Schon mehr als 1200 Tote - Deutschland braucht einen Hitzeschutzplan – diese Länder müssen unser Vorbild sein
Diese Woche erlebte Deutschland den heißesten Tag des Jahres. Temperaturen über 30 Grad bedeuten gerade für ältere Menschen oft Lebensgefahr. Eigentlich sollte es deswegen längst einen Hitzeschutzplan geben. Doch was würde das kosten?
Was ist das Problem?
Der kleine Ort Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz hat diese Woche einen Rekord aufgestellt. Mit 36,5 Grad maß die örtliche Wetterstation die bisher höchste Temperatur des Jahres in Deutschland. Auch in vielen anderen Orten stieg das Thermometer im Schatten auf mehr als 36 Grad. Es waren die heißesten Tage des Jahres. Gefühlt war es sogar noch schlimmer. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) sprach auch tagelang für große Teile des Landes Hitzewarnungen aus.
Unter den hohen Temperaturen leiden fast alle im Land, aber für viele wird es lebensgefährlich. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt die Zahl der hitzebedingten Sterbefälle bis Ende Juli bereits auf 1200. Die meisten von Ihnen sind älter als 85 Jahre. In den wenigsten Fällen führt die Hitze direkt zum Tod, also etwa in Form eines Hitzeschlages, sondern meistens trifft sie Menschen, die wegen anderer Erkrankungen bereits geschwächt sind und sich deswegen bei Hitze nicht mehr richtig abkühlen oder genug Wasser trinken können.
Sowohl die Zahl der Hitzetage als auch die der Hitzetoten nimmt dabei stetig zu. Gab es bis 1990 laut Umweltbundesamt nur einmal mehr als zehn Tage mit einem Lufttemperatur-Maximum von mehr als 30 Grad in einem Kalenderjahr, waren es im Rekordjahr 2018 rund 21 Tage. Der Mittelwert der vergangenen fünf Jahre liegt bei 12,2 Hitzetagen. Er steigt im Trend dabei immer weiter an.
Ähnlich sieht der Trend bei den hitzebedingten Sterbefällen aus. Eine Studie, die 2021 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, analysierte die Zahlen seit 1992. Ergebnis: Gab es in den 90er Jahren nur dreimal mehr als 1000 Hitzetote pro Jahr, war das in den zehn Jahren von 2012 bis 2021 immer der Fall. Die Zahlen scheinen zwar nicht dramatisch hoch, Sie müssen dabei aber bedenken, dass diese Toten nur während der wenigen Hitzetage pro Jahr auftreten. Eine Studie aus Frankreich 2023 kam zu dem Schluss, das Hitze für 8 Prozent aller Todesfälle im Sommer verantwortlich ist.
Hitzetote sind dabei aber nur die dramatische Spitze des Eisberges: Die Krankenkasse DAK kam in ihrem Gesundheitsreport im April zu dem Schluss, dass rund ein Fünftel aller Beschäftigten in einer Hitzewelle gesundheitliche Probleme bekommt. Das sind immerhin rund zehn Millionen Menschen. Zwei Drittel gaben zudem in der zu Grunde liegenden Umfrage an, ihre Leistungsfähigkeit sei bei Hitze eingeschränkt. Brisant: Eine der Gruppen, die am stärksten unter Hitze leiden, sind Pflegekräfte – also genau diejenigen, die die gefährdeten älteren Menschen eigentlich vor Hitze schützen sollten.
Was tut die Politik dagegen?
Die Tatsache, dass die Sommer in Deutschland im Schnitt heißer werden, lässt sich zwar mit dem allgemeinen Kampf gegen den Klimawandel bekämpfen, wird aber den Trend nicht plötzlich umkehren. In den folgenden Jahren ist also mit immer mehr Hitzetagen zu rechnen. Entsprechend können sich Maßnahmen nur darauf konzentrieren, mit der Hitze bestmöglich umzugehen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte dafür im Mai zusammen mit Experten einen Hitzeschutzplan vorgelegt. Er enthält ein Bündel an Empfehlungen für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, etwa, dass diese selbst Hitzeschutzpläne und Lüftungskonzepte für ihre Häuser erarbeiten sollen, einen Hitzebeauftragten haben sollten, sich beim Warndienst des DWD anmelden sollen und wie sie Patienten, Bewohner und Angehörige aufklären sollen.
