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Von Homo zu Hetero? Das passiert bei Konversions-Therapien in Deutschland

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plant, sogenannte Konversionstherapien für Homosexuelle verbieten zu lassen. Angeblich werden Homosexuelle dadurch heterosexuell. Tatsächlich leiden viele Betroffene unter den obskuren Maßnahmen. Hartmut Rus vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland saß in der von Jens Spahn eingerichteten Kommission und erzählt im Interview, wo und in welchen Kreisen Konversionstherapien tatsächlich angewandt werden und wer dahintersteckt.

Die Kommission geht von rund 1.000 Fällen der Konversionstherapie pro Jahr in Deutschland aus. (Symbolbild: Getty Images)
Die Kommission geht von rund 1.000 Fällen der Konversionstherapie pro Jahr in Deutschland aus. (Symbolbild: Getty Images)

Yahoo Nachrichten: Die Weltgesundheitsorganisation, der Weltärztebund und seriöse Wissenschaftler sind sich darin einig, dass Homosexualität keine Krankheit ist und insofern auch nicht „geheilt“ werden kann und vor allem muss. Welches Bild von Homosexualität haben denn die Anbieter von Konversionstherapien?

Hartmut Rus: Es gibt nicht die eine Konversionstherapie. Die Gruppen, die glauben, Homosexuelle heilen zu können, haben verschiedene Verfahren im Kopf, die auf unterschiedlichen Theorien und Annahmen basieren. Die gängigste Theorie ist diese: Gott hat Mann und Frau mit festgelegten Identitäten geschaffen, der Mann liebt Frauen, die Frau liebt Männer. Und dann gibt es Menschen, die aufgrund von Lebenskrisen und traumatischen Erlebnissen homosexuelle Gefühle bekommen, zum Beispiel in der Pubertät. Das sind aber nur Symptome, die auf Probleme des Menschen hinweisen. Wenn man die abarbeitet, setzt automatisch der Ursprung wieder ein und der Mensch bekommt wieder seine heterosexuelle Orientierung.

Wie sieht so eine Behandlung dann aus?

Da wird meist die Reparativtherapie angewandt. Das bedeutet, man schaut sich das gesamte Leben an und sucht nach Traumata, um diese dann abzuarbeiten. Der Betroffene geht in Therapie, ist hoch motiviert, weil er denkt, es wird ihm jetzt geholfen. Diese Therapien können aber über Jahre und Jahrzehnte gehen, weil es einfach kein Trauma zu finden gibt. Die Leute geben dann viel Geld aus und realisieren irgendwann: Das funktioniert einfach nicht.

Was ist denn das Ziel solcher Therapien? Ein vorgeblich heterosexuelles Leben?

Diese Leute gehen davon aus, dass man nur homosexuell ist, wenn man sich entscheidet, homosexuell zu leben. Wenn man also heterosexuell spielt, sich eine Frau oder einen Mann anschafft und Kinder bekommt, ist man nicht homosexuell. Das Verhalten ist das Entscheidende. Was man denkt, spielt keine Rolle.

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Und wenn das nicht funktioniert?

Dann sollen die Menschen asexuell leben. Diese Leute leben in einem sehr fundamentalistischen Umfeld, in dem alle homophob sind. Dort überwacht man sich gegenseitig. Man kennt das auch nicht anders. Viele Leute in diesem fundamentalistischen Milieu haben nicht einmal einen Fernseher. Die informieren sich nur über die hauseigenen Medien, die von den religiösen Verbänden verteilt werden.

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass es so etwas heutzutage in Deutschland noch gibt.

Ich bin auch erst an der Universität mit dieser Thematik konfrontiert worden. Dann habe ich mich damit beschäftigt und gesehen, wie Leute dadurch zerstört werden. Wir haben es hier mit sehr religiösen Menschen zu tun, bei denen teilweise der Dämonenglaube eine Rolle spielt. Ich habe Minderjährige kennengelernt, bei denen mit 16, 17 Jahren ein Exorzismus durchgeführt wurde. Denen wurde dann erzählt, es wäre gerade ein Dämon aus ihrem Rücken gestiegen und solche Dinge. Man muss es so deutlich sagen: Hier werden Christen von Christen verfolgt. Aber mit diesen Umpolungsmethoden erreichen sie häufig nur, dass die Leute denken: Wenn dieser Gott mich tatsächlich so hasst, wie das dargestellt wird, dann glaube ich nicht mehr an einen solchen Gott. Und dann geben sie ihren Glauben auf.

Stehen dahinter vor allem christlich-evangelikale Kirchen oder gibt es das auch bei anderen Glaubensrichtungen?

Es gibt einen weltweiten Dachverband dieser Pseudoheiler und diese Leute sind überkonfessionell. In diesem Fall arbeiten Juden, Evangelikale, Katholiken und Muslime eng zusammen, weil sie dasselbe Ziel haben.

