliche Potenzial in den Folgejahren erhöht wird. Laut Dezernat Zukunft könnten so 41,2 Milliarden Euro der Mehrkosten finanziert werden.
Für den Rest müssten die Staatseinnahmen erhöht werden. 335 Milliarden Euro wären bis 2030 nötig, also rund 56 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe ließe sich durch Steuererhöhungen durchaus erreichen. Sollen alle beteiligt werden, müsste zum Beispiel die Mehrwertsteuer und/oder die Einkommensteuer um einige Prozentpunkte angehoben werden. Aber auch über eine Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer ließe sich das Geld leicht so aufbringen, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung zur Kasse gebeten würde.