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Koalition klärt ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik

Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin auf einer Pressekonferenz zu aktuellen Themen der Innen- und Außenpolitik. Foto: Wolfgang Kumm/Archiv

Unter dem Druck rasant wachsender Flüchtlingszahlen haben die Spitzen von Union und SPD am Sonntagabend um entscheidende Weichenstellungen für die deutsche Asylpolitik gerungen.

Einer der Hauptpunkte des Berliner Treffens sollten Versorgung und Integration Hunderttausender Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten sein. Überschattet wurde der Koalitionsausschuss im Kanzleramt von einem Streit in der Union über eine humanitäre Geste von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Angesichts der von höchster Stelle erteilten Einreiseerlaubnis für Flüchtlinge aus Ungarn forderte CSU-Chef Horst Seehofer von ihr eine klare Position zur Verteilung Asylsuchender in der EU. Er warnte vor einem Stimmungsumschwung in punkto Willkommenskultur.

Dieses Jahr zahlt der Bund eine Milliarde Euro an Länder und Kommunen für die Flüchtlingshilfe. Diese Summe sollte nach den Vorstellungen von Union und SPD deutlich aufgestockt werden. Haushälter der Fraktionen beziffern den Spielraum auf bis zu 5 Milliarden Euro, ohne den ausgeglichenen Bundeshaushalt zu gefährden. Endgültige Entscheidungen dürften aber erst am 24. September bei einem Bund-Länder-Gipfel fallen.

Ferner stand beim Koalitionstreffen zur Debatte, ob das Grundgesetz etwa im Bau- und Vergaberecht geändert werden soll, um bürokratische Hürden für eine schnelle Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern abzubauen.

Unmittelbar vor dem Spitzentreffen hatten scharfe Angriffe der CSU auf die Kanzlerin für Verstimmung in der Koalition gesorgt. Nach Merkels Einreiseerlaubnis für mehrere tausend Flüchtlinge aus Budapest sagte Seehofer: «Wir können nicht als Bundesrepublik auf Dauer, bei 28 Mitgliedsstaaten, beinahe sämtliche Flüchtlinge aufnehmen. Das hält auf Dauer keine Gesellschaft aus.»

Die Aufnahme der in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge in Deutschland wurde im CSU-Präsidium als «falsche Entscheidung» gerügt, wie Generalsekretär Andreas Scheuer sagte. Mehrere Präsidiumsmitglieder hätten vor einer «zusätzlichen Sog-Wirkung» gewarnt.

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) sagte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung «Berlin direkt»: «Wir standen am Wochenende vor einer schwierigen Entscheidung. Wir sind unserer humanitären Verantwortung gerecht geworden.» Er sei «überzeugt, dass dies von der großen Mehrheit auch so gesehen wird», betonte der Merkel-Vertraute und fügte mit Blick auf die EU-Nachbarn hinzu: «Jetzt ist es genauo richtig, dass andere Länder am Zug sind.» SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte: «In einer so außergewöhnlich dramatischen Situation ist es absolut richtig, den Menschen erst einmal Zuflucht zu gewähren.»

Die Regierung wollte laut «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» (FAS) am Abend ein Programm auf den Weg bringen, das allen Flüchtlingen in Deutschland vor Einbruch des Winters ein festes Dach über dem Kopf garantieren soll. Die Gesamtkosten für die Betreuung der Asylsuchenden belaufen sich Koalitionskreisen zufolge auf etwa zehn Milliarden Euro in diesem Jahr.

Angestrebt werde eine Verteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern im Verhältnis 50 zu 50. Merkel pochte auf Haushaltsdisziplin: «Wir können nicht einfach sagen: Weil wir eine schwere Aufgabe haben, spielt jetzt der ausgeglichene Haushalt oder die Frage der Verschuldung überhaupt keine Rolle mehr.»

SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel verlangte einen Ausbau der Erstaufnahme-Einrichtungen für Asylsuchende. «Dabei muss auch der Bund helfen», sagte er nach einem Bericht der «Braunschweiger Zeitung». Der Bund müsse den Kommunen im Rahmen der Flüchtlingshilfe mindestens drei Milliarden Euro zusätzlich zahlen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rief zu einem «gemeinsamen Kraftakt» auf. Alle Ebenen, von den Kommunen über die Bundesländer bis hin zu den EU-Partnern, müssten dazu beitragen, «diese historische Herausforderung zu bewältigen», sagte er der «Süddeutschen Zeitung».

Beim Koalitionstreffen sollte nach «FAS»-Informationen in einem Sofortprogramm fixiert werden, dass der Bund leerstehende Kasernen und Polizeigebäude für die Aufnahme von Flüchtlingen herrichtet. Ferner sollten neue Unterkünfte gebaut werden.

Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) stellte Änderungen des Baurechts in Aussicht. «Ich will den Kommunen deutlich mehr Spielraum für die schnelle Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften eröffnen», sagte sie der dpa. «Auch die Errichtung neuer Gebäude für Flüchtlinge könnte in bestimmten Fällen rechtlich erleichtert werden.»