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Vom Kriegshelden zum "Gefährder"

Den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG haben sich im Krieg gegen den IS zahlreiche internationale Freiwillige angeschlossen (Bild: Delil Souleiman/AFP)
Den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG haben sich im Krieg gegen den IS zahlreiche internationale Freiwillige angeschlossen (Bild: Delil Souleiman/AFP)

Wie ehemalige Anti-IS-Kämpfer durch deutsche Behörden kriminalisiert werden – aus Unterwürfigkeit gegenüber der türkischen Regierung unter Erdogan.

Alexander (Name von der Redaktion geändert) ist gerade mal Mitte 20, doch er hat schon mehr erlebt – besser gesagt: durchlebt – als die meisten Menschen seiner Generation in Deutschland.

Alexander war nie ein besonders politischer Mensch, doch er hat ein Gespür für Gerechtigkeit und Empathie. Die Schreckensbilder von Menschen, die Opfer der Terrorgruppe IS wurden, haben ihn wachgerüttelt – ihn, der sonst immer eher passiv war. Die Gräueltaten des IS in den Kurdengebieten waren der Auslöser, aktiv zu werden. Alexander kontaktierte kurdische Freunde. Er wollte helfen. Er wollte die Verbrechen des IS stoppen, er wollte den Kurden beistehen.

Wenig später war Alexander in Syrien. Er schloss sich der kurdischen Volksverteidigungseinheit YPG an, einer Einheit, die politisch links steht. In Deutschland spricht man häufig von “Marxisten”, doch sie selbst sehen ihre Ziele differenzierter; vor allem orientieren sie sich an den Schriften des Kurdenführers und Gesellschaftstheoretikers Abdullah Öcalan.

Bei dieser Einheit fand Alexander seine Bestimmung: Den Kampf gegen den IS. Er rettete aktiv Leben, er verteidigte die Menschenrechte und die Freiheit, wo sie akut bedroht sind. Er kämpfte selbstlos und riskierte Tag für Tag sein Leben. Viele seiner Kameradinnen und Kameraden fielen im Kampf gegen die Bestien des IS. Sie fochten die menschenverachtenden islamistischen Schlächter mit vereinten Kräften nieder. Alexander wurde zu einem Helden des Mittleren Ostens – wie alle seine Kameradinnen und Kameraden.

NATO-Mitglied gegen NATO-Verbündete

Militärische Unterstützung erhielten die kurdischen Kämpferinnen (YPJ) und Kämpfer (YPG) dabei auch von NATO-Staaten wie den USA, Großbritannien und Frankreich. Ein anderes NATO-Mitglied hat sie dagegen zum Feind erklärt: Die Türkei, welche sich nach der Niederlage des IS sogleich eifrig bemühte, das Andenken an die heldenhaften kurdischen Kämpfer zu diskreditieren, ihre Leistungen zu schmälern und sie ins Zwielicht zu rücken.

Als vernünftig denkender Mensch sollte man erwarten, dass Alexander auch in seinem Heimatland der gebührende Respekt entgegengebracht wird, den er sich unter Einsatz seines Lebens verdient hat. Als Heranwachsender ging er in die Fremde, als Held kam er zurück. Annehmen sollte man mindestens, dass ihm irgendeine Form offizieller oder gesellschaftlicher Würdigung zuteil wird – vielleicht ein Eintrag in das Goldene Buch seiner Heimatstadt, womöglich gar das Bundesverdienstkreuz oder zumindest der Verdienstorden des jeweiligen Bundeslandes. Oder ein Empfang der Bundesregierung. Irgendeine Geste, die das Engagement und Opfer würdigt, erfolgreich gegen die perversesten Mörderbanden dieses Planeten gefochten zu haben. Ich zumindest hätte dies eigentlich für selbstverständlich gehalten.

Doch die Realität sieht leider anders aus. Nicht nur, dass man Alexander die Anerkennung für seinen Einsatz versagt – im Gegenteil, er wird in Deutschland kriminalisiert. Das Landeskriminalamt Bayern führt Alexander wegen seines Kampfes gegen den IS als so genannten “Gefährder”; eine Bezeichnung, die ansonsten fast nur islamistischen Terroristen vorbehalten ist, die nun aber auch auf die Helden der letzten Jahre angewendet wird, weil diese der verbündeten Türkei ein Dorn im Auge sind. Da die Kampfeinheiten der YPG nicht der derzeit gerade opportunen politischen Stimmungslage entsprechen, stellt Deutschland sie ins Abseits und rückt sie ihrerseits in eine “terroristische” Ecke, um bloß nicht wichtige Wirtschaftspartner wie die Türkei zu verärgern.

