Vitali Klitschko im Interview: "Bin bereit, mein Leben für mein Land zu opfern"

Vitali Klitschko, Bürgermeister der Stadt Kiew in der Ukraine, hat gesagt, er sei bereit, sein Leben für das vom Krieg zerrissene Land zu opfern, während er offenbarte, welchen emotionalen Einfluss der Angriff Russlands auf ihn hat, und mahnte, dass der Krieg "jeden auf der Welt treffen kann".

Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew und ehemaliger Meister im Schwergewicht im Rathaus im Kiew am 27. Februar. (Bild: Efrem Lukatsky/AP)
Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew und ehemaliger Meister im Schwergewicht im Rathaus im Kiew am 27. Februar. (Bild: Efrem Lukatsky/AP)

Klitschko, der nach einer langen und erfolgreichen Boxkarriere 2014 zum ersten Mal zum Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew gewählt wurde, äußerte sich optimistisch über den bisherigen Verlauf des Kampfes und sagte in einem Interview mit Yahoo Frankreich am Freitag: "Ich versuche die Dinge positiv zu sehen, ich denke positiv, in dieser kritischen Phase bin ich immer noch ein Optimist."

Er sagte jedoch, er sei bereit, sein eigenes Leben im Kampf zu opfern und erinnerte an den Tod seines Vaters, eines Offiziers der sowjetischen Luftwaffe, der an Krebs starb, nachdem er bei seiner Arbeit im Fallout der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl hoher Strahlung ausgesetzt war.

Klitschko kämpft mit den Tränen

"Er hat mich immer gelehrt, dass es ein großes Privileg ist, durch die Verteidigung des eigenen Landes zu sterben", sagte Klitschko. "Wenn mein Heimatland mein Leben braucht, bin ich bereit, mein Leben für mein Land, meine Kinder, für die Zukunft meiner Familie zu opfern."

"Niemand will sterben, alle wollen leben, aber die Russen wollen das Russische Reich wieder aufbauen und wir wollen nicht im Russischen Reich leben", fügte Klitschko hinzu. "Die Russen versuchen uns in die Knie zu zwingen, aber wir kämpfen gerade für die Freiheit und für die Zukunft unserer Kinder und unseres Landes."

Der Angriff, der nun in die vierte Woche geht, trieb ihm am Freitagmorgen die Tränen in die Augen, als er mit einer Frau sprach, die ihre Wohnung durch einen Angriff der Russen verloren hatte.

Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko (links) tröstet eine Frau an dem Ort, an dem ein Bombenangriff am Freitag Wohnhäuser in Kiew, Ukraine, beschädigt hat. (Bild: Rodrigo Abd/AP)
Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko (links) tröstet eine Frau an dem Ort, an dem ein Bombenangriff am Freitag Wohnhäuser in Kiew, Ukraine, beschädigt hat. (Bild: Rodrigo Abd/AP)

"Ich bin ein alter Mann, ein starker Mann, aber es ist schwer, sich das anzuhören, die menschlichen Emotionen zu sehen", so der 2,01 Meter große ehemalige Meister im Schwergewicht. "Dieser Krieg zerstört Pläne, zerstört Leben, zerstört die Zukunft vieler, vieler Menschen und um ehrlich zu sein, weine ich mit dieser Frau."

Klitschko sagte, dass bereits 220 Einwohner seiner Stadt im Krieg ums Leben gekommen seien, darunter sechs Kinder. Er fügte hinzu, dass etwa die Hälfte der 3,5 Millionen Einwohner der Stadt, vor allem Frauen und Kinder, evakuiert worden seien, als die russischen Truppen ihren Marsch auf die Stadt fortsetzten, wies aber darauf hin, dass viele ehemalige Einwohner zurückgekehrt seien, um bei der Verteidigung ihrer Heimatstadt zu helfen.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass es seit Beginn der Invasion am 24. Februar fast 2.000 zivile Opfer, darunter 726 Tote, gegeben hat. Eine genaue Zahl war jedoch schwer zu ermitteln. Mehr als 3 Millionen Menschen sind vor der Gewalt geflohen.

