"Visite": Das Gesundheitsmagazin über Antibiotika und Parkinson
Das Ratgeber-Format “Visite” schlendert durch die Kurzbeiträge mit einschläferndem Duktus und in quälend langsamer Dramaturgie. Ja, das ist informativ, aber gleichzeitig dröge. Mit einer Ausnahme, bei der Gesundheits-Berichterstattung begeht die Redaktion einen groben Fehler.
Los geht es mit sogenannten Fluorchinolon-Antibiotika. Das ist eine Gruppe von Breitband-Wirkstoffen mit zum Teil heftigen Nebenwirkungen. Davor warnt aktuell das Bundesamt für Arzneimittelsicherheit und Medizinprodukte in einem „Rote-Hand-Brief“ an alle Ärzte.
Trotz gefährlicher Nebenwirkungen werden Antibiotika weiter verschrieben
Darin steht, dass die Antibiotika nur noch nach sorgfältiger Abwägung und im Einzelfall verschrieben werden sollen. Sonst geht es noch viel mehr Patienten wie Holger Steinke, er erzählt in “Visite” seine Geschichte. Die klingt so: Er hatte einen Harnwegs-Infekt, hat dagegen Ciprofloxacin bekommen, ein Antibiotikum aus dem Rote-Hand-Brief. Zwar verschwanden Steinkes Beschwerden in der Folge schnell, aber er bekam Schmerzen an der Achillessehne. Sie war angerissen und musste operiert werden. Er recherchierte daraufhin und fand heraus, dass das verschriebene Antibiotika Rupturen in den Sehnen als Nebenwirkung verursacht – darüber hatte ihn sein behandelnder Urologe aber nicht aufgeklärt.
Diese und weitere Nebenwirkungen vermuten Experten bei Tausenden Patienten in Deutschland. Denn die Fluorchinolone werden noch immer häufig verschrieben, obwohl Studien seit Jahren die gefährlichen Nebenwirkungen belegen – dazu zählt auch die gesteigerte Gefahr eines Aortenaneurysmas, dass also die Hauptschlagader reißt und so zu inneren Blutungen führt. In Amerika dürfen die Fluerchinolone nur im Notfall eingesetzt werden und das ist auch das Ziel in Deutschland. Verschreibt der Arzt in Zukunft bei einfachen Infekten ein Antibiotika aus dieser Gruppe, dann rät Visite dazu, nachzuhaken und eine Alternative zu erfragen.
Parkinson – bleibt oft zu lange unentdeckt
Früher als Schüttellähmung bekannt, befindet sich Parkinson auf dem Vormarsch. Sie ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung Deutschlands. Betroffen ist auch Rudolf Michaelsen, ihn hat Visite einen Tag lang begleitet. Wem an dieser Stelle ein gewisses Schema auffällt, der hat damit absolut Recht: Jeder Visite-Beitrag gleicht dem vorangegangenen und dem darauffolgenden. Zuerst wird das Thema vorgestellt, meist in einem kurzen Off-Text mit Erklärstimme, dann wird ein Betroffener eingeführt, während dieser langsam durch das Bild läuft oder auf einer Bank sitzt, dann kommt ein Experte zu Wort, schön im weißen Mantel im Labor drapiert, zuletzt folgen noch Ratschläge zur Früherkennung oder Tipps für ein gesünderes Leben. Fertig sind die fünf Sendeminuten. Das ist informativ, aber auch sehr dröge.
Aber zurück zu Betroffener Nummer zwei: Rudolf Michaelsen erzählt von den Anfängen seiner Parkinson-Erkrankung. Das erste Anzeichen war, dass er seine morgendliche Tasse Kaffee nicht mehr riechen konnte. Nach und nach verschwanden die Gerüche vollständig aus seinem Leben. Das ist mittlerweile neun Jahre her. Vor vier Jahren schenkte er ein Glas Wein ein, er verschüttete es. Vor drei Jahren bemerkte er es in den Beinen. „Ich ging minimal dahin, wo ich nicht hinwollte.“ Die Krankheit ist sehr langsam fortschreitend bei ihm. Er hofft deshalb, dass es bald ein Heilmittel gibt.
Daniela Berg forscht an der Krankheit, sie sagt: „Zehn bis 15 Jahre ist ein recht typischer Verlauf der Krankheit, bevor man auffällig steif wird.“ Weiter erklärt sie den Hintergrund: Bei Parkinson sterben Nervenzellen im Gehirn ab, deren Aufgabe ist die Dopamin-Produktion. Dopamin ist wichtig für die Kommunikation des Gehirns mit den Muskeln. Schwindet Dopamin, sind die Folgen Steifigkeit, Zittern und Langsamkeit. Nach und nach sind immer mehr Teile des Körpers betroffen, den Ursprung nimmt die Krankheit dabei wohl im Darm. Sicher ist das aber nicht. Sehr frühe Anzeichen der Krankheit sind zudem der Verlust der Geruchswahrnehmung, Depression, Verstopfung und eine Traum-Schlaf-Störungen. Patienten leben ihre Träume dabei sehr aktiv aus und bewegen sich viel. Wer diese Anzeichen bei sich beobachtet, sollte sich vom Arzt durchchecken lassen, rät Visite. Je früher eine Therapie begonnen wird, desto mehr Lebensqualität kann durch eine symptomatische Behandlung erhalten werden.
Berg sagt, gefährlich an der Krankheit ist, dass sie oft spät bemerkt wird. Wie bei Michaelsen: „Erst wenn 50 Prozent der Nervenzellen betroffen sind, kommt es zu offensichtlichen Verlangsamungen.“
Hoffnung schüren – ein absolutes Tabu
Weiter erzählt sie, dass es vielversprechende Ansätze in der Forschung gibt: „Vor allem in Zell- und Tiertests gibt es verschiedene Forschungen. Mittlerweile haben wir auch erste Ergebnisse am Menschen.“ Die Forscherin ist zuversichtlich, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein Medikament auf den Markt schafft, das den Verlauf der Krankheit verlangsamen kann.
Zwar spricht sie nicht von Heilung, sondern von Verlangsamung, dennoch ist das eine gewagte Aussage. Solange keine Langzeittests an Menschen durchgeführt werden und Ergebnisse die Sicherheit der Medikamente bescheinigt. Hier wird durch Visite Hoffnung geschürt, ohne zumindest die Zweitmeinung eines unabhängigen Experten einzuholen. Es gibt wenige gröbere Fehler in der Gesundheits-Berichterstattung, als die Hoffnung von Patienten zu schüren, ohne dass es belastbare Ergebnisse dafür gibt. Beweggrund ist meist, ein Thema mit Emotionen aufzuladen und es so größer zu machen, als es ist.
In der gleichen Folge verweist Visite damit auf gefährliche Nebenwirkungen von Medikamenten und schürt später Hoffnungen von Erkrankten auf Medikamente, die sich noch nicht mal in fortgeschrittenen klinischen Phasen befinden. Das ist schon fast scheinheilig.