“Sonderbehandlung” durch die Polizei

Im Gespräch mit Yahoo Nachrichten beschrieb Alexander seine Erfahrungen mit den deutschen Behörden sehr detailliert. Hier sein ungekürzter Bericht:

“Es scheint inzwischen normal geworden zu sein, dass man als ehemaliger YPG-Angehöriger in Deutschland bei der Ein- und Ausreise in Deutschland von den Behörden schikaniert wird. Nachdem ich im Januar von der Polizei ca. drei Stunden auf der Wache mit den Worten ‘Du fliegst heute nicht in deinen Urlaub’ aufgehalten wurde und eine Befragung des ‘Operativen Staatsschutzes’ folgte, weil ich eine YPG-Flagge ins Netz gestellt hatte, wurde ich auch bei der Einreise im Mai für zwei Stunden festgehalten. Als ich gestern zu Freunden in Ausland fliegen wollte, wurde ich erst ganz normal durch die Kontrollen gelassen, fünf Minuten vor der Schließung des Gates wurde mein Name aufgerufen. Dort wurde ich bereits von zwei Beamten mit Maschinenpistolen erwartet und wieder auf die Wache befördert. ‘Es gibt noch einige ungeklärte Dinge, die zu besprechen sind’, waren die Worte der Beamten. Nun folgte dort ein kurzes Kreuzverhör, in dem ich mich rechtfertigen musste, wieso ich denn überhaupt verreise, ob ich überhaupt über die notwendigen Mittel dafür verfüge; und ich musste diese nachweisen. Nachdem ich ein wenig ungehalten reagiert habe, entschieden die Beamten mich dann doch noch weiterreisen zu lassen. Wieso man mich aber nicht direkt bei der Passkontrolle einkassiert und befragt, sondern wartet, bis das Gate quasi schon im Flieger sitzt und mich dann in der Öffentlichkeit ausruft, um mich dann kurzfristig festzunehmen, wird mir wohl nur die Polizei sagen können. Dass es hierbei um Schikane geht, ist offensichtlich. Auch die Art der Befragung und allgemeine Behandlung durch die Beamten sind höchst unangenehm. Anzumerken ist, dass die Schikanen sich erst seit 2017 vermehrt haben. Zuvor wurde ich bei einzelnen Personenkontrollen von den Beamten zwar nicht unbedingt freundlich behandelt, jedoch konnte ich immer frei herumreisen.”

Soweit Alexander Schilderung. Diese negativen Erfahrungen eines Helden unserer Zeit fügen sich leider nahtlos in das aktuelle politische Bild ein: Seit Jahren kuscht die Bundesregierung vor der türkischen Diktatur des Despoten Erdogan. Schon lange davor wurde der Kampf der YPG/YPJ gegen IS und islamistischen Terror auf Wunsch der Türkei in Deutschland kriminalisiert. Insbesondere die bayerischen Behörden – vor allem in München – üben sich in vorauseilendem Gehorsam und stellenweise weit über ihre rechtlichen Kompetenzen hinaus; so wurden willkürlich Strafverfahren gegen Menschen eingeleitet, die lediglich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung innerhalb eines völlig legitimen Rahmens ausgeübt oder sich beruflich – etwa als Journalisten – mit der Thematik befasst hatten. Einschüchterung ehrbarer Bürger – das scheint die Taktik in Bayern zu sein.

Doch vielleicht wagt es ja irgendwann einmal ein Grenzbeamter, sich über die Thematik unabhängig und sachlich zu informieren, und erbringt Menschen wie Alexander – entgegen seinen dienstlichen Weisungen – den angemessenen Respekt, den sie verdienen. Statt ihn zu drangsalieren würde dies zum Beispiel bedeuten: aufstehen und salutieren. Das wäre eigentlich das Mindeste, was ein Held bei einer Passkontrolle erwarten darf.

Hinweis: Das ursprünglich verwendete Pseudonym des ehemaligen YPG-Freiwilligen wurde wegen möglicher Verwechslungsgefahr geändert.