"Einigkeit ist der Schlüssel zum Frieden"

Der Bürgermeister der Ukraine betonte, dass eine kontinuierliche internationale Einigkeit nötig sei, um Russland zu besiegen, oder der Krieg würde irgendwann alle betreffen.

"Bitte, bleibt weiter auf der Seite der Ukraine", sagte Klitschko. "Einigkeit ist unser Schlüssel, um den Krieg zu stoppen. Zusammen können wir den Krieg beenden, denn wenn jemand die Vorstellung hat, dieser Krieg sei weit weg, er berühre ihn nicht, dann ist das eine falsche Vorstellung. Dieser Krieg kann jeden auf dem europäischen Kontinent treffen, er kann jeden auf der Welt treffen. Wir alle müssen unsere Kraft, unsere Energie und unsere Visionen vereinen, um den Krieg zu beenden. Einigkeit ist der Schlüssel zur Freiheit. Einigkeit ist der Schlüssel zum Frieden."

Der Bürgermeister lehnte es ab, eine Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden, bezeichnete ihn als "krank" und sagte, er wolle das ukrainische Volk versklaven und die europäischen demokratischen Grundsätze zerstören. Klitschko sagte, dass er keinen Hass auf Russland hege, da seine Mutter Russin sei und er die Sprache spreche, aber dass sein Volk kämpfen werde.

"Lasst die Ukraine in Ruhe, geht zurück nach Hause, in unserem Land gibt es nichts für euch", richtete Klitschko in dem Interview an die Russen. "Es ist unser Zuhause, es ist unsere Heimatstadt, es ist unser Heimatland und wir werden kämpfen. Ihr schickt eure Söhne und Ehemänner, eure Männer in die Ukraine und es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass ihr eure Söhne, Ehemänner oder Männer nie wieder sehen werdet, denn auch sie werden auch im Krieg ihre Leben verlieren. Beendet den Krieg. Zieht ab aus der Ukraine.

"Wir sind ein friedliches Land, aber wir haben keine andere Wahl, als jetzt zu kämpfen", fuhr er fort. "Ich sehe keine andere Wahl. Die Hände zu erheben und Teil Russlands zu werden? Nein, nein, nein. Wir haben keine andere Wahl. Wenn Russland nicht in seine Heimat zurückkehrt, müssen wir einfach handeln. Wir müssen kämpfen und uns verteidigen.

Klitschko dankte Präsident Biden und den europäischen Verbündeten für ihre Unterstützung in Form von Lebensmitteln, Wasser, medizinischen Hilfsgütern und modernen Waffen sowie für humanitäre Hilfe, politischen Druck, wirtschaftlichen Druck und Sanktionen. Er forderte die anderen Länder auf, alle Handelsbeziehungen abzubrechen, da jeder Dollar und jeder Euro von Russland für den Krieg verwendet werde.

"Das absichtliche Angreifen von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen"

Klitschko ist eine prominente Figur in der Verteidigung der Ukraine und war Anfang dieser Woche in einem viralen Videoclip zu sehen, in dem er von 7 News Australia zu Putins Behauptungen befragt wurde, die Russen würden nur versuchen, militärische Ziele zu treffen.

"So ein Bullshit! Sorry", antworte Klitschko und zeigte auf eines der bombardierten Gebäude. "Wo ist hier das militärische Ziel? Dieses Gebäude soll ein militärisches Ziel sein?"

Anfang letzter Woche bezeichnete Biden Putin als Kriegsverbrecher, eine Anschuldigung, die von Außenminister Antony Blinken am Donnerstag wiederholt wurde.

"Nach all den Zerstörungen der letzten drei Wochen fällt es mir schwer, den Schluss zu ziehen, dass die Russen etwas anderes tun", sagte Blinken auf einer Pressekonferenz im Außenministerium und fügte hinzu: "Das absichtliche Angreifen von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen".

Christopher Wilson

VIDEO: Klitschko-Brüder im Kampf ihres Lebens