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Viel zu viele Häuser auf dem Land

In den Städten fehlen Zehntausende Wohnungen – doch auf dem Land werden weit mehr Häuser gebaut als nötig, meint das Institut der Deutschen Wirtschaft. Die negativen Folgen: Zersiedelung, Leerstände und Preisverfall.

Deutschlands Bauherren bauen in ländlichen Regionen nach Einschätzung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) viel zu viel. In einer neuen Studie konstatieren die Kölner Wissenschaftler, dass in vielen Landkreisen deutlich mehr gebaut wird als eigentlich sinnvoll wäre - gemessen an der schrumpfenden Bevölkerung und der Tatsache, dass vielerorts bereits Häuser leer stehen. Das IW empfiehlt den Kommunalverwaltungen eine Reihe von Gegenmaßnahmen.

„Wir stellen mit Schrecken fest, dass in ländlichen Regionen immer noch sehr viele Einfamilienhäuser gebaut werden“, sagte IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer. „Wir haben durch die neue Bautätigkeit eine verstärkte Zersiedelung.“ Falls die Bauherren von heute ihre Häuser in der Zukunft wieder verkaufen wollen, werden sie sich nach Einschätzung Voigtländers sehr schwer tun: „Da die Bevölkerung schwindet, fällt die Nachfrage langfristig weg. Das wirkt sich natürlich auf die Preisentwicklung aus.“ Neben sinkenden Preisen und Zersiedelung erwarten die Forscher noch ganz andere negative Folgen wie verödende Dorfzentren und neue Leerstände.

In der Studie werden exemplarisch einige Landkreise genannt: Im niedersächsischen Kreis Emsland etwa sind demnach zwischen 2011 und 2015 mehr als 1060 Wohnungen mehr gebaut worden, als auf Basis der Bevölkerungsentwicklung und der bereits bestehenden Leerstände zu erwarten gewesen wäre. Zum Großteil handelt es sich dabei um große Wohnungen oder Einfamilienhäuser.

Die Entwicklung ist aber keineswegs auf Norddeutschland begrenzt: In weiten Teilen des wirtschaftsstarken Bayern wird laut IW ebenso zu viel gebaut wie im Schwarzwald, in der Eifel oder in Nordhessen. Ein Extrembeispiel: Im Landkreis Waldeck-Frankenberg nördlich von Marburg wären nach IW-Einschätzung lediglich sieben neue Wohnungen notwendig gewesen. Gebaut wurden jedoch fast 200, was laut Studie 2764 Prozent des Bedarfs entspricht.

In den Ballungsräumen hingegen fehlen weiter Wohnungen. In Berlin etwa sind laut Studie in den vergangenen Jahr nur 40 Prozent der eigentlich benötigten Wohnungen gebaut worden, in München 43 Prozent und in Hamburg 59 Prozent.

Dennoch hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Anfang Juni ermunternde Zahlen veröffentlicht. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der Baufertigstellungen in den kreisfreien Großstädten um 14 Prozent auf über 83.000 Wohnungen gestiegen. Knapp die Hälfte davon entfiel allein auf die Top-Sieben-Städte: Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Köln und Stuttgart.

Dennoch konstatierte auch das BBSR, dass auf dem Land mehr gebaut werde, nicht zuletzt Eigenheime. Dies würde „unweigerlich“ zu wachsenden Leerständen in anderen Marktsegmenten führen, urteilt der BBSR-Fachmann Matthias Walthersbacher. Die Kölner Immobilienforscher vom IW stehen mit ihrer Einschätzung also nicht allein da. Stephan Kippes, Marktforschungsleiter beim Immobilienverband Deutschland Süd in München ergänzt: „Wir haben ein Stadt-Land-Gefälle in der Bautätigkeit.“ In der Summe hätten wir eigentlich genug Wohnraum in Deutschland – „wenn er an der richtigen Stelle wäre“. Nach einer 2016 veröffentlichten Schätzung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung stehen in Deutschland fast zwei Millionen Wohnungen leer, davon etwa 950.000 in ländlichen Regionen.


„In 20 Jahren wird es Geisterdörfer geben“

Und das hat Folgen: Laut einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) werden die Marktwerte von Eigentumswohnungen um mehr als 25 Prozent sinken, bei Ein- und Zweifamilienhäusern dürfte dies bei einem Viertel der Kreise der Fall sein. Denn der Umzugstrend in die Städte werde anhalten. Die Gefahr verödender Dorfzentren, die das IW sieht, erkennt Markus Grabka vom DIW ebenfalls. Schlimmer noch: „In 20 Jahren wird es Geisterdörfer geben“, konstatiert er.

Wertverlust droht vor allem in ostdeutschen Landkreisen. Als das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) vor kurzem für die Postbank analysiert hat, wo bis 2030 die größten Verluste drohen, lagen auf den letzten 38 Plätzen ausschließlich Landkreise aus dem Gebiet der ehemaligen DDR. Erst dann kam mit Primasens die erste Stadt im Westen Deutschlands. Angeführt wird die Liste des Immobilienpreisschreckens übrigens von Suhl mit einem erwarteten jährlichen Wertverlust von 5,6 Prozent im Schnitt.

Befördert wird die ungünstige Entwicklung laut IW-Studie von den Niedrigzinsen der vergangenen Jahre, die den Kauf einer Immobilie vergleichsweise günstig machen. Das Gebrauchthaus ist offensichtlich nicht übermäßig beliebt. „Viele Familien bauen lieber etwas Neues“, sagte Voigtländer. „Das ist verständlich, aber man müsste gleichzeitig leerstehende alte Häuser abreißen. Sinnvoll wäre eine Fokussierung auf den Bestand.“

Das IW empfiehlt Kommunen mit ausuferndem Neubau ein robustes Vorgehen: keine neuen Baugebiete ausweisen, Neubauten an den Abriss von alten Häusern koppeln und die Ortskerne attraktiver machen.

KONTEXT

Immobilien in Deutschland - Tops und Flops

Geteilter Markt

In Ballungsgebieten und attraktiven Universitätsstädten steigen die Preise rasant. Strukturschwache Regionen erleben Bevölkerungs- und Wertverluste.

Freiburg: +8%

Hohe Lebensqualität, die Universität und attraktive Technologie- und Dienstleistungs-Arbeitsplätze ziehen Menschen an. Wohnungen sind knapp und teuer.

Erlangen: +8%

+7,7 Prozent. An diesem wichtigen Medizintechnikstandort treiben hochqualifizierte Arbeitnehmer mit hohen Einkommen Wohnungsnachfrage und -preise.

Hier finden Sie die Trendviertel von Erlangen, Nürnberg und Fürth.

Hier finden Sie die Trendviertel von Erlangen, Nürnberg und Fürth.

Darmstadt: +7%

Die angesehene technische Universität und die Chemie- und Pharmabranche sowie die Nähe zur Metropole Frankfurt machen die Stadt attraktiv.

Eisenach: -2%

Die Wartburg, Wahrzeichen der Stadt, und die hübsch restaurierte Altstadt ziehen Touristen an, aber keine Menschen, die dort dauerhaft leben möchten.

Salzgitter: -0,4%

Die erst 1942 gegründete Stadt hing lange Zeit am Stahl. Seit die Zahl der Beschäftigten sinkt verliert sie Einwohner. Wo Nachfrage fehlt, fallen die Preise.