Verkehrsexperten warnen: Nach Neun-Euro-Ticket explodieren im Herbst die Preise für Bus und Bahn

Die Deutsche Bahn informierte schon ihre Kunden, dass sie das sogenannte 9-Euro-Ticket ab dem 23. Mai kaufen können.
Die Deutsche Bahn informierte schon ihre Kunden, dass sie das sogenannte 9-Euro-Ticket ab dem 23. Mai kaufen können.

Die Zeit läuft, denn in gut zwei Wochen startet ein in Deutschland nie dagewesenes Verkehrsexperiment: Von Juni bis August sollen Fahrgäste für monatlich neun Euro bundesweit Busse und Bahnen im Nahverkehr nutzen dürfen. Das Neun-Euro-Ticket soll Pendler wegen hoher Spritpreise entlasten und für einen Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel werben.

Bevor in dieser Woche Bundestag und Bundesrat über den Plan entscheiden, wurden am Montag verschiedene Verkehrsexperten bei einer Anhörung im Verkehrsausschuss deutlich: „Ohne Erhöhung der Regionalisierungsmittel können wir ab Herbst nicht mehr das gleiche Angebot aufrechterhalten“, sagte Robert Dorn, der stellvertretende Geschäftsführer des Schienen-Nahverkehr-Verbands. Denn die Unternehmen haben einen Mehraufwand im Betrieb – etwa für zusätzliches Personal und Fahrzeuge – sagte Dorn. Einige Unternehmen stünden kurz vor der Zahlungsunfähigkeit.

Jan Schilling vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) drohte, es werde „Preissprünge“ geben. Heißt: Entweder die Bundesregierung schustert den Verkehrsunternehmen mehr Geld zu, oder es wird richtig ungemütlich für die Fahrgäste, aber erst nach dem Marketinggag der Ampel-Koalition. Denn das Neun-Euro-Ticket hat unter anderem durch den Sturm auf Sylt bereits einen großen Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung erreicht. Ein Scheitern des Tickets gilt als extrem unwahrscheinlich.

Tauziehen zwischen Bund und Ländern

Bis Anfang Juni sind es nur noch zwei Wochen bis zum geplanten Start. Die Finanzierung des Neun-Euro-Tickets ist unklar, das entsprechende Gesetz muss noch zwei politische Hürden nehmen. Verkehrspolitiker der Ampel-Koalition wandten sich gegen Blockadedrohungen aus den Ländern: Unter anderem Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) hatte angekündigt, seine Zustimmung zu verweigern, die Grünen-Minister aus Bremen und Baden-Württemberg kündigten an, dann auch den Tankrabatt von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ebenfalls scheitern zu lassen.

Denn im Gesetz geht es nicht um die praktische Ausgestaltung des Tickets, sondern nur ums Geld. Der Bund überweist in diesem Jahr als Ausgleich für Einnahmeausfälle durch das Billigticket 2,5 Milliarden Euro. Die Länder behalten auch die neun Euro pro Ticket. Außerdem will der Bund 1,2 Milliarden Euro geben, um Verluste in der Corona-Krise auszugleichen, in der Kunden im Nahverkehr ausblieben. Diese insgesamt 3,7 Milliarden Euro reichen den Ländern aber nicht. Der Milliardenpoker auf den letzten Metern ist damit eröffnet.

Praktiker werkeln an der Umsetzung

Bei den Verkehrsunternehmen wird ebenfalls noch intensiv an der Umsetzung gearbeitet. Denn es handelt sich um ein „großes Experiment“, wie Branchenvertreter in der Anhörung am Montag sagten.

Die Deutsche Bahn hatte indes am Wochenende angekündigt, schon ab 23. Mai solle der Verkauf des Billigtickets bei der Bahn und anderen Anbietern beginnen. Das Neun-Euro-Ticket ist viel günstiger als normale Monatskarten. Deshalb rechnet der VDV mit ungefähr 30 Millionen Nutzern pro Monat für das Sonderticket. Sobald das Angebot endet, sollen die Kunden bleiben. Nur durch diesen erhofften „Klebe-Effekt“ könnte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ihr Klimaziele einhalten, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbar wurden.

Ziel müsse es sein, die Zahl von 24 Millionen täglichen Nutzer des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) aus der Vor-Corona-Zeit bis 2030 zu verdoppeln, sagte der Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Jens Hilgenberg, in der Anhörung. Nötig seien dauerhafte Verbesserungen des Angebots und der Taktung, vor allem auf dem Land. Wo jetzt kein Bus fahre, werde ja auch durch das verbilligte Ticket keiner fahren. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub warnte zudem davor, die Fahrradmitnahme in Zügen während der Aktion einzuschränken. Das hatten zuvor die Fahrgastverbände vorgeschlagen. Die Sommermonate seien jedoch die Hauptsaison für den Radtourismus. Im Gesamtjahr 2021 seien mehr als fünf Millionen Menschen für Tagesausflüge mit dem Rad oder für Radreisen mit der Bahn angereist.