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BGH stärkt Diesel-Klägern den Rücken

Der BGH urteilt zum VW-Abgasskandal: Klagende Käufer können ihr Auto zurückgeben und das Geld dafür einfordern.
Der BGH urteilt zum VW-Abgasskandal: Klagende Käufer können ihr Auto zurückgeben und das Geld dafür einfordern.

2015 fliegt der VW-Abgasskandal auf. 2020 streiten Diesel-Käufer immer noch für ihr Recht - und um ihr Geld. Ein Grundsatz-Urteil ebnet ihnen nun den Weg. Für viele andere kommt es zu spät.

Karlsruhe (dpa) - Die finanziellen Folgen sind schmerzhaft, und für den Imageschaden gilt das erst recht: Im Dieselskandal kassiert VW vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eine heftige Niederlage.

Mit dem Karlsruher Urteil vom 25. Mai ist erstmals höchstrichterlich festgestellt, dass der Autobauer seine Kunden vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat. Für viele Diesel-Kläger ist das der Durchbruch - auch wenn noch Fragen offen sind. (Az. VI ZR 252/19)

Was haben die obersten Zivilrichter entschieden?

Unstrittig war, dass VW Millionen Fahrzeuge mit einer illegalen Abgastechnik ausgestattet hat. Mit dem BGH-Urteil steht nun fest: Der Konzern ist klagenden Käufern deshalb zu Schadenersatz verpflichtet. VW habe nicht nur die Behörden systematisch getäuscht, sondern sich auch gegenüber den Kunden «besonders verwerflich» verhalten. Diese hätten sich in vollstem Vertrauen für einen VW-Diesel entschieden - und tatsächlich ein Auto bekommen, das «nicht voll brauchbar war». Es habe immer die Gefahr bestanden, dass der Schwindel auffliegt und das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Autos aus dem Verkehr zieht.

Schadenersatz - was bedeutet das genau?

Im Grunde muss VW den Kauf ungeschehen machen, also das Auto zurücknehmen und dem Kunden das gezahlte Geld erstatten. Das gilt sogar für Gebrauchtwagen aus zweiter Hand. Allerdings berücksichtigt das BGH-Urteil, dass die Käufer das Auto einige Zeit gefahren und damit auch davon profitiert haben. Diese Nutzung müssen sie sich anrechnen lassen. Es gibt also nicht den vollen Preis zurück. Das Geld wird auch nicht mit der Gießkanne an alle Betroffenen ausgeschüttet: Schadenersatz können nur noch die Kunden bekommen, die VW bereits verklagt haben und deren Verfahren noch läuft.

Wer profitiert von dem Urteil?

Kläger wie Herbert Gilbert aus Rheinland-Pfalz, dessen Fall nun als erster vor den BGH-Richtern gelandet ist. Seinen VW Sharan kauft er 2014 von einem freien Händler, gebraucht, für knapp 31.500 Euro. Als im Herbst 2015 der Dieselskandal auffliegt, fühlt er sich getäuscht. Auch in seinem Auto steckt ein Motor vom Typ EA189, dessen illegale Technik dafür sorgt, dass der Wagen die Abgas-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand einhält und nicht auf der Straße. Also verklagt er VW. Hätte er das gewusst, hätte er den Sharan nie gekauft, sagt er.

Welche Abzüge muss er in Kauf nehmen?

Gilberts Auto ist nicht viel gefahren. Beim Kauf hat es 20.000 Kilometer auf dem Tacho. Als das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz seinen Fall 2019 verhandelt, sind es gut 72.000 Kilometer. Die OLG-Richter nehmen an, dass der Sharan es auf eine Laufleistung von 300.000 Kilometern bringen würde. Aus diesen Werten errechnen sie die sogenannte Nutzungsentschädigung, in diesem Fall knapp 5900 Euro. Diese Summe wird vom Kaufpreis abgezogen. Unterm Strich bekommt Gilbert also rund 25.600 Euro Schadenersatz zugesprochen.

Können andere Kläger auf ähnlich hohe Summen hoffen?

Die BGH-Richter haben das Koblenzer Urteil weitgehend bestätigt. Insbesondere haben sie kein Problem mit den 300.000 Kilometern Laufleistung. Die Gerichte hätten hier einen weiten Spielraum, sagt der Senatsvorsitzende Stephan Seiters bei der Verkündung. Das OLG hätte «insofern auch mehr oder weniger schätzen können». Trotzdem dürfte Gilbert überdurchschnittlich gut weggekommen sein, denn viele Kläger haben mit ihren Autos viel mehr Kilometer zurückgelegt. Das bedeutet höhere Abzüge für die Kunden - und weniger Kosten für VW.

Wem hilft das Urteil noch und wem nicht?

Laut VW sind aktuell noch rund 60.000 Verfahren anhängig, also weder rechtskräftig entschieden noch per Vergleich beendet. Wer sich an der Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentralen gegen VW beteiligt und den bereits ausgehandelten Vergleich angenommen hat, verzichtet damit auf weitere Ansprüche, kann also nicht mehr klagen. Und dafür haben sich viele entschieden: Nach Konzern-Angaben wurden inzwischen rund 240.000 Vergleiche abgeschlossen, nur rund 1000 wurden widerrufen. Ganz neue Klagen sind nicht mehr möglich. «Wer jetzt erstmals wegen seines EA-189-Diesels Ansprüche geltend macht, ist wegen Verjährung zu spät», sagt der ADAC-Rechtsexperte Markus Schäpe.

Was will Volkswagen jetzt tun?

Es gar nicht erst auf 60.000 Gerichtsentscheidungen ankommen lassen. Man werde Einmalzahlungen als «pragmatische und einfache Lösung» anbieten, kündigt der Konzern unmittelbar nach der Urteilsverkündung an. So sollten die Verfahren «im Einvernehmen mit den Klägern zeitnah» beendet werden. Viele Kläger wären gar nicht daran interessiert, ihr Auto abzugeben und sich ein neues anzuschaffen, argumentiert VW. Einmalzahlungen seien deshalb «die beste Lösung». «Wie hoch diese sein werden, hängt vom Einzelfall ab.»

Wie geht es sonst weiter?

Der BGH hat für Juli bereits die nächsten Verhandlungen angesetzt. Denn der Fall Gilbert ist zwar beispielhaft. Es gibt aber noch andere Konstellationen. Rund 10.000 Kläger haben ihr Auto erst gekauft, als der Dieselskandal schon bekannt war. Diese Fälle will VW weiter juristisch durchfechten. Andere haben nicht gegen VW, sondern gegen ihren Autohändler geklagt. Und dann gibt es auch zahlreiche Klagen gegen andere Autohersteller - etwa gegen Daimler. Außerdem ist über einen Strafprozess gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn noch nicht entschieden. Zivilrechtlich streiten Investoren um Schadenersatz.