Virologe Streeck bei "Maybrit Illner": "Jede Vorhersage, dass wir einen Impfstoff haben werden, ist unseriƶs"
Wie weiter in der Corona-Krise? Das wussten auch die GƤste von Maybrit Illner nicht zu sagen. Einig waren sie sich vor allem darin, dass die bisherigen MaĆnahmen sinnvoll seien.
Der Donnerstag war der Tag des Gegenangriffs. Viel Kritik hatte sich Angela Merkel zuletzt anhƶren müssen, nachdem sie versucht hatte, mit dem Kampfbegriff der "Ćffnungsdiskussionsorgien" die MinisterprƤsidenten in die Schranken zu weisen. Man dürfe nichts überstürzen, wenn es um das Hochfahren des ƶffentlichen Lebens gehe, so der Tenor von Merkels kolportierter Tirade. Nach heftigem Gegenwind ging die Bundeskanzlerin in einer RegierungserklƤrung in den Verteidigungsmodus über. "Das ganze Land wird auf die Probe gestellt, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gab", sagte sie im Bundestag, nicht ohne Pathos, rƤumte aber auch ein, die Pandemie sei eine "demokratische Zumutung". Es waren diese gewichtigen Worte, die am Abend danach über dem Fernsehstudio von Maybrit Illner schwebten. "Deutschland macht auf - mutig oder riskant?", lautete die Frage, die die ZDF-Moderatorin ihren GƤsten stellte.
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Geladen war mit Cem Ćzdemir (Grüne) ein Vertreter der in diesen Zeiten so wichtigen Opposition, aber auch die Regierungsseite kam zu Wort: Malu Dreyer, SPD-MinisterprƤsidentin von Rheinland-Pfalz, war zugeschaltet. Ihr kam eine Doppelrolle zu, als Vertreterin der GroĆen Koalition, aber auch als Landespolitikerin, die mutmaĆlich nƤher dran ist an den Sorgen der Menschen als die Berliner Politik. Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, lenkte den Blick auf die Sorgen und Nƶte der Wirtschaft. Für den fachlichen Blick sorgten die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim (zugeschaltet) und der omniprƤsente Virologe Professor Hendrik Streeck von der UniversitƤt Bonn.
Es war dann doch eine sehr harmonische Runde, die sich da bei Illner eingefunden hatte. Konsens statt Dissens über weite Strecken - spannend war das nicht, wirklich erhellend auch nicht. Dass die derzeitigen MaĆnahmen richtig und auch angemessen seien, darüber waren sich alle Beteiligten weitgehend einig. Lediglich die beiden Experten, Streeck und Nguyen-Kim, lagen sich ein wenig in den Haaren. Die Chemikerin warf dem Virologen vor, er habe aus seiner umstrittenen Heinsberg-Studie voreilige Schlüsse gezogen und diese auch noch zu früh in die Welt posaunt.
Streeck verteidigt seine Studie: "Ich hƤtte nichts anders gemacht"
Zur Erinnerung: Seit Ende MƤrz untersucht Streeck zusammen mit einem groĆen Team, wie sich das Coronavirus in der Gemeinde Gangelt (Kreis Heinsberg, NRW) verbreitet hat. Nach einer Karnevalssitzung waren dort viele Infektionen bekannt geworden. Warum er, obwohl die Studie noch nicht abgeschlossen sei, schon zu dem Schluss gekommen war, dass HygienemaĆnahmen eine effektive Waffe im Kampf gegen die Pandemie seien, wollte eine etwas aufgekratzte Nguyen-Kim wissen. Professor Streeck erwiderte, er habe keine Fehler gemacht - "ich hƤtte nichts anders gemacht", verteidigte er sich. Gute Hygiene sei nun einmal das A und O, wenn es darum ginge, das Virus zu stoppen. So kƶnne die Virenlast, die verbreitet werde, gesenkt werden.