Der Plan hat aber drei Haken: Erstens gibt er nur vage Richtlinien statt konkreter Anweisungen, zweitens gilt er nur für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen und drittens ist keine der darin beschriebenen Maßnahmen verpflichtend. Es handelt sich schlicht um eine Sammlung von Tipps. Da viele davon zudem Geld kosten, ist fraglich, wie viel Einrichtungen im Schnitt überhaupt umsetzen können oder wollen.
Lauterbach selbst nennt den Hitzeschutzplan deswegen auch nur „einen Anfang“, wie er bei der Vorstellung sagte. Er fordert, dass sich Städte und Kommunen selbst um eigene Hitzeschutzpläne kümmern. Tatsächlich sind solche Pläne in Deutschland keine Sache der Bundesregierung, sondern der Bundesländer und der einzelnen Kommunen.
Was machen andere Länder gegen die Hitze?
Immer mehr Tage mit Hitze sind kein spezifisch deutsches Problem, schließlich macht die Sonne nicht an unseren Grenzen Halt. Am ausgefeiltesten dürfte der Hitzeschutzplan Frankreichs sein. Er wurde 2003 entwickelt, nachdem dort in einer verheerenden Hitzewelle mehr als 15.000 Menschen starben. Er sieht unter anderem vor, dass sich Menschen ab 60 Jahren, mit Behinderung oder einer chronischen Erkrankung in ein lokales Hitzeregister eintragen können. Wichtig wird das, wenn eine der vier Warnstufen des Plans aktiviert wird. Stufe Grün entspricht dabei dem Normalzustand ohne Hitze. Bei Stufe Gelb werden allgemeine Warnhinweise an die Bevölkerung ausgesprochen. Stufe Orange tritt ein, wenn drei Tage mit mehr als 34 Grad in einer Kommune vorhergesagt sind. Dann werden etwa alle Menschen im Hitzeregister täglich angerufen, um für ihre Sicherheit zu sorgen. Sozialarbeiter bringen wenn nötig Wasser vorbei und geben Tipps, jedes Rathaus besitzt gekühlte Räume, in denen sich gefährdete Personen abkühlen können. In Altenheimen und Krankenhäusern sind solche Räume ebenfalls verpflichtend und Bewohner müssen auf dieser Warnstufe dort einige Stunden pro Tag untergebracht werden. Teilweise werden zudem Fahrverbote für Autos ausgesprochen, damit die Abgase die Luft nicht noch weiter aufheizen. Bei der höchsten Stufe Rot werden alle Rettungsdienste und Krankenhäuser in Alarmbereitschaft versetzt, um schnell auf hitzebedingte Patienten reagieren zu können.
Hitzeregister mit täglichen Anrufen und Besuchen von Sozialarbeitern gibt es auch in einigen südeuropäischen Ländern wie etwa Italien. Wie ausgeprägt der Hitzeschutz hier oder etwa auch in Spanien ist, liegt aber oft in der Verantwortung einzelner Städte. Weil Hitzewellen in diesen Ländern aber schon länger vorkommen, ist auch der Umgang routinierter geworden. So gibt es etwa in vielen Städten, darunter Rom, Mailand, Madrid und Barcelona klimatisierte Räume für Obdachlose und anderweitig von Hitze gefährdete Bürger, außerdem wird bei hohen Temperaturen kostenlos Trinkwasser in den Städten verteilt.
Was bringen solche Hitzeschutzpläne?
