Virologe Christian Drosten über die Gefahren der Medienöffentlichkeit

Christian Drosten spricht jeden Werktag rund 30 Minuten lang über das neuartige Coronavirus Sars-Cov-2 und ist derzeit generell medial sehr präsent. Nun übte er in seinem Podcast jedoch Kritik an Medien.

Christian Drosten, Direktor am Institut für Virologie der Charité Berlin, muss sich vermehrt mit den Folgen einer intensiven Medienbeobachtung auseinandersetzen. (Foto: Michael Kappeler / dpa-pool / dpa)
Christian Drosten, Direktor am Institut für Virologie der Charité Berlin, muss sich vermehrt mit den Folgen einer intensiven Medienbeobachtung auseinandersetzen. (Foto: Michael Kappeler / dpa-pool / dpa)

Christian Drosten, Chefvirologe der Charité in Berlin, ist derzeit wohl einer der bekanntesten Deutschen. Sein werktäglicher Podcast beim NDR, das „Coronavirus-Update“, ist mittlerweile auf Rang drei der Spotify-Charts geklettert, er ist regelmäßiger Gast bei den Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender, die überregionalen Zeitungen und Magazine haben ihn fast alle um ein Interview gebeten. Vielen hat er den Wunsch erfüllt.

Er möchte – das wird klar, wenn man ihm regelmäßig zuhört und seine Worte liest – differenziert über das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 aufklären und verständlich informieren. Er sagt, er traue sich das deshalb zu, weil er sich in diesem engen Forschungsfeld der „epidemischen Coronaviren“ schon lange Zeit bewege. Seit knapp 20 Jahren.

Die Wissenschaft trifft keine Entscheidungen

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, hat Drosten in den vergangenen Wochen die sich ihm bietenden Gelegenheiten genutzt und die Öffentlichkeit gesucht. Obwohl es „kein Erfolgsmaß in der Wissenschaft in Form von Podcasts oder Twitterfollowern“ gebe. Im Gegenteil: Für einen Wissenschaftler könne es karriereschädigend sein, sich zu sehr in die Öffentlichkeit zu begeben, wo man Dinge vereinfachen müsse. „Das steht einem Wissenschaftler eigentlich nicht gut“, sagt er.

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Bislang hat er das aber gut weggesteckt. Doch bald könnte mit seinen Auftritten Schluss sein. In seinem Podcast vom Montag spricht er über den Fokus, in dem er und andere Corona-Forschende mittlerweile stehen – und welch verzerrtes Bild manche Medien von ihnen zeichnen.

Zunächst stellt er im Podcast (Folge 24) klar, dass nicht die Wissenschaft Entscheidungen trifft, sondern die Politik – was auch von beiden Seiten stets betont wird. Er als Wissenschaftler sei nicht mit einem entsprechenden demokratischen Mandat ausgestattet. Dennoch produzierten manche Medien das Bild von „entscheidungstreffenden“ Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Dazu sagt er: „Die Wissenschaft generiert Daten und kann sagen, wie sicher diese Daten sind. Sie kann auch sagen, wo diese Sicherheit aufhört. Mehr aber nicht.“

Bereits vergangene Woche weniger öffentliche Auftritte

Außer: Erklärungen zu liefern. „Und zwar einer breiten, aufgeschlossenen und interessierten Bevölkerungsschicht. Dafür werden Wissenschaftler derzeit leider überzeichnet“, so der Virologe. Kein seriöser Wissenschaftler aber werde politische Entscheidungen, wie die derzeitig herrschende Kontaktsperre oder die angesetzte Dauer der Kontaktsperre, als „richtig oder falsch bewerten“.

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Dennoch geraten Virologinnen und Virologen immer stärker in den Fokus, sie werden mit Botschaften verknüpft. Drosten sagt: „Es gibt Zeitungen, die malen inzwischen nicht nur in Wörtern, sondern in Bildern, Karikaturen von Virologen. Ich sehe mich selbst als Comicfigur gezeichnet und mir wird schlecht dabei. Ich bin wirklich wütend darüber, wie hier Personen für ein Bild missbraucht werden, das Medien zeichnen wollen, um zu kontrastieren. Das muss wirklich aufhören.“

Deshalb habe er bereits vergangene Woche vermieden, sich im Fernsehen zu zeigen oder größere Interviews zu geben. Er habe mittlerweile das Gefühl, dass Forschende mit Projektionen belegt und ihnen Dinge angehängt würden, die nicht stimmten.

Dann muss die Wissenschaft den Rückzug antreten

Dazu sagt er: „Ich habe gestern beispielsweise eine Email bekommen, in der ich persönlich verantwortlich gemacht wurde für den Selbstmord des hessischen Finanzministers.“ Thomas Schäfer hat sich am vergangenen Samstag offenbar das Leben genommen. Laut seinem Regierungschef Volker Bouffier sei er „erdrückt“ worden von der Sorge, die „riesigen Erwartungen der Bevölkerung“ in der Coronakrise nicht erfüllen zu können.

Dass jemand einen Zusammenhang findet zwischen Aussagen eines Wissenschaftlers und dem Selbstmord eines Politikers, sei ein Signal für Drosten. Er sagt: „Wenn solche Dinge passieren, dann ist das für mich schon ein Signal dafür, nicht, dass wir nah an der Grenze sind, sondern, dass wir über eine Grenze von Vernunft schon lange hinaus sind in dieser mediengeführten öffentlichen Debatte. Und ich habe damit langsam wirklich ein Problem.“ Wenn sich die Debatte nicht ändere, müsse die Wissenschaft in geordneter Weise den Rückzug antreten.

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Er könne auch nicht nachvollziehen, dass Medien in dieser Zeit noch immer dramatisierten – wenn etwa in Talkshows „absichtlich Leute nebeneinandergesetzt werden, von denen man erhofft, dass sie sich bekämpfen“. Zudem hat Drosten vor rund einer Woche via Twitter ihm zufolge zugespitzte und verkürzte Aussagen angeprangert, mit denen ein Magazin ein Interview mit ihm überschrieben hätte.

Drosten appelliert deshalb an die Medien und ihre Verantwortung. Denn: Das momentane „Wohlfühlniveau in der Gesellschaft“ werde in den nächsten Wochen nicht so bleiben.

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