ZunƤchst aber ging es um das Merkel-Wort der "Ćffnungsdiskussionsorgien". Am Begriff selbst wollte man sich ebenso wenig stƶren wie an dem, was die Kanzlerin damit meinte. Lediglich Malu Dreyer ging ein wenig in die Verteidigung. "Ich fühle mich nicht angesprochen vom Vorwurf der Forschheit", sagte sie. Die Regeln, etwa die viel kritisierte 800-Quadratmeter-Begrenzung für GeschƤfte, seien eben Auslegungssache. Weswegen sie es nicht problematisch sehe, wenn in ihrem Bundesland ein Outlet-Center ƶffne. Auch die teilweise Ćffnung der Schulen sieht die SPD-Frau relativ gelassen. Bei einem erneuten Ausbruch mache man die Schulen eben wieder dicht, "im Zweifel nimmt man einen Schritt zurück". Dass man lokal handeln kƶnne, sei eine StƤrke des Fƶderalismus.
Einig waren sich alle darin, dass die Krise noch lange nicht überstanden sei und man die bisherigen Erfolge "jetzt nicht gefƤhrden" dürfe (Ćzdemir). Die Kanzlerin habe recht, wenn sie die Bürger zu Geduld aufrufe, so der Grünen-Politiker. Ćzdemir weiĆ, wovon er spricht, schlieĆlich war er selbst an Covid-19 erkrankt, wenn auch "sehr milde". Seine Familienmitglieder - Frau und zwei Kinder - habe er übrigens nicht angesteckt - warum, sei eines der groĆen RƤtsel dieser Krankheit.
"Es kann sein, dass wir eine zweite oder dritte Infektionswelle haben werden"
"Wir müssen immer ein bisschen bƶsglƤubig bleiben", beschwor Malu Dreyer die Deutschen. HeiĆt: Die Fallzahlen mƶgen zwar sinken, aber das sei noch lange kein Grund für Entwarnung. Man müsse sich daran gewƶhnen, in einer Welt zu leben, "die anders geprƤgt ist, als sie es in der Vergangenheit war", so Dreyers düstere Prognose. Auch Nguyen-Kim rief dazu auf, jetzt noch ein bisschen durchzuhalten. Denn dann schaffe man sich "Freiheiten" am Ende der Pandemie. "Es wird weitere Ausbrüche geben", glaubt die Journalisten - spƤtere Ausbrüche aber seien schlimmer als der jetzige.
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Zu Geduld mahnte auch Professor Streeck. "Das Virus nimmt sich die eigene Zeit", man müsse sehen, was die Lockerungen brƤchten, die zuletzt beschlossen wurden: "wo ist zu vieles, wo zu wenig". "Es kann sein, dass wir eine zweite oder dritte Infektionswelle haben werden", sagte auch Streeck, man wisse heute aber, dass es vor allem GroĆveranstaltungen waren, die das Virus groĆflƤchig verbreitet hatten. AuĆerdem gab er sich weiter optimistisch, dass eine Ausbreitung gebremst werden kƶnne, hƤtten die Deutschen doch allesamt einen "Crashkurs in Hygiene" gehabt in den letzten Wochen. Das Virus selbst aber werde nicht einfach so verschwinden, auch auf einen Impfstoff zu hoffen, sei riskant. "Jede Vorhersage, dass wir einen Impfstoff haben werden, ist unseriƶs", warnte der Forscher. "Wir werden damit leben müssen", so Streeck. Und: "Das Virus ist weltweit heimisch geworden, wir werden es aus dem menschlichen Kƶrper nicht mehr weltweit rausbekommen." Da es noch immer auf ein "unwissendes Immunsystem" pralle, sei Hygiene derzeit die beste Lƶsung.
VW-Chef Diess erklƤrte, sein Konzern sei "sehr gut vorbereitet auf diese Zeit". Man habe Masken besorgt, die Schichten in den Werken so geplant, dass sich die Mitarbeiter mƶglichst aus dem Weg gehen kƶnnten, und, wo mƶglich, Home-Office ermƶglicht. Trotz Kurzarbeitergeldregelung und vollen Kassen mahnte der Autobauer aber auch: "Beliebig lang kƶnnen wir das nicht durchhalten." Das Beispiel China zeige, wie man es machen müsse - schlieĆlich sei es dort gelungen, die Wirtschaft wieder hochzufahren und gleichzeitig die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Wie schnell man aber in Deutschland zum Status quo ante zurückgehen kƶnne, dahingehend wollte sich keiner der GƤste von Maybrit Illner festlegen.
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