Verkehrswende-Meister Ljubljana - Die grünste Hauptstadt Europas schafft das, wovon Autoland Deutschland noch träumt

2006 bekam der Bürgermeister von Ljubljana für seine Innenstadt-Pläne von den Anwohnern noch eine Ohrfeige - heute wird er für seine erfolgreiche Verkehrspolitik gefeiert.<span class="copyright">imago images / Peter Widmann</span>
2006 bekam der Bürgermeister von Ljubljana für seine Innenstadt-Pläne von den Anwohnern noch eine Ohrfeige - heute wird er für seine erfolgreiche Verkehrspolitik gefeiert.imago images / Peter Widmann

Die beschauliche slowenische Hauptstadt Ljubljana begann im Jahr 2007 damit, ihr Zentrum autofrei zu gestalten. Seither gilt sie als Vorreiter ökologischer Stadtentwicklung. Wie hat die Stadt das ermöglicht und was können deutsche Städte davon lernen?

Es war kein Einstand nach Maß. Erst wenige Monate zuvor, im Oktober 2006, hatte der erfolgreiche Geschäftsmann Zoran Jankovic als unabhängiger Kandidat die Bürgermeisterwahl in Ljubljana mit 62,99% für sich entschieden und schon sammelten sich wütende Einwohner vor dem Rathaus. Sie protestierten gegen die Pläne des neuen Bürgermeisters, das Stadtzentrum autofrei zu machen. Als Jankovic mit den Demonstranten das Gespräch suchte, fing er sich eine Ohrfeige ein – so aufgebracht waren manche über die Politik des Politikers.

Ljubljanas Anwohner von autofreier Vision zunächst nicht begeistert

Dieser hatte kurz zuvor ein damals umstrittenes Dokument verfasst. „Vision Ljubljana 2025“ hieß das Papier, mit der Jankovic die stadtpolitischen Leitlinien für die nächsten knapp 20 Jahre skizzierte und damit auf den rasanten Anstieg des Autoverkehrs der letzten Jahrzehnte reagierte. Die Hauptstadt des seit 1991 unabhängigen Staates sollte eine lebenswerte, moderne und nachhaltige Stadt werden. Herzstück des Plans: Die Schließung großer Teile der Innenstadt für den privaten Autoverkehr.

Die Aufregung war groß. Anwohner wehrten sich gegen den Wegfall der Parkplätze vor ihrer Haustür. Ladenbesitzer fürchteten um weniger Kundschaft und darum, wie sie ihre Geschäfte beliefern sollten. Doch Jankovic ließ sich nicht beirren. 2008 wurden weite Teile des historischen Stadtzentrums von Autos befreit.

Und das war nur der Auftakt einer grundlegenden Neugestaltung. In den folgenden Jahren legte die Stadt neue Radwege an, baute sieben neue Fußgängerbrücken über den heimischen Fluss Ljubljanica und investierte in den öffentlichen Nahverkehr, in dem das Busnetz ausgeweitet und der Takt erhöht wurde. 2011 wurde der zentrale Kongressplatz, der bislang als großer Parkplatz diente, in eine Fußgängerzone umgewandelt.

Im gleichen Jahr führte die Stadt das heute sehr populäre und größtenteils kostenfreie Bike-Sharing-System BicikelLJ ein. Die erste Stunde ist immer umsonst, die zweite kostet einen Euro. An über 80 Stationen können Anwohner und Touristen die grünen Fahrräder mieten. Mit einer Nutzerrate von 17% der heimischen Bevölkerung und über 900.000 Fahrten gehört BicikelLJ zu den erfolgreichsten Fahrrad-Verleihsystemen in Europa.

2013 begann die Stadt mit den Umbauarbeiten eines besonders umstrittenen Projekts. Auf der Hauptverkehrsachse Slovenska Cesta nahe des Zentrums wurden auf 400 Metern zahlreiche Parkplätze abschafft, 63 neue Bäume gepflanzt, die Gehwege verbreitert, Flächen für die Gastronomie vergrößert und die Straße für den privaten Autoverkehr gesperrt. Später wurde auch eine Querstraße autofrei gestaltet. Die ehemals autoverstopfte Hauptstraße bekam plötzlich den Charme einer Fußgängerzone.

Probleme bei der Planung: Hauptstadt findet diese drei kreativen Lösungen

Wer autofreie Innenstädte plant und auf die Akzeptanz der Bürger hofft, muss drei große Fragen beantworten: Wie wird der Gewerbe- und Lieferverkehr organisiert? Welche Möglichkeiten gibt es für ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen? Und wo können betroffene Anwohner ihr Auto parken? Ljubljana hat für diese drei Fragen drei kreative Antworten gefunden.

  1. Grundsätzlich ist der gesamte autofreie Bereich mit elektronischen Pollern abgegrenzt. Sie verhindern, dass sich Autofahrer nicht doch aus Versehen hinein verirren. Die elektronischen Poller bieten jedoch die Möglichkeit, flexibel auf Ausnahmen zu reagieren. Lieferfahrzeuge dürfen die autofreien Zonen zwischen 06:00-10:00 Uhr morgens und nur mit offizieller Genehmigung befahren. Eine elektronische Plakette ermöglicht es den Fahrzeugen, die Poller automatisch zu senken.