Die Zahl der Hitzetoten schwankt jedes Jahr stark je nach dem jeweiligen Sommerwetter. Trotz Hitzeschutzplänen starben etwa in Frankreich 2022 fast 7000 Menschen wegen der hohen Temperaturen und im Vorjahr rund 5000. Studien verschiedener Universitäten in Frankreich und anderen Ländern haben aber gezeigt, dass die Zahl der Hitzetoten bei vergleichbaren Hitzewellen dort niedriger liegt, wo es effektive Hitzeschutzpläne gibt. So starben etwa bei einer Hitzewelle 2006 in Frankreich nur 2065 Menschen statt der 15.000 bei vergleichbaren Temperaturen drei Jahre zuvor ohne Hitzeschutzplan. Selbst für Deutschland gibt es entsprechende Untersuchungen, wenngleich unser „Plan“ bisher nur ein Frühwarnsystem des DWD vorsieht und die Zahl der Hitzetoten entsprechend noch höher ist.
Was kostet effektiver Hitzeschutz?
Die Umsetzung vieler Hitzeschutzmaßnahmen ist eine reine Kostenfrage. Französische Städte beschäftigen etwa je nach Größe mehrere Dutzend Sozialarbeiter, um im Sommer die Hitzeregister abzuarbeiten und Menschen mit Trinkwasser und anderen Hilfen zu versorgen. Klimatisierte Räume müssen erst gebaut werden, auch Aufklärungskampagnen kosten Geld. Da solche Kosten aber sehr zersplittert auf die einzelnen Kommunen verteilt sind, lassen sich keine generellen Aussagen zu den Kosten treffen. Schätzungen gehen von mehreren Millionen Euro pro Kommune in Europa aus – in Großstädten und Metropolen deutlich mehr, in kleineren Städten weniger. London schätzt seine Kosten etwa auf bis zu 1,1 Millionen Euro pro Jahr, Athens Ausgaben liegen bei rund einer Million Euro. In Madrid und Barcelona gehen Schätzungen von ähnlichen Summen aus. Die Ausgaben schwanken aber ebenfalls je nach Wetterlage in einem spezifischen Jahr.
Um Ihnen trotzdem eine grobe Größenordnung zu geben, können wir die Kosten anhand der Größe der jeweiligen Städte für die gesamte Bevölkerung Deutschlands hochrechnen. Bei geschätzten Kosten von 27 Cent je Einwohner müssten in ganz Deutschland nur 23,2 Millionen Euro investiert werden. Allerdings sind dabei drei Sachen zu bedenken: Erstens geht diese Rechnung davon aus, dass die Bedingungen in Deutschland vergleichbar mit denen in London, Madrid, Barcelona und Athen sind, was das Ausmaß durchschnittlicher Hitzewellen, die Altersstruktur der Bevölkerung und die Zahl der Obdachlosen angeht.
Zweitens müssten die Kosten nicht vom Staat getragen werden – 23,2 Millionen Euro wären ein Vogelschiss im Bundeshaushalt, der rund 450 Milliarden Euro umfasst – sondern von den jeweiligen Kommunen. Während sich Großstädte Millionenausgaben vielleicht locker leisten könnten, wird es in vielen kleineren Kommunen knapp, die jetzt schon kaum Geld für ihre Kernaufgaben haben.
Und drittens umfasst dies nur die öffentlichen Ausgaben, also etwa die Kosten für Sozialarbeiter, Hotline, Aufklärungskampagne, Trinkwasserstellen und -abgaben, klimatisierte Räume in Rathäusern und ähnliches. Hinzu kämen die Kosten für private Unternehmen, wenn etwa Maßnahmen wie klimatisierte Räume oder zusätzliches Personal auch in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder gar jedem größeren Unternehmen vorgeschrieben würden.
Demgegenüber stehen aber enorme Kosteneinsparungen. Eine Studie der Allianz geht davon aus, dass Hitzewellen 2023 Volkswirtschaften zwischen 0,1 und 1,3 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes (BIP) kosteten. Die genaue Zahl für Deutschland ist nicht genannt, dürfte aber am unteren Ende dieser Skala liegen. 0,1 Prozent des deutschen BIP wären rund 4,2 Milliarden Euro. Diese Summe setzt sich vor allem aus den Fehltagen von Erwerbstätigen zusammen, die auf Grund der Hitze und dadurch bedingter gesundheitlicher Probleme entstehen. Unternehmen hätten also einen ureigenen Grund, Geld in bessere Arbeitsbedingungen bei Hitze zu investieren und würden damit am Ende sogar mehr Geld verdienen.