Von wie vielen Fällen pro Jahr reden wir denn?

In der Kommission geht man etwa von 1000 Fällen im Jahr aus. Es gibt viele Player auf diesem Gebiet und es findet sehr viel im Dunkeln statt.

Mutter, Vater, Kind: Viele kirchlichen Institutionen versuchen verzweifelt, dieses Familienbild aufrechtzuerhalten. (Symbolbild: Getty Images)
Mutter, Vater, Kind: Viele kirchlichen Institutionen versuchen verzweifelt, dieses Familienbild aufrechtzuerhalten. (Symbolbild: Getty Images)

Welche Organisationen sind denn da vorne mit dabei?

Der religiös übergreifende Dachverband heißt Internationale Vereinigung für Beratungs- und Therapiefreiheit. Vice-President ist dort Christl Ruth Vonholdt, die früher das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft der Offensive Junger Christen geleitet hat, das in Deutschland und Osteuropa das Propagandamaterial verbreitet hat. Dann gibt es das Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung e.V., das ist das frühere Wüstenstrom. Die gingen in der Vergangenheit zum Beispiel ganz besonders rabiat mit Aussteigern um. Da wurden schon Leute mit aggressiven Anwaltsschreiben bedroht und intern in Vereinszeitschriften schlecht gemacht, weil sie erzählt haben, dass es ihnen nach der Behandlung schlecht ging und die Veränderung nie stattgefunden hat. Der Bund der Katholischen Ärzte ist zum Beispiel eine kleine Organisation, die mit Homöopathie an die Sache herangeht.

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Wie schaffen es diese Organisationen, diese krude Theorie von der „Homo-Heilung“ am Leben zu erhalten?

Die Berater warnen Jugendliche vor dem gefährlichen Weg der Homosexualität. Die präsentieren dann ganz fragwürdige Studien, nach denen ein großer Prozentsatz homosexueller Menschen Drogen nimmt, Prostitution nachgeht, kriminell ist. Da gibt es sehr viel Propagandamaterial, um deutlich zu machen, dass der Lebensstil zerstörerisch ist. Diese Propagandisten werden dann in Jugendvereine im christlichen Sektor eingeladen und werben für diese Ideologie. Das Gefährliche ist die Breite der Multiplikatoren, die das ohne Bedenken unterstützen. Ich war einmal bei einer Veranstaltung, bei der viele Ärzte, Krankenschwestern und Politiker aus meiner Region anwesend waren und gejubelt haben.

Was sind die Folgen für die Opfer?

Es gibt Leute, die irgendwann ihren Glauben ablegen, um ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen und dann vielleicht eine seriöse Psychotherapie machen. Manche finden andere christliche Gruppen, die offen mit dem Thema umgehen. Es gibt Betroffene, die nie aus diesem Bereich herauskommen und sich in Ehen flüchten, wie es früher viele Schwule und Lesben getan haben. Wenn dann nach 20 Jahren der Knall kommt, ist die ganze Familie zerstört. Und dann gibt es die Leute, die überhaupt nicht mehr mit der Sache umgehen können und sich selbst verletzen oder umbringen.

Konversionstherapien könnten schon bis Ende dieses Jahres verboten werden. Wie könnten sie geahndet werden und warum ist das so wichtig?

Das ist auch juristisch Neuland, weil eventuell die Therapiefreiheit eingeschränkt wird. Es gibt aber Möglichkeiten, da erst einmal mit Ordnungswidrigkeiten und Geldstrafen zu arbeiten. Wir wollen erst einmal klein anfangen und gucken, wie das wirkt. Ein Verbot ist aber ein wichtiger Schritt mit Signalwirkung, gerade, um Jugendliche zu schützen. Wir sehen, dass die Organisationen sich schon jetzt von den Angeboten distanzieren, indem sie sagen, wir bieten die nicht selbst an, sondern vermitteln nur. Deswegen werde ich persönlich vorschlagen, dass man auch die Vermittlung mit strafbar macht. Und die Werbung muss eingeschränkt werden. Ich denke, dass da auch Jugendschutzmaßnahmen greifen könnten, indem man das zum Beispiel als jugendgefährdende Schriften markiert.

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An wen können sich denn Teenager wenden, die von ihrem Umfeld zu einer Konversionstherapie gedrängt werden?

Das ist das Problem. Diese Jugendlichen wachsen in einem geschützten konservativen Umfeld auf. Der einzig gangbare Weg wäre hier, zum Jugendamt zu gehen. Das Problem ist nur: Niemand ist wirklich geschult und es gibt keine wirklichen Anlaufstellen außer vielleicht die schwul-lesbischen Coming-Out-Vereine. Aber das ist ein sehr schwieriges Feld. Welcher Jugendliche möchte denn gegen seine eigenen Eltern vorgehen? Das ist ein riesiges Problem.

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