  2. Für körperlich eingeschränkte Menschen, denen die Distanzen innerhalb des autofreien Bereichs zu weit sind, hat die Stadt 2009 den Kavalier eingeführt. Der grüne elektrische mini Shuttle-Bus bringt im gesamten Zentrum Personen von A nach B, und das kostenlos. Der Kavalier hält nicht an Haltestellen, sondern dort, wo es die Passagiere wünschen. Man kann ihn entweder per Telefon anfordern oder steigt spontan zu. Die Flotte besteht derzeit aus sechs Fahrzeugen, in der Sommer-Variante mit offenem Verdeck, im Winter in der geschlossenen wärmeren Variante.

  3. Anwohner, die durch den Wegfall der Parkplätze im Zuge der Umgestaltungen betroffen waren, können ihr Fahrzeug für 60 Euro im Jahr in einem nahegelegenen Parkhaus unterbringen. Dafür hat die Stadt nach Einführung der autofreien Zonen extra neue Tiefgaragen bauen lassen. Die Größte wurde 2011 direkt unter dem zentralen Kongressplatz im Zuge seiner Neugestaltung eingeweiht und stellt Anwohnern und Tagesbesuchern 716 Stellplätze zur Verfügung. Wer mit dem Auto anreist und ins Zentrum möchte, parkt sein Auto einfach in der Tiefgarage und geht dann zu Fuß, per Bike-Sharing oder mit dem Kavalier ins Zentrum.

Verkehrs-Vorzeigestadt: Ljubljana feiert Erfolge für mutigen Kurs

Der Erfolg von Ljubljanas Verkehrspolitik lässt sich mittlerweile in Zahlen belegen. Seit 2007 hat sich die Fläche für Fußgänger um 620% erhöht. Der Anteil des Fußverkehrs stieg zwischen 2003 bis 2013 von 19% auf knapp 35%. Aktuellere Zahlen sind leider nicht verfügbar, doch Beobachter schätzen, dass die Stadtregierung ihr Ziel erreicht hat: Ein Drittel Fuß- und Radverkehr, ein Drittel öffentlicher Verkehr, ein Drittel Autoverkehr.

Auf der neugestalteten Slovenska Cesta sanken die Abgaswerte um 70%, während die Werte in den angrenzenden Straßen stabil blieben – ein Beweis dafür, dass der Verkehr sich nicht einfach verlagert hatte. Ebenso sanken die Lärm-Emissionen um 6dB. Befürchtungen, dass weniger Autos die Kauflaune trüben würden, stellten sich als unbegründet heraus. In Ljubljanas 10 Hektar großem autofreien Zentrum ist es voll und die Geschäfte sind gut besucht. In den letzten zehn Jahren hat sich Ljubljana, die 2016 von der EU Kommission für ihre Erfolge der ökologischen Stadtentwicklung zur grünen Hauptstadt Europas gewählt wurde, zu einem echten Touristenmagnet entwickelt – mit all seinen negativen Begleiterscheinungen, auf die die Stadt derzeit eine passende Antwort sucht.

Was deutsche Städte von Ljubljana lernen können

Ljubljana hat 2007 einen ambitionierten Plan entworfen, der aufzeigt, in welche Richtung sich die Stadt in den nächsten Jahrzehnten verändern soll. Auch wenn mittlerweile neue Pläne und Ziele hinzugekommen sind, an den grundlegenden Leitlinien der Vision 2025 wird bis heute festgehalten. Das Dokument ist der Leitstern, unter dem die Verkehrspolitik gestaltet wird und sorgt in der Öffentlichkeit dafür, dass verkehrspolitische Maßnahmen als Teil einer langfristigen Strategie wahrgenommen werden, was die Akzeptanz erhöht und den Eindruck der Willkürlichkeit zerstreut.

Ljubljana hat erkannt, dass Parkplätze das Nadelöhr der Verkehrswende sind. Gibt es für Autos in der Innenstadt keine Möglichkeit zu parken, fährt man auch nicht hinein. So wurden über die Jahre sukzessive Parkplätze entlang von Straßen abgebaut. Gleichzeitig wurde der Sorge von Autofahrern und körperlich eingeschränkten Menschen mit neuen Tiefgaragen beziehungsweise kostenfreien Shuttle-Bussen begegnet. Die Stadt hatte für jedes aufkommende Problem bereits eine Lösung zur Hand.

Ljubljanas Verkehrspolitik seit 2007 lässt sich als Politik der zwei Geschwindigkeiten beschreiben. Zum einen wurde ein Großteil des Zentrums bereits im ersten Arbeitsjahr von Bürgermeister Jankovic autofrei gemacht, zum anderen wurden Projekte wie neue Radwege, die Umgestaltung des Kongressplatzes oder der Hauptstraße Slovenska Cesta erst im Laufe der Jahre umgesetzt. Eine Strategie, um Menschen verkehrspolitisch nicht allzu viel auf einmal zuzumuten und sich gleichzeitig Zeit zu verschaffen, damit die sich Bürger bis zur nächsten Wahl bereits daran gewöhnt haben und nicht mehr zurück wollen.

Mit Erfolg: War der Protest am Anfang groß, ergab eine Umfrage aus dem Jahr 2020, dass 95% der Menschen die Maßnahmen mittlerweile befürworteten und auch weitere Ausbaupläne positiv sehen. Und auch für Bürgermeister Jankovic, der sich am Anfang seiner Amtszeit für seine Vorstellung einer lebenswerten Stadt noch eine Ohrfeige einfing, sollte sich seine Verkehrspolitik als äußerst erfolgreich erweisen. Seit seinem Sieg 2006 hat er keine Wahl mehr verloren und wurde 2022 zum sechsten Mal in Folge als Bürgermeister von Ljubljana wiedergewählt. Er regiert